Seine Exzellenz Herr Pedro Sánchez
Präsident der Regierung
Königreich Spanien

Seine Exzellenz,

im August dieses Jahres sind 75 Jahre seit den Atombombenangriffen auf Hiroshima und Nagasaki vergangen. Ich schreibe Ihnen als Atombombenüberlebende von Hiroshima und aktives Mitglied der Internationalen Kampagne zur Abschaffung der Atomwaffen (ICAN) und Friedensnobelpreisträgerin 2017. Die Atombombenüberlebenden fordern alle führenden Politiker der Welt auf, über den katastrophalen Schaden, den Atomwaffen anrichten, nachzudenken und sich zu verpflichten, diese dringend abzuschaffen.

Als 13-jähriges Schulmädchen wurde ich Zeugin, wie meine Stadt Hiroshima durch den Blitz geblendet, durch die hurrikanartige Explosion flachgedrückt, in der Hitze von 4.000 Grad Celsius verbrannt und durch die Strahlung einer Atombombe verseucht wurde. Ein heller Sommermorgen ging in die dunkle Dämmerung über, Rauch und Staub stiegen in der Pilzwolke auf, Tote und Verletzte bedeckten den Boden, bettelten verzweifelt um Wasser und erhielten keinerlei medizinische Versorgung. Der sich ausbreitende Feuersturm und der üble Gestank von verbranntem Fleisch erfüllte die Luft.

Wie durch ein Wunder wurde ich aus den Trümmern eines eingestürzten Gebäudes gerettet, das etwa 1,8 Kilometer von der Einschlagstelle entfernt war. Die meisten meiner Klassenkameraden im selben Raum wurden bei lebendigem Leib verbrannt. Ich höre noch immer ihre Stimmen, wie sie ihre Mütter und Gott um Hilfe rufen. Als ich mit zwei anderen überlebenden Mädchen entkam, sahen wir eine Prozession geisterhafter Gestalten, die langsam aus dem Zentrum der Stadt schlurften. Grotesk verwundete Menschen, deren Kleider zerrissen waren oder die durch die Explosion nackt wurden. Sie bluteten, brannten, waren geschwärzt und geschwollen. Es fehlten Körperteile, Fleisch und Haut hingen an ihren Knochen, einige mit den Augäpfeln in den Händen, andere mit aufgeplatzten Bäuchen, aus denen die Eingeweide heraushingen.

In den Wochen, Monaten und Jahren, die folgten, starben noch viele Tausend Menschen, oft auf willkürliche und mysteriöse Weise, an den Spätfolgen der Strahlung. Noch heute tötet die Radioaktivität die Überlebenden. Jede Person, die starb, hatte einen Namen. Jeder Mensch wurde von jemandem geliebt.

In unserem Kampf ums Überleben, beim Wiederaufbau von Leben aus der Asche, sind wir Überlebende, die „Hibakusha“, zu der Überzeugung gelangt, dass kein Mensch jemals unsere Erfahrung des unmenschlichen, unmoralischen und grausamen Atombombenabwurfs erleben sollte, und dass unsere Mission darin besteht, die Welt vor den nuklearen Gefahren zu warnen und den Menschen zu helfen, das ultimative Übel der Atomwaffen zu verstehen. Wir haben einen moralischen Imperativ, die Atomwaffenarsenale abzuschaffen, bevor sie wiedereingesetzt werden, sei es aus Versehen oder durch Absicht. Mit dieser Überzeugung haben wir uns in den letzten sieben Jahrzehnten weltweit für die vollständige Abschaffung von Atomwaffen eingesetzt.

