Der Dokumentarfilmemacher Bertram Verhaag kann auf eine 40 Jahre lange Karriere zurück blicken, in der mehr als 140 zum Teil national und international ausgezeichnete Filme entstanden sind. Der Bogen seines Schaffens reicht von Filmen über die Nutzung der Atomenergie bis zur nachhaltigen Landwirtschaft oder der Gentechnik.
Aber auch sozialpolitisch relevante Themen packt er an, wie z.B. Rassismus oder Whistleblower in der Wissenschaft. Über kontroverse Themen können schon mal mehrere Filme zustande kommen, denn Bertram Verhaag möchte sie in ihrer ganzen Reichweite verstehen, um den Zuschauern einen fundierten Überblick zu bieten und die Möglichkeit zu geben, sich eine eigene Meinung zu bilden. Das ist sein Anliegen. „Nomen est Omen“ könnte man meinen, denn seine Firma heißt: DENKmal-Film.
Im Laufe der Zeit hat er das Glück gehabt, lauter Begegnungen mit interessanten und engagierten – mal mehr, mal weniger bekannten – Menschen zu machen. So entstanden Filme, wie z.B. Der Bauer mit den Regenwürmern (2007) mit Sepp und Irene Braun (Bioland-Bauernfamilie aus dem oberbayerischen Dürneck) oder mit Trägern des alternativen Nobelpreises – noch bevor sie den Preis bekamen. Dazu gehören der leider schon verstorbene Percy Schmeiser, dem Verhaag ein „DENKmal“ in David gegen Monsanto errichtet hat oder Hans-Peter Dürr in Der Grenzgänger, Vandana Shiva in Saatgut und Saatgutmultis und Winona La Duke in Die Donnervogelfrau.
Hier spricht er über seine Arbeit.