Tausende Menschen haben am 9. Mai jeden Winkel des International Convention Center in Jerusalem gefüllt, um am People’s Peace Summit teilzunehmen, über den wir diesen Monat in Interviews mit einigen der Hauptinitiator:innen berichtet haben. Es war ein großer Erfolg: ein volles Haus, wiederholter Applaus für alle Redenden, eine klare Botschaft, „Schluss mit diesem für alle verheerenden Krieg“, und ein gemeinsames Bekenntnis zur Einheit, um eine politische Lösung des Konflikts zu fordern.
Organisiert von der It’s Time Coalition, einem Bündnis von über 60 Organisationen für Frieden, Versöhnung und Zusammenleben, war dies die größte Mobilisierung gegen den Krieg seit dem 7. Oktober. Zwei Tage lang, beginnend am Nachmittag des 8. Mai, gab es ein volles Programm mit kulturellen Veranstaltungen in der ganzen Stadt: Filmvorführungen, Konzerte, Kunstausstellungen von jüdischen und arabischen Künstler:innen und natürlich Diskussionen und Treffen (die Liste der Veranstaltungen findest du hier: https://www.timeisnow.co.il/thursday-english).
Aber das absolute Highlight fand am Freitag im Jerusalem International Convention Center statt: die Plenarsitzung in der Haupthalle am Vormittag, gefolgt von 12 gleichzeitigen Sitzungen. Über 5000 Leute (laut den Organisatoren) nahmen teil, darunter viele israelische Soldaten, die gegen den Krieg sind, viele Familienangehörige der Geiseln, Überlebende von Terroranschlägen, Angehörige der Kriegsopfer, Menschen aus den Gemeinden entlang der Grenze zum Gazastreifen, Rechtsexpert:innen, Künstler:innen, Diplomat:innen, Meinungsführer:innen sowohl jüdischer als auch arabischer Herkunft: Ein vielfältiges Bild einer Zivilgesellschaft, die keineswegs resigniert ist, sondern im Gegenteil, in Bewegung und v vereint durch den kraftvollen Appell: ‚It’s now – Es ist Zeit, den Krieg zu beenden.‘.
„Wir sind hier, um ein starkes Friedenscamp aufzubauen“, begann der israelische Schauspieler und Moderator Yossi Marshek die Vormittagssitzung. Danach kam der Pilot zu Wort, der vor ein paar Wochen einen viel diskutierten Brief (der auch in der internationalen Presse große Beachtung fand) veröffentlicht hatte, unterzeichnet von Hunderten von ehemaligen oder aktuell im Dienst stehenden israelischen Soldaten. Darin prangerte er die inakzeptablen Kriegshandlungen gegen vorwiegend zivile Ziele an und forderte einen sofortigen Waffenstillstand.
In der Eröffnungssitzung mit dem Titel „Es gibt Partner und es gibt einen Weg“ kamen viele Ideen auf – zu viele, um sie in einem einzigen Artikel zusammenzufassen, aber später wird Zeit dafür sein, auch für eine Bilanz. Der Hauptfokus des Vormittags war zweifellos die Diskussion über die verschiedenen Lösungsansätze, die im Hinblick auf eine politische Lösung des Konflikts auf dem Tisch liegen. Zu diesem Punkt äußerten sich der ehemalige israelische Ministerpräsident Ehud Olmert und der ehemalige palästinensische Außenminister Nasser al-Qidwa, die den von ihnen seit langem geförderten „Friedensplan“ vorstellten.
„Frieden ist unerlässlich, aber wir müssen der internationalen Gemeinschaft und unseren beiden Völkern einen Plan anbieten, der als realisierbar bezeichnet werden kann, und der einzige Plan ist die Zwei-Staaten-Lösung“, sagte Olmert. „Es gäbe andere Ideen wie die Ein-Staaten-Lösung, mit der wir nicht einverstanden sind, da wir sie als das beste Rezept für den endlosen Konflikt zwischen den beiden Völkern sehen. Wir sind für eine Lösung, die eine echte Veränderung in den Beziehungen zwischen den beiden Völkern bringt, angefangen beim Recht auf Selbstbestimmung, Bewegungsfreiheit und Wahlrecht unter gleichen Bedingungen, mit völliger Gleichheit für alle Bürger:innen beider Staaten. Unser Plan sieht daher eine Zwei-Staaten-Lösung auf der Grundlage der Grenzen Israels vor 1967 vor: Als die Likud-Partei zum ersten Mal an die Regierung kam, glaubte niemand, dass Menachem Begin Frieden mit Ägypten schließen und Israel sich aus dem Sinai zurückziehen würde, und doch ist es geschehen!“
„Diese Konferenz ist zweifellos wichtig“, fügte Nasser al-Qidwa in einer Videobotschaft hinzu. „Aber da das israelische Establishment alles tun wird, um diese Lösung zu boykottieren, liegt es an uns, an die Koexistenz und die Neuaufteilung der Gebiete als einzige Garantie für eine gemeinsame Zukunft zu glauben. Auf jeden Fall muss der Siedlungskolonialismus beendet werden.
