Am 3. Oktober 2025 versammelten sich in Stuttgart und Berlin zehntausende Menschen unter dem Motto „Nie wieder Krieg“, um ein deutliches Zeichen gegen Militarisierung, Aufrüstung und die schleichende Kriegstüchtigkeitspolitik in Deutschland zu setzen. Auf dem Stuttgarter Schlossplatz wandte sich die Theologin und ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann in einer bewegenden Rede an die Versammelten und kritisierte in klaren Worten die politische und gesellschaftliche Entwicklung hin zur Kriegslogik.

Käßmann stellte die zentralen Fragen unserer Zeit: Wollen wir eine Gesellschaft, die ihre Jugend zur Kriegsbereitschaft erzieht – oder eine, die den Frieden kultiviert? Mit Verweis auf Wolfgang Borchert und Ingeborg Bachmann plädierte sie für Abrüstung, Diplomatie und Friedenserziehung statt Wehrpflicht und Waffenexporte. Dabei verband sie persönliche Perspektiven – als Christin, als Friedensaktivistin und als Großmutter – mit einem klaren politischen Standpunkt: „Nicht kriegstüchtig müssen wir werden – friedensfähig!“

Ihre Worte richteten sich nicht nur gegen politische Maßnahmen wie die geplante Reaktivierung der Wehrpflicht, sondern auch gegen ein gesamtgesellschaftliches Klima, das die Eskalation akzeptiert. Käßmann forderte Asyl für Kriegsdienstverweigerer aus Russland und der Ukraine, eine klare Abgrenzung der Friedensbewegung gegenüber Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit – und eine Friedenspolitik, die Kinder schützt statt Kanonen finanziert.

Die vollständige Rede im Video und Transkript dokumentiert eine der kraftvollsten Stimmen der aktuellen Friedensbewegung – eindringlich, menschlich und unmissverständlich.

Vielen Dank, liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde.

80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bewahrheitet sich, was die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann gesagt hat: „Die Geschichte lehrt andauernd, doch sie findet keine Schüler.“ Und so erleben wir fassungslos seit dreieinhalb Jahren eine schleichende Militarisierung unserer Gesellschaft.

Bundeskanzler Merz erklärt: „Wir befänden uns nicht im Krieg, aber auch nicht mehr im Frieden.“ Der Außenminister: „Russland wird immer unser Feind bleiben.“ Verteidigungsminister Pistorius will, dass wir kriegstüchtig werden, und avanciert damit zum beliebtesten Politiker des Landes. Und Roderich Kiesewetter will jetzt den Spannungsfall ausrufen. So wird Kriegsangst geschürt und Vorkriegsstimmung erzeugt.

Dagegen sagen wir als Friedensbewegung in der Tradition von Wolfgang Borchert: Nein, nein, wir brauchen keine Abschreckung. Wir brauchen Entspannungspolitik. Wir brauchen keine Hochrüstung mit hunderten Milliarden Euro für Waffen und gleichzeitiger Kürzung der Sozialleistungen. Stattdessen brauchen wir Abrüstung, Verhandlungen, Diplomatie. Nicht Kriegstüchtigkeit ist unser Ziel – friedensfähig müssen wir werden.

Wir haben jetzt heute schon viel gehört. Ich will noch drei Punkte benennen.

Zum einen stehe ich hier als Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen. Bis zur Aussetzung der Wehrpflicht war ich einige Jahre Präsidentin der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer. Jetzt plant die Regierung die stufenweise Wiedereinführung. Aber der Begriff Wehrpflicht ist verharmlosend.

Das Grundgesetz garantiert: Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Deshalb geht es nicht um Wehrpflicht, sondern um Kriegsdienstzwang – da geht es um Kanonenfutter.

Es sind die Alten, die jetzt – ich bin auch alt – die Alten, die jetzt die Jungen verpflichten wollen, Dienst an der Waffe zu leisten, und die Jungen damit locken, dass es mehr Geld gibt. Ausbildung, Führerschein – das wird dazu führen, dass nicht alle gleichermaßen zur Bundeswehr gehen, sondern gerade die aus benachteiligten Familien.

Der Präsident des Reservistenverbandes hat kürzlich vorgerechnet: Für den Fall eines Krieges mit Russland müsste mit täglich 5.000 toten Soldaten auf der eigenen Seite gerechnet werden. Das einzige Zeichen gegen diesen Wahnsinn ist Kriegsdienstverweigerung. Die Beratungsstellen von DFG-VK und Kirchen beraten euch gern.

