Israel führt im besetzten Gazastreifen eine gezielte Politik der Aushungerung durch und zerstört systematisch die Gesundheit, das Wohlergehen und das soziale Gefüge der palästinensischen Bevölkerung. Dies erklärte Amnesty International heute bei der Veröffentlichung neuer erschreckender Zeug*innenaussagen von Hungernden.

Die Berichte von Hungernden aus dem Gazastreifen unterstreichen die wiederholten Erkenntnisse von Amnesty International, dass die tödliche Kombination aus Hunger und Krankheit kein bedauerlicher Nebeneffekt der israelischen Militäroperationen ist. Es ist das beabsichtigte Ergebnis von Plänen und Strategien, die Israel in den letzten 22 Monaten entwickelt und umgesetzt hat, um den Palästinenser*innen im Gazastreifen absichtlich Lebensbedingungen zu auferlegen, die auf ihre physische Zerstörung abzielen – was Teil des anhaltenden Völkermords Israels an der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen ist.

«Angesichts der Drohung der israelischen Behörden, eine gross angelegte Bodenoffensive in Gaza-Stadt zu starten, sind die von uns gesammelten Berichte weit mehr als nur Schilderungen von Leid. Sie sind eine scharfe Anklage gegen ein internationales System, das Israel seit Jahrzehnten fast völlige Straffreiheit bei der Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung gewährt», sagte Erika Guevara Rosas, Direktorin für Recherche, Advocacy, Politik und Kampagnen bei Amnesty International.

Die Auswirkungen der Blockade Israels auf die Zivilbevölkerung, insbesondere auf Kinder, Menschen mit Behinderungen, chronisch Kranke, ältere Menschen sowie schwangere und stillende Frauen, sind katastrophal und können nicht einfach durch eine Erhöhung der Zahl der Hilfslieferungen oder die Wiederaufnahme der symbolischen, ineffektiven und gefährlichen Abwürfe von Hilfsgütern aus der Luft rückgängig gemacht werden.

«Gesundheitseinrichtungen müssen mit den für ihren Betrieb notwendigen Hilfsgütern und Geräten ausgestattet werden. Die Zivilbevölkerung muss von der ständigen Gefahr der Massenvertreibung befreit werden. Vertrauenswürdigen humanitären Organisationen muss es ermöglicht werden, Hilfe und Unterkunft sicher und ohne willkürliche Einschränkungen zu leisten, unter Achtung der Würde und Menschlichkeit der Zivilbevölkerung. Am dringendsten muss jeder Plan zur Festigung der Besatzung des Gazastreifens oder zur Ausweitung der Militäroffensive gestoppt werden», sagte Erika Guevara Rosas.

«Während sich Staats- und Regierungschefs der Welt in rhetorischen Posen üben, setzt Israel seine gezielte und systematische Aushungerungspolitik fort und fügt einer ganzen Bevölkerung unerträgliches Leid zu. Palästinensische Kinder werden dem Verhungern überlassen, wodurch Familien vor eine unmögliche Wahl gestellt werden: entweder hilflos die Schreie ihrer ausgemergelten Kinder zu hören, die um Essen flehen, oder auf der verzweifelten Suche nach Hilfe Tod oder Verletzungen zu riskieren.»

In den letzten Wochen hat Amnesty International 19 Palästinenser*innen befragt, die derzeit in drei provisorischen Lagern für Binnenvertriebene leben, sowie zwei medizinische Mitarbeiter*innen, die unterernährte Kinder in zwei Krankenhäusern in Gaza-Stadt behandeln.

In einer am 29. Juli 2025 veröffentlichten Warnung erklärte die Integrated Food Security Phase Classification (IPC), dass in den meisten Teilen Gazas die Hungerschwelle erreicht sei und dass sich das Worst-Case-Szenario einer Hungersnot bereits abzeichne und die Zahl der Menschen, darunter auch Kinder, die an Hunger sterben, weiter steigen werde. Diese alarmierende Realität spiegelte sich in den Daten des Nutrition Cluster wider, wonach im Juli fast 13’000 Fälle von Kindern mit akuter Unterernährung zur Behandlung aufgenommen wurden, die höchste monatliche Zahl seit Oktober 2023. Davon waren mindestens 2.800 (22 %) Fälle von schwerer akuter Unterernährung. Bis zum 17. August verzeichnete das Gesundheitsministerium in Gaza den Tod von 110 Kindern an den Folgen von Unterernährung.

