In einem aktuellen Interview mit der Berliner Zeitung kritisiert Sevim Dagdelen, außenpolitische Sprecherin der Gruppe Bündnis Sahra Wagenknecht, Deutschlands Rolle in einem internationalen Rechtsstreit, in dem Nicaragua die Bundesrepublik vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Völkermord durch Waffenlieferungen an Israel anklagt. Dieser Fall, der tiefgreifende Fragen der internationalen Beziehungen und Rechtsprechung aufwirft, könnte weitreichende Folgen für die Außenpolitik Deutschlands haben und zwingt zu einer kritischen Reflexion über die Verantwortung von Staaten im globalen Kontext.

Im Interview mit der Berliner Zeitung beleuchtet Sevim Dagdelen, Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für Außenpolitik der Gruppe Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit, die komplexe rechtliche Auseinandersetzung zwischen Nicaragua und Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Nicaragua wirft Deutschland vor, durch seine substantiellen Waffenlieferungen an Israel indirekt einen Völkermord an den Palästinensern in Gaza zu unterstützen sowie durch die Reduzierung der finanziellen Beiträge zum UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA das humanitäre Völkerrecht zu verletzen.

Die Bundesregierung wehrt sich gegen diese Vorwürfe mit der Argumentation, dass für Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter strenge Genehmigungsverfahren gelten und dass nur ein geringer Teil der Genehmigungen tatsächlich für Kriegswaffenexporte ausgestellt wurde. Weiterhin argumentiert sie, dass ein Völkermord durch Israel nicht festgestellt worden sei, weshalb Deutschland nicht der Beihilfe zum Völkermord beschuldigt werden könne.

Dagdelen kritisiert diese Verteidigungsstrategie als irreführend und hebt hervor, dass die Unterscheidung zwischen Kriegswaffen und anderen Rüstungsgütern in diesem Kontext irrelevant sei, da auch letztere im Krieg eingesetzt werden können. Sie weist darauf hin, dass die Bundesregierung die völkerrechtliche Pflicht zur Verhütung von Völkermorden ignoriere, was insbesondere angesichts der Schutzanordnungen des IGH im Fall Südafrika gegen Israel problematisch sei. Die Anordnungen zielten darauf ab, der plausiblen Gefahr eines Völkermords entgegenzuwirken. Dagdelen kritisiert zudem, dass die deutsche Regierung anscheinend ihre Staatsräson, Israel bedingungslos zu verteidigen, über internationales Recht stellt.

Die Bundesregierung beharrt darauf, dass deutsche Waffen nur eine geringe Rolle im Konflikt spielen und hauptsächlich zu Trainingszwecken eingesetzt werden, eine Position, die Dagdelen angesichts des Umstands, dass Deutschland nach den USA der zweitgrößte Waffenlieferant Israels ist, für wenig glaubwürdig hält. Sie weist darauf hin, dass die intensive militärische Kooperation zwischen Deutschland und Israel nicht heruntergespielt werden sollte und betont die Bedeutung deutscher Waffenlieferungen für die militärische Kapazität Israels.

Ein entscheidender Punkt des Interviews ist die Betonung der potenziellen Folgen eines Urteils gegen Deutschland. Sollte der IGH zugunsten Nicaraguas entscheiden, könnte dies Deutschland nicht nur zu einem Stopp der Waffenlieferungen an Israel zwingen, sondern auch die internationale Reputation Deutschlands schädigen und weitere Verfahren nach sich ziehen. Dagdelen warnt vor den langfristigen Auswirkungen auf die deutsche Außenpolitik und die Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle im internationalen Recht.

Abschließend äußert Dagdelen Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen der Klage auf die deutsche Außenpolitik und kritisiert die Haltung der Bundesregierung, das Völkerrecht nur anzuerkennen, wenn es den eigenen Interessen dient. Sie betont die Gefahr, dass Deutschland damit eine ähnliche Position wie die USA einnehmen könnte, die internationales Recht zunehmend nach eigenen Interessen auslegt. Das Interview schließt mit einem Appell für eine grundlegende Überprüfung der deutschen Außenpolitik und der militärischen Unterstützung Israels.


Quelle:

Berliner Zeitung, 10.04.2024: Anklage wegen Beihilfe zum Völkermord in Gaza: Deutsche Verteidigung „wenig glaubwürdig“