Wir müssen uns entscheiden: Entweder denken wir, dass das Land schon ganz zu Israel gehört, das in dem Fall das Recht hat, es zu besiedeln und die Leute, die dort leben, aus dem Westjordanland und dem Gazastreifen zu vertreiben; oder wir müssen Bedingungen für das Zusammenleben beider Völker schaffen, und an die Teilung des Landes glauben, ohne Formen der Zusammenarbeit auszuschließen. (…) Als erstes muss aber die Lage in Gaza geklärt werden. Wir müssen dringend eine Einigung finden für die Freilassung der Geiseln parallel zur Freilassung der palästinensischen Gefangenen. Und natürlich muss die Regierungsstruktur an die Palästinensische Autonomiebehörde gekoppelt sein, die für den Wiederaufbau Gazas verantwortlich ist. (…)
Natürlich müssen viele Dinge ausgehandelt werden: Siedlungen, Flüchtlinge, Sicherheitsmaßnahmen auf beiden Seiten usw. Aber nichts wird möglich sein, wenn wir nicht eine neue Kultur zwischen Israelis und Palästinensern schaffen. Wir sind heute hier, um zu verkünden, dass wir gemeinsam voranschreiten und eine Zukunft aufbauen wollen. Nur so können wir etwas erreichen.
Nur wenige Minuten zuvor hatte der palästinensische Journalist Mohammed Daraghmeh, der dank einer in letzter Minute „gewährten“ Genehmigung persönlich anwesend war, eine bereits stark „israelisierte“ Situation im Westjordanland beschrieben: „Wenn man zum Beispiel von Ramallah nach Nablus fährt, sieht man eine ganze Landschaft und jede Menge Infrastruktur – Brücken, Straßen, Schilder, landwirtschaftliche Betriebe, Anlagen zur Solarenergiegewinnung –, so dass man sich in Israel wähnt. Israel hat den Krieg in Gaza als Vorwand genutzt, um auch das Westjordanland zu annektieren, das laut dem bekannten Plan von Bezalel (israelischer Verteidigungsminister) zu 60% von Siedlungsprojekten betroffen ist. Bezalel hat extra eine Abteilung eingerichtet, um die Expansion der Siedler zu erleichtern und die palästinensischen Gemeinden zu Kantonen zu machen. (…)
Wenn jedoch Israel und Palästina sich selbst überlassen bleiben, gibt’s keine Hoffnung. Seit 30 Jahren verhandeln sie ohne Erfolg, und Israel hat immer wieder vom Kuchen genascht, der auf dem Verhandlungstisch stand. Ohne starken Druck von außen, die Siedlungen zu stoppen, gibt es keine Zukunft für den palästinensischen Staat. Den Israelis möchte ich aber sagen, dass die Ausweitung der Siedlungen auch für sie selbst kontraproduktiv wäre, weil sie am Ende einen einzigen Staat mit den vorhersehbaren Problemen bekämen. (…) Deshalb ist es wichtig, dass auch die internationale Gemeinschaft in dieser Frage eingreift – mit Sanktionen, die vom Siedlungsbau abschrecken, um diese Ausweitung zu bremsen, die eine Zwei-Staaten-Lösung immer schwieriger macht.“
Zu diesem Thema hat sich auch Rula Hardal geäußert, die zusammen mit der Israelin May Pundak die Organisation A Land for All leitet: „Es wird von zwei Staaten gesprochen, aber die Realität, die sich seit Jahrzehnten vor Ort entwickelt hat, ist nicht die der Trennung. Wir sind miteinander verbunden und müssen verstehen, dass ein anderer Plan erforderlich ist, um auf diese Situation der gegenseitigen Abhängigkeit zu reagieren. Deshalb schlagen wir eine konföderative Lösung vor, mit gemeinsamen Institutionen und Lösungen, zum Beispiel in den Bereichen Gesundheit, Umwelt, Bildung, sprich … des Zusammenlebens. Dann gibt es noch schwierige Themen, die beide Seiten nie wirklich angepackt haben, wie das Recht auf Rückkehr. Der 7. Oktober und der darauf folgende genozidale Krieg waren Momente, an denen es kein Zurück mehr gab, sowohl für die Palästinenser als auch für die Israelis …“