Die israelischen Behörden haben die unmenschlichen Bedingungen, die sie durch ihre Politik geschaffen haben, noch weiter verschärft, indem sie die Arbeit der meisten grossen humanitären Organisationen und UNO-Einrichtungen in Gaza behindern, unter anderem durch die wiederholte Ablehnung ihrer Anträge auf Einfuhr lebensrettender Hilfsgüter nach Gaza. Diese willkürlichen Beschränkungen gehen einher mit der Einführung neuer Vorschriften für die Registrierung internationaler Nichtregierungsorganisationen, die, wenn sie umgesetzt werden, diesen Organisationen die Arbeit in den besetzten palästinensischen Gebieten vollständig untersagen würden.

Die Auswirkungen auf schwangere Frauen und stillende Mütter

Die kombinierten Auswirkungen der israelischen Politik der Aushungerung, der mehrfachen Zwangsvertreibungen und der Beschränkungen des Zugangs zu lebensrettender Hilfe sind für schwangere und stillende Frauen besonders verheerend. Von den 747 schwangeren und stillenden Frauen, die Save the Children in der ersten Julihälfte in seinen Kliniken untersucht hat, waren 323 (43 %) unterernährt.

Von Amnesty International befragte schwangere und stillende Frauen berichteten von der extremen Knappheit lebensnotwendiger Güter, der qualvollen Realität, als Schwangere oder junge Mutter in einem Zelt in der extremen Sommerhitze zu leben, und dem verzweifelten täglichen Kampf um Nahrung, Babynahrung und sauberes Wasser. Sie äusserten auch Schuldgefühle, weil sie ihre Kinder nicht versorgen konnten, Angst, wer sich um ihre Kinder kümmern würde, wenn sie getötet würden, und Sorge um die Auswirkungen der Unterernährung auf das Wachstum und das Wohlergehen ihrer Kinder.

S. (vollständiger Name auf ihren Wunsch hin zurückgehalten), eine Krankenschwester, die aus Jabalia in das Lager al-Taqwa für Binnenflüchtlinge in Sheikh Radwan, Gaza-Stadt, vertrieben wurde, berichtete von ihrem täglichen Kampf um die Versorgung ihres zweijährigen Sohnes und ihrer sieben Monate alten Tochter. Sie floh, um das Leben ihrer Kinder zu retten. Sie sagte, dass der Hunger Ende April spürbar wurde und sie gezwungen war, die mageren Essensrationen für ihre Kinder aufzuheben, während sie selbst hungerte.

Ende April begann ihre Milchproduktion stark nachzulassen. Da sie keinen Zugang zu Milchpumpen und nur sehr begrenzt Zugang zu Nahrungsergänzungsmitteln für stillende Mütter hatte, litt sie unter enormen körperlichen und seelischen Schmerzen, wenn sie stundenlang versuchte, ihr Kind zu stillen, aber «einfach keine Milch kam». Die tägliche Mahlzeit der Familie besteht, wenn überhaupt, aus einem gemeinsamen Teller Linsen oder Auberginen mit Wasser, wobei S. ihrem Kleinkind den Vorrang gibt. Ihre Kinder schlafen «vor lauter Hunger weinend» ein. Säuglingsnahrung, die in Gaza knapp ist und für drei Tage etwa 270 Schekel (79 Dollar) kostet, ist unerschwinglich. Ihre sieben Monate alte Tochter wiegt nur so viel wie ein vier Monate altes Kind.

Als die Gemeinschaftsküche im Lager drei Tage lang keine Lebensmittel mehr ausgab, konnte S. ihren Kindern nur Wasser geben. Ihr Mann wurde bei der Suche nach Hilfe in der Nähe des Zikim-Übergangs verletzt, woraufhin sie ihn anflehte, nicht mehr dorthin zu gehen. Ihr Sohn, geschwächt vom Hunger, wollte stattdessen Loslaufen und sei hingefallen.«Ich fühle mich als Mutter versagt; der Hunger deiner Kinder gibt dir das Gefühl, eine schlechte Mutter zu sein.»

Der Kampf um die Grundversorgung geht über die Ernährung hinaus. Windeln sind so teuer, sodass S. ihre Kleidung zerreissen muss, um provisorische Windeln herzustellen, die aufgrund des Mangels an sauberem Wasser nicht gewaschen werden können – eine Folge der Zerstörung oder schweren Beschädigung der Wasser- und Abwassersysteme in Gaza. Das Zelt, in dem sie mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern lebt, ist von Ratten, Mücken und Kakerlaken befallen. Ihre kleine Tochter hat eine bakterielle Hautinfektion, die sie nicht behandeln kann, weil Antibiotika und Salben nicht verfügbar sind.