In letzter Zeit ist es die ICAN, die Hoffnung in die Welt getragen hat. Wie Sie sich erinnern, stimmten am 7. Juli 2017 bei den Vereinten Nationen 122 Staaten für die Unterzeichnung des Vertrags über das Verbot von Kernwaffen. Für mich und so viele andere Überlebende der Atombombenangriffe war dies ein Moment großer Freude und neuen Optimismus. Er markierte den Anfang vom Ende der schrecklichsten Waffen, die jemals im Krieg eingesetzt oder auf der Erde und unter Wasser getestet wurden. Als ich später in diesem Jahr nach Oslo reiste, um gemeinsam den Friedensnobelpreis entgegenzunehmen, der ICAN für unsere Arbeit zur Verwirklichung dieses wichtigen Vertrags verliehen wurde, bemerkte ich, dass alle verantwortungsbewussten, rechtschaffenen Staatsoberhäupter den Vertrag unterzeichnen und ratifizieren werden, und die Geschichte wird diejenigen, die das nicht tun, hart verurteilen. Ich stelle erfreut fest, dass der Vertrag nun drei Viertel des Weges zur Erreichung der 50 für das Inkrafttreten erforderlichen Ratifizierungen zurückgelegt hat.

Herr Premierminister Sánchez, im Februar dieses Jahres bin ich mit meinen Kollegen der ICAN nach Spanien gereist, um unsere Arbeit für die Abschaffung der Atomwaffen voranzutreiben. Ich war immens beeindruckt von den Hunderten von spanischen Bürgern, mit denen ich zusammentraf, die die globale nukleare Abrüstung unterstützen – darunter auch die Bürgermeisterin von Barcelona, Frau Ada Colau, die während unseres Besuchs den ICAN-Städteappell unterzeichnet hat. Ebenso beeindruckt war ich von der Begegnung mit Ihren Regierungskollegen, die sich für die nukleare Abrüstung einsetzen. Mehrere von ihnen traf ich persönlich am 26. April, als ich vor dem spanischen Kongress sprach. Es ist für mich bemerkenswert zu verstehen, wie viele spanische Bürger und Regierungsvertreter sich für die Abschaffung von Atomwaffen einsetzen.
Mein Besuch in Barcelona und Madrid fand kurz vor dem Lockdown der großen europäischen Hauptstädte statt. Inzwischen sind weltweit Hunderttausende von Menschen an der Coronavirus-Pandemie gestorben. Selbst in dieser beispiellosen Krisenzeit halten die atomar bewaffneten Staaten die Welt unter der Bedrohung der atomaren Vernichtung weiterhin als Geiseln, während sie gleichzeitig Milliarden von Dollar verschwenden, anstatt menschliche Bedürfnisse zu befriedigen.

Obwohl Spanien Mitglied der NATO ist, ist es dennoch bemerkenswert, dass Sie sich vor zwei Jahren während einer Haushaltsverhandlung mit dem Vorsitzenden der Podemos-Partei, Pablo Iglesias, zur Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrags verpflichtet haben. Die versprochene Unterschrift Spaniens wird zu einer tiefgreifenden Vorwärtsbewegung für diesen Vertrag unter den NATO-Staaten führen – und damit eine Zukunft der NATO ohne Atomwaffen ankündigen.

Meine Kollegen der ICAN haben festgestellt, dass es keine rechtlichen Hindernisse für NATO-Staaten gibt, dem TPNW beizutreten. Daher hoffe ich, dass Spanien bald die notwendigen Schritte zur Unterzeichnung und Ratifizierung dieses Vertrags unternehmen wird. Dies stünde im Einklang mit der seit langem bekundeten Unterstützung Ihres Landes für die nukleare Abrüstung. Es ist meine feste Überzeugung und die jüngste Erfahrung, dass die Mehrheit der spanischen Bürgerinnen und Bürger eine Welt ohne Atomwaffen wünscht. Der Vertrag verkörpert die Verpflichtung der internationalen Gemeinschaft, dafür zu sorgen, dass keine andere Stadt jemals das gleiche Schicksal erleiden wird wie meine. Ich fordere Sie dringend auf, die Opfer und Überlebenden der Atombombenanschläge von Hiroshima und Nagasaki sowie alle, die von den Atomtests betroffen waren, insbesondere die indigene Bevölkerung in der ganzen Welt, zu ehren, indem Sie unverzüglich Maßnahmen ergreifen, um Vertragspartei zu werden.

Ich möchte Ihnen, Exzellenz, meine höchste Wertschätzung versichern.

Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Anita Köbler vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!