May Pundak hat das aufgegriffen: „Denken wir auch an die Klimakrise, an die Wasserläufe… Wir müssen verstehen, dass die Trennung keiner der beiden Seiten eine sichere Zukunft bringt. Die gegenseitige Abhängigkeit von Israelis und Palästinensern ist der Ausgangspunkt.“
In einer Videobotschaft aus Ramallah beschränkte sich der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas auf eine allgemeine Erklärung: „Durch Gerechtigkeit können wir allen Völkern der Region Sicherheit und eine Zukunft garantieren: Frieden ist möglich, und es hängt von uns allen ab, ihn zu ermöglichen.“
Als Vertreter der viel zitierten „internationalen Gemeinschaft“ hat der französische Präsident Emmanuel Macron eine fünfminütige Videobotschaft geschickt: „Unsere Herzen sind sowohl bei den israelischen als auch bei den palästinensischen Familien. Wir stehen voll und ganz hinter diesem Friedensprozess, der diese beiden Tage in Jerusalem ermöglicht hat, zeitgleich mit den Feierlichkeiten zum Ende des Zweiten Weltkrieges vor 80 Jahren, und wir werden euch bei allen zukünftigen Initiativen unterstützen.“ Er hat insbesondere auf einen baldigen Verhandlungstisch hingewiesen, der im Juni in Saudi-Arabien stattfinden soll (Macron – It’s time: my message to the People’s Peace Summit in Jerusalem. (09.05.25) – YouTube).
Unter den vielen Redner:innen durften natürlich auch diejenigen nicht fehlen, die durch den Krieg einen geliebten Menschen verloren haben: Maoz Inon (einer der Hauptorganisatoren dieser Veranstaltung), der am 7. Oktober seine beiden geliebten Eltern verloren hat; Liat Atzili, deren Mann am selben Tag getötet wurde; Sigalit Hilel, Mutter von Ori, der beim Nova Music Festival getötet wurde; Elana Kamin-Kaminka, Mutter von Yannai, der ebenfalls am 7. Oktober getötet wurde. „Seit über einem Jahrhundert sind wir Opfer dieses Kreislaufs der Gewalt“, sagte Elana. „Es ist Zeit, all unsere Menschlichkeit und Kreativität für die Lösung dieses Konflikts einzusetzen; das sind wir unseren Kindern schuldig.“
Ähnlich sieht es die Palästinenserin Soumaya Bashir von der Organisation Women Wage Peace: „Als Frauen stehen wir für das Leben und gegen alle, die nur Tod und Zerstörung wollen. Wir dürfen uns nicht in Schweigen und Schmerz flüchten – es ist jetzt an der Zeit, gemeinsam zu handeln!“ Und von Makbula Nassar, Journalistin und Aktivistin, kommt der Aufruf: „Hört auf die Schreie der hungernden Kinder in Gaza. Beendet die Grausamkeiten und Verbrechen, die wir schon viel zu lange mit ansehen müssen, denn es wird keinen ‚Tag danach‘ für unser Gewissen geben, und wir alle verdienen es, von dieser endlosen Unterdrückung befreit zu werden. Und nur durch Frieden können wir das schaffen.“
Beide Tage wurden live gestreamt und an Dutzende von Solidaritätsveranstaltungen in über 20 Städten auf der ganzen Welt übertragen, darunter London, Berlin, Sydney, New York und Boston. In Italien gab es gemeinsame Vorführungen in Florenz, organisiert von der Florentiner Sektion von „Sinistra per Israele“ (Linke für Israel), und an der Universität von Udine.
Die Übersetzung aus dem Italienischen wurde von Domenica Ott vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!
Interview mit Nivine Sandouka: https://www.pressenza.com/it/2025/04/verso-il-peoples-peace-summit-di-gerusalemme-8-e-9-maggio-intervista-ad-aziz-abu-sarah/
Auf dem Weg zum Friedensgipfel der Völker am 8. und 9. Mai in Jerusalem: Der Platz in Tel Aviv war am 24. April gut besucht: https://www.pressenza.com/de/2025/05/auf-dem-weg-zum-friedensgipfel-der-voelker-am-8-und-9-mai-in-jerusalem-der-platz-in-tel-aviv-war-am-24-april-gut-besucht/
Interview mit den Co-Produzentinnen Mika Almog, May Pundak und Maya Savir: https://www.pressenza.com/de/2025/05/auf-dem-weg-zum-friedensgipfel-der-voelker-am-8-und-9-mai-in-jerusalem-frauen-koennen-den-unterschied-machen/