Humanitäre Helfer*innen zweier Organisationen, die anonym mit Amnesty International sprachen, berichteten, dass die Anträge ihrer Organisationen auf die Einfuhr von Antibiotika vom Koordinator für Regierungsaktivitäten in den Gebieten (COGAT) abgelehnt wurden, einer Abteilung des israelischen Verteidigungsministeriums, die für die Bearbeitung von Anträgen auf Koordinierung und Genehmigung der Einfuhr von Hilfsgütern zuständig ist.

Die psychischen Folgen des Hungers, darunter Traumata, Schuldgefühle und Scham, teilen auch die schwangeren Frauen, die Amnesty International interviewt hat. Hadeel, 28, Mutter von zwei Kindern und im vierten Monat schwanger, beschrieb ihre Angst um ihr ungeborenes Kind, dessen Bewegungen und Herzschlag sie kaum noch spürt. Sie fühlt sich schuldig wegen ihrer Schwangerschaft, da sie weiss, dass sie sich nicht ernähren kann: «Ich habe Angst vor einer Fehlgeburt, aber ich denke auch an mein Baby: Ich gerate in Panik, wenn ich nur daran denke, welche Auswirkungen mein Hunger auf die Gesundheit des Babys haben könnte, auf sein Gewicht, ob es [Geburtsfehler] haben wird, und selbst wenn das Baby gesund zur Welt kommt, welches Leben es erwartet, inmitten von Vertreibung, Bomben, Zelten…»

Sie fürchtet sich davor, unter diesen Bedingungen zu gebären, und erinnert sich an die umfassende Schwangerschaftsvorsorge, die Vitamine und die medizinischen Untersuchungen, die ihr das UNO-Hilfswerk für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) während ihrer früheren Schwangerschaften gewährt hatte und die nun völlig fehlen. Hadeels Kinder verlangen ständig nach Essen, einem Platz zum Spielen und nach Schule. Mehrere andere Frauen, die Amnesty International für diese und frühere Untersuchungen befragt hat, erklärten, dass sie sich trotz ihres Kinderwunsches aufgrund der Lebensbedingungen und der Bombardierungen in Gaza gegen eine Schwangerschaft entschieden hätten.

Die Interviews von Amnesty International mit vertriebenen Palästinenser*innen in drei Flüchtlingslagern in Gaza-Stadt zeigen die enorme Notlage in der Bevölkerung. Seit mindestens einem Monat hatte keine der Frauen Eier, Fisch, Fleisch, Tomaten oder Gurken gegessen; die meisten hatten seit mehreren Monaten keine solchen Lebensmittel mehr zu sich genommen.

Diese weit verbreitete Knappheit an frischen und nahrhaften Lebensmitteln ist sowohl auf die erdrückende Blockade Israels als auch auf die systematische Zerstörung der Nahrungsmittelproduktionsquellen zurückzuführen. Grosse Teile der landwirtschaftlichen Nutzfläche wie auch Geflügel- und anderen Viehzuchtbetriebe wurden durch Beschuss, Bombardierung oder Zerstörung durch manuell gelegte Sprengsätze zerstört.

Eine Bewertung des Satellitenzentrums der Vereinten Nationen (UNOSAT) und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) vom 31. Juli ergab, dass 86 % der Anbauflächen in Gaza zerstört oder schwer beschädigt wurden.

Im Mai 2025 dokumentierte Amnesty International die vollständige Zerstörung der Überreste von Khuza’a östlich von Khan Younis, wo sich einige der fruchtbarsten landwirtschaftlichen Flächen Gazas befinden. Der fehlende Zugang zu Anbauflächen oder deren schwere Beschädigung und Zerstörung haben dazu geführt, dass die Ernteerträge gering sind und Gemüse, wenn überhaupt verfügbar, zu astronomischen Preisen verkauft wird, sodass die Bewohner*innen fast vollständig von den sehr begrenzten Lieferungen abhängig sind, die Israel zulässt.

OCHA stellte am 13. August fest, dass die Preise für viele Waren weiterhin aufgrund von Spekulationen und nicht aufgrund der tatsächlichen Verfügbarkeit schwanken. Ein Kilogramm Tomaten kostete am 14. August fast 80 Schekel (oder 23 US-Dollar), was einer Verzwanzigfachung gegenüber den Preisen vor dem 7. Oktober 2023 entspricht. Nachdem die israelischen Behörden einen Mechanismus für die begrenzte Einfuhr einiger Handelsgüter nach Gaza durch geprüfte Händler genehmigt hatten, sanken die Preise für einige Waren wie Zucker, Datteln, einige Konserven und Mehl, blieben aber fast zehnmal so hoch wie vor dem 7. Oktober.

