Anlässlich des Welttierschutztages am 4. Oktober hat die Tierschutzorganisation VIER PFOTEN Österreich einen Offenen Brief an Bundeskanzler Nehammer und seine Minister Rauch (Gesundheit und Konsumentenschutz) und Totschnig (Landwirtschaft) veröffentlicht, um aktive Unterstützung und Umsetzung der versprochenen und längst überfälligen Reform der EU-Richtlinien zum Tierschutz anzumahnen.

Millionen von Tieren leiden in der EU in einem skrupellosen und grausamen Haltungssystem, das fühlende Wesen wir Ware behandelt und zudem in unsinnige Im- und Exporte mündet. In seinem Newsletter zum Welttierschutztag betonte VIER PFOTEN:

„In der EU herrscht ein schreckliches Spiel aus Import und Export – und das leider oft auf Kosten des Tierwohls. In Österreich wäre zum Beispiel der Bedarf an Rind- und Schweinefleisch mit der Eigenerzeugung mehr als gedeckt. Trotzdem wurden 2021 22 Millionen Tiere importiert und 25,8 Millionen exportiert – oft stundenlang bei viel zu wenig Platz, Hitze und ohne Wasser!“

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Die im Newsletter enthaltene Graphik zeigt am Beispiel Österreich, wie absurd das System ist. Unvergessen ist auch die Tragödie der zwei Frachtschiffe „ElBeik“ und „Karim Allah“, auf denen tausende junge Rinder monatelang auf hoher See unterwegs waren, nur um dann wieder in die EU zurückzukehren und dort aufgrund ihres miserablen Gesundheitszustands notgeschlachtet zu werden, wenn sie nicht schon während des Transportes qualvoll starben.

Trotz der katastrophalen Zustände scheinen noch immer keine Konsequenzen gezogen worden zu sein, unzulängliches bestehendes EU-Recht im Bezug auf Lebenstiertransporte wird gebrochen. Der Offene Brief an die österreichische Regierung steht somit beispielhaft für das, was auch andere EU-Länder endlich von der EU-Kommission einfordern sollten.

Offener Brief

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Nehammer!
Sehr geehrter Herr Bundesminister Rauch!
Sehr geehrter Herr Bundesminister Totschnig!

Im Vorfeld der Informellen Tagung der europäischen Staats- und Regierungschefs am 6. Oktober 2023 wenden wir uns mit einem dringenden Anliegen an Sie.

Die EU-Kommission hat in den letzten Jahren im Rahmen des „Green Deals“ und im Speziellen der „Farm to Fork“-Strategie Tierschutz explizit als Priorität eingestuft. Die Rede zur Lage der Union von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 13. September 2023 war daher eine herbe Enttäuschung: Längst überfällige Vorhaben der Union zur Verbesserung des Tierwohls wurden von ihr völlig ausgeklammert. Und das, obwohl Millionen von Tieren in der EU täglich unsägliches Leid erfahren – sei es durch die industrielle Massentierhaltung, die tierquälerischen Lebendtiertransporte oder gängige Praktiken der Schlachtung, bei der sie am Ende ihres kurzen Lebens systematisch misshandelt werden.

Die Kommission selbst hat sich das Ziel gesetzt, die Richtlinien für die Haltung, den Transport, die Schlachtung und die Kennzeichnung tierischer Lebensmittel zu überarbeiten. Die Abkehr von diesem Vorhaben ist nicht nur aus Tierschutzsicht ein katastrophaler Rückschlag, sie ist auch eine Missachtung der zentralen Anliegen der europäischen Bürgerinnen und Bürger. Millionen von Menschen haben in den vergangenen Jahren zwei wichtige Europäische Bürgerinitiativen unterschrieben, zum einen „End the Cage Age“ mit dem Ziel, die verbreitete Käfighaltung in der EU zu beenden, zum anderen „Fur Free Europe“, die ein Verbot der EU-weiten Haltung und Tötung von Tieren zur Pelzgewinnung fordert.

Auch die Österreicherinnen und Österreicher haben ihren Willen zu einer Verbesserung des Tierschutzes in der Europäischen Union klar bekundet. So hat sich in einer Online-Umfrage, die VIER PFOTEN Anfang des Jahres 2023 zum Thema Lebendtiertransporte durchführte, eine überwältigende Mehrheit von 93 Prozent der Bevölkerung in Österreich für eine Überarbeitung des gesetzlichen Status Quo in der Europäischen Union ausgesprochen.