Ich muss dabei sagen, ich habe mich schon immer gefragt, warum unser Staat eigentlich das Gewissen derer prüft, die den Kriegsdienst verweigern, aber nicht das Gewissen derer, die Kriegsdienst leisten wollen.

Wenn es um Wehrpflicht geht, dann geht es um die Pflicht, sich dagegen zu wehren, Kriegsdienst leisten zu müssen. Das ist die Pflicht.

Ich will auch sagen: Wir treten dafür ein, dass junge Männer aus der Ukraine und Russland, die den Kriegsdienst verweigern, in Deutschland politisches Asyl erhalten. Wenn Menschenrechte – dann für alle.

Ich stehe hier auch als Christin. Die Kirchen der Welt sind immer in die Irre gegangen, wenn sie Gewalt und Krieg legitimiert haben. Sie haben 1948 erklärt: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“ Und das entspricht der biblischen Botschaft. Und deshalb ist es für mich auch Gotteslästerung, wenn Patriarch Kyrill jetzt in Russland Waffen segnet. Jeder Mensch ist Gottes Ebenbild. Das gilt auch für Menschen jeden Glaubens.

Der brutale Überfall der Hamas auf Kinder, Frauen und Männer in Israel hat uns erschüttert. Und jetzt sind wir schockiert vom Elend, das Israels Armee im Gazastreifen verursacht. Das muss sofort enden, und das darf nicht durch deutsche Waffen unterstützt werden.

Aber auch das will ich ganz klar sagen: Die Regierung Netanjahu ist nicht Israel, und Israel ist nicht das Judentum. Judenhass und Antisemitismus sind ein Widerspruch zur Friedensbewegung.

Und das will ich klar sagen für manche, die sich jetzt als Friedenspartei gerieren: Auch Ausländerhass und Deportationsfantasien sind mit der Friedensbewegung nicht vereinbar.

Ich stehe hier auch als Großmutter von sieben Enkelkindern. Und wenn ich an diese Kinder denke – an die Kinder in der Ukraine, in Russland, in Israel, in Gaza, im Kongo, im Jemen –, dann sind Milliardeninvestitionen in Rüstung keine Investitionen in die Zukunft von Kindern.

Nein, Kinder brauchen keine Schnupperpraktika bei der Bundeswehr. Sie brauchen Friedenserziehung in den Schulen. Die Zukunft der Kinder auf dieser Welt und in unserem Land wird nicht gesichert durch Rheinmetall.

Die Aktie ist seit 2022 um sagenhafte 2 000 Prozent gestiegen. Mit Rüstung wird viel Geld gemacht. Die Zukunft von Kindern wird gesichert, wenn sie nicht in Armut aufwachsen, wenn sie Zugang zu Bildung haben. Ihre Zukunft wird nicht gesichert durch Atomwaffen; sie wird gesichert durch den Bann aller Atomwaffen und durch Konzepte für friedliches Zusammenleben auf diesem Planeten.

Die Zukunft der Kinder – sie braucht keine Kriegslogik, sie braucht Friedenslogik, weil auch nur so die Klimakatastrophe verhindert werden kann, ohne Krieg.

Zuletzt möchte ich sagen: Ich freue mich, heute hier zu sein. Ich bin schon gefragt worden, was ich hier eigentlich will als Frau von der Kirche. Ich würde gar nicht hierher passen.

Ich finde, heute ist hier – und auch in Berlin – sehr schön sichtbar: Die Friedensbewegung ist ziemlich lebendig. Das ist heute klar geworden.

Wir werden ja alle gerne diffamiert als Putin-Versteher, naiv, wohlstandsverwöhnt, Lumpenpazifisten, Sofapazifisten – wobei auch die, die die Rüstung befürworten, auf dem Sofa bleiben. Das ist auch so.

Aber wir lassen uns nicht beirren. Mehr und mehr Menschen, das zeigt sich heute hier, sind bereit, sich öffentlich dagegen zu wehren, dass Deutschland durch Waffenlieferungen immer mehr Kriegspartei wird.

Wir wollen, dass unser Land sich stark macht für Diplomatie, Verhandlungen, für Friedenskonzepte. Ja, wir wollen nicht kriegstüchtig sein. Friedensfähig wollen wir werden.

Danke.

Alle Reden, Filme, Fotos von der Demonstration am 3. Oktober 2025 in Berlin und in Stuttgart: https://nie-wieder-krieg.org/2025/10/05/reden-filme-fotos-031025/