Auch Fischer sind auf ein kleines, gefährliches Gebiet in der Nähe des Hafens beschränkt und riskieren bei der Fischerei Beschuss oder Verhaftung.

Auswirkungen auf ältere Menschen

Abu Alaa, ein 62-jähriger Vertriebener aus dem Flüchtlingslager Jabalia, berichtete, dass er als einzige Mahlzeit des Tages Linsensuppe aus der Gemeinschaftsküche erhalten habe. Er sagte, dass Brot nur einmal pro Woche verteilt werde, sodass seine Familie es rationieren müsse, und dass er seit Monaten nichts Süsses, nicht einmal Obst, gegessen habe. «Ich kann den Hunger ertragen, aber die Kinder nicht», sagte er.

Abu Alaa sehnt sich nach der Wiederaufnahme der Hilfsgüterverteilung durch die UNRWA. Er beschrieb die Gefahren des derzeitigen Kampfes um Hilfsgüter: «Früher haben wir uns gegenseitig unterstützt, insbesondere diejenigen, die in Not waren. Seit Beginn dieses Krieges lassen sich die Menschen nur noch von ihrem Überlebensinstinkt leiten.»

Der 66-jährige Nahed berichtete Amnesty International, wie der Kampf um Lebensmittel in der Nähe der Hilfsgüterrouten «den Menschen ihre Menschlichkeit genommen hat». Er sagte: «Ich musste dorthin gehen, weil ich niemanden habe, der sich um mich kümmert. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie Menschen Säcke mit Mehl trugen, die mit dem Blut von gerade erschossenen Menschen befleckt waren; sogar Menschen, die ich kannte, waren fast nicht wiederzuerkennen. Die Erfahrung von Hunger und Krieg hat Gaza völlig verändert; sie hat unsere Werte verändert.»

Auch ältere Menschen gehören zu den am stärksten von der Vertreibung Betroffenen. Die 75-jährige Aziza erzählte Amnesty International von ihrem Wunsch zu sterben: «Ich fühle mich wie eine Last für meine Familie. Als wir vertrieben wurden, mussten sie mich im Rollstuhl schieben. Da die Warteschlangen vor den Toiletten in dem Lager, in dem wir leben, extrem lang sind, brauche ich Erwachsenenwindeln, die sehr teuer sind. Ich brauche Medikamente gegen Diabetes, Bluthochdruck und eine Herzerkrankung und musste Medikamente nehmen, die abgelaufen sind. Ich bin der Meinung, dass die kleinen Kinder es verdienen zu leben.»

Tödliche Mischung aus Hunger und Krankheit

Ein Notarzt im al-Shifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt zeichnete ein düsteres Bild. In einem Interview mit Amnesty International am 24. Juli betonte er, dass Menschen mit erhöhtem Risiko – Säuglinge, Kinder mit Vorerkrankungen, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen – unverhältnismässig stark von den kombinierten Auswirkungen des Mangels an Nahrungsmitteln, Medikamenten, sauberem Wasser und Hygiene betroffen sind. Diese Engpässe werden durch den ständigen Zustand der Angst und Not noch verschärft.

Der Mangel an nährstoffreichen Lebensmitteln führt zu leicht vermeidbaren gesundheitlichen Komplikationen. Ein jugendlicher Nierentransplantationspatient erlitt beispielsweise aufgrund von verschmutztem Wasser und unzureichender Ernährung einen Rückfall. Diabetiker*innen, die ihre Erkrankung mit einer strengen Diät kontrollieren konnten, stehen nun aufgrund des Mangels an Lebensmitteln wie Gemüse, Fisch, Huhn und Bohnen sowie aufgrund von Engpässen bei der medizinischen Versorgung vor grossen Herausforderungen.

Der Notarzt sagte, dass die extreme Massenhungersnot andere Gesundheitsnotfälle überschattet habe, insbesondere den alarmierenden Anstieg von Infektions- und durch Wasser übertragenen Krankheiten, wie Meningitis und dem Guillain-Barré-Syndrom (GBS). Er fügte hinzu, dass ein schwerer Mangel an Antibiotika und die extreme Belastung seines nur teilweise funktionsfähigen Krankenhauses das, was er als «unsichtbare Katastrophe» bezeichnete, noch verschlimmert hätten. Er erklärte, dass die Ausbreitung von Krankheiten oder Menschen, die mit chronischen Erkrankungen zu kämpfen haben, die zuvor behandelt wurden, oft unbemerkt bleiben, weil man sich «nur auf die Menge der aufgenommenen Nahrung konzentriert, ohne das Gesamtbild zu betrachten».