Darüber hinaus haben EU-Bürgerinnen und -Bürger das Recht auf eine transparente und einheitliche Kennzeichnung von tierischen Lebensmitteln. 73 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher wünscht sich eine solche Kennzeichnung nicht nur nach der Herkunft, sondern auch nach der Haltungsform der Tiere, wie eine 2019 von VIER PFOTEN in Auftrag gegebene Integral-Studie ergab.

Angesichts dieser klaren Forderungen der europäischen Bevölkerung und im Hinblick auf die derzeit völlig unzureichenden EU Richtlinien, die fühlende Lebewesen auf unmenschliche Weise zur reinen Ware degradieren, fordern wir Sie mit diesem Schreiben auf, sich sowohl bei der Informellen Tagung der europäischen Staats- und Regierungschefs am 6. Oktober 2023 als auch im Rahmen Ihrer Kompetenzen als Bundeskanzler und zuständige Minister auf EU-Ebene für die Anliegen der Tiere sowie der Konsumentinnen und Konsumenten stark zu machen.

Denn noch gibt es die Chance, dass die EU-Kommission trotz der fehlenden Ankündigung die konkreten Gesetzesvorhaben dem EU-Parlament und dem Rat der EU vorlegt, die danach eine genaue Prüfung vornehmen und letztlich abstimmen werden. Umso wichtiger ist es, dass die Mitgliedsstaaten jetzt eine klare Aufforderung an die Europäische Kommission aussprechen.

Es steht viel auf dem Spiel. Die EU hat es in der Hand, das Leben von Millionen Tieren zu verbessern. Sie hat es ebenso in der Hand, den Willen der europäischen Bevölkerung zu berücksichtigen. Und nicht zuletzt geht es um die Glaubwürdigkeit der gesamten Union: Denn sollte die Reform der Tierschutz-Richtlinien nicht wie angekündigt umgesetzt werden, bedeutet dies einen Bruch des Versprechens, das im Rahmen des „Green Deal“und der „Farm to Fork“ Strategie gegeben wurde.

Tiere haben ein Recht, von uns mit Respekt, Mitgefühl und Verständnis begegnet zu werden. Wenn die Politik nicht endlich handelt, um dem alltäglichen systematischen Quälen von Tieren einen Riegel vorzuschieben, haben wir als Staatengemeinschaft kläglich versagt. Wir fordern Sie daher dringend auf, eine längst überfällige Reform der entsprechenden EU-Richtlinien aktiv zu unterstützen!

Mit freundlichen Grüßen,

Eva Rosenberg
Direktorin VIER PFOTEN Österreich

Video

Das folgende Zeichentrickvideo von VIER PFOTEN zeigt beispielhaft den kurzen und qualvollen Lebensweg eines in Österreich geborgenen männlichen Kalbes, einem ungewollten Nebenprodukt in der Milchwirtschaft, von der Geburt über den Aufenthalt in einem Mastbetrieb im Ausland bis zur Verschiffung und Schlachtung in Übersee (ca. 2:30 Min.):

VIER PFOTEN ist die globale Tierschutzorganisation für Tiere unter direktem menschlichem Einfluss, die Missstände erkennt, Tiere in Not rettet und sie beschützt. Die 1988 von Heli Dungler und Freunden in Wien gegründete Organisation tritt für eine Welt ein, in der Menschen Tieren mit Respekt, Mitgefühl und Verständnis begegnen. Im Fokus ihrer nachhaltigen Kampagnen und Projekte stehen Streunerhunde und -katzen sowie Heim-, Nutz- und Wildtiere – wie Bären, Großkatzen und Orang-Utans – aus nicht artgemäßer Haltung sowie aus Katastrophen- und Konfliktzonen. Mit Büros in Australien, Belgien, Bulgarien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Kosovo, den Niederlanden, Österreich, der Schweiz, Südafrika, Thailand, der Ukraine, den USA und Vietnam sowie Schutzzentren für notleidende Tiere in elf Ländern sorgt VIER PFOTEN für rasche Hilfe und langfristige Lösungen. www.vier-pfoten.org