GBS ist eine seltene und potenziell lebensbedrohliche neurologische Erkrankung, bei der das Immunsystem beginnt, das periphere Nervensystem anzugreifen. GBS wird durch Virusinfektionen ausgelöst und kann alle Sinne beeinträchtigen, Muskelschwäche verursachen, die Atmung und Herzfrequenz beeinträchtigen und zu Lähmungen führen. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums wurden bis zum 12. August 2025 76 Fälle von GBS registriert, alle im Juli und August. Davon führten vier Fälle zum Tod von Palästinenser*innen, darunter zwei Kinder. Intravenöses Immunglobulin (IVIG), das wichtigste Medikament zur Behandlung von GBS, ist aufgrund der Blockade durch Israel derzeit in Gaza nicht verfügbar.

Die Folgen für Patient*innen und medizinisches Personal sind gleichermassen dramatisch. Die Wunden heilen deutlich langsamer, sodass mittelschwer Verletzte aufgrund ihrer Schwäche durch Mangelernährung zu längeren Krankenhausaufenthalten gezwungen sind. Der Notarzt aus al-Shifa beschrieb eine «vielschichtige, miteinander verflochtene Zerstörung», bei der ein verwüstetes Krankenhaus wie al-Shifa – einst das grösste Spital in Gaza, das nach zwei schweren israelischen Angriffen im November 2023 und März 2024 kaum noch funktionsfähig ist – mit Hunger, zerstörter Infrastruktur, ständigen Bombardierungen und der Gefahr einer weiteren Vertreibung in unhygienische Zelte zu kämpfen hat. Der Arzt berichtete Amnesty, dass dieser andauernde und allgegenwärtige Krisenzustand das medizinische Personal erschöpft.

«Eine ohnehin schon katastrophale Lage droht sich noch weiter zu verschärfen, wenn Israel seinen Plan umsetzt, eine gross angelegte Bodenoffensive in Gaza-Stadt zu starten. Eine solche Militäroperation würde den beiden in der Stadt tätigen Zentren zur Bekämpfung von Unterernährung und den bereits stark dezimierten Gesundheitseinrichtungen einen verheerenden und irreversiblen Schlag versetzen», sagte Erika Guevara-Rosas.

Nach der Zustimmung des israelischen Kabinetts zu dem Plan, die Besetzung des Gazastreifens durch eine Offensive auf Gaza-Stadt zu festigen, sagte ein Binnenflüchtling aus dem Flüchtlingslager Jabalia: «Ich wurde in diesem Krieg bereits 14 Mal vertrieben; ich habe keine Kraft mehr zu fliehen; ich habe kein Geld, um meine beiden behinderten Kinder zu transportieren. Meine Muskeln schmerzen, ich bin zu erschöpft, um zu gehen, geschweige denn meine Kinder zu tragen. Wenn sie die Stadt angreifen, werden wir einfach hier sitzen und auf den Tod warten.»

Als Besatzungsmacht ist Israel gesetzlich verpflichtet, Zivilist*innen zu schützen und für die Zivilbevölkerung zu sorgen, unter anderem durch die Erleichterung der Einfuhr lebensnotwendiger Güter, die sichere und würdige Verteilung von Hilfsgütern und den ungehinderten Zugang zu Nahrungsmitteln und medizinischer Versorgung in ganz Gaza. Hunger darf niemals als Kriegswaffe eingesetzt werden, und die UNRWA und andere UNO-Organisationen sowie humanitäre Organisationen müssen sicheren und ungehinderten Zugang zu ganz Gaza haben.

«Angesichts der Gräueltaten, die Israel der palästinensischen Bevölkerung in Gaza antut, muss die internationale Gemeinschaft, insbesondere Israels Verbündete, darunter die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten, ihren moralischen und rechtlichen Verpflichtungen nachkommen, um den anhaltenden Völkermord zu beenden. Die Staaten müssen dringend alle Waffenlieferungen aussetzen, gezielte Sanktionen verhängen und jegliche Zusammenarbeit mit israelischen Stellen einstellen, wenn dies zu Israels Völkermord an den Palästinenser*innen in Gaza beiträgt», forderte Erika Guevara Rosas.

Der Originalartikel kann hier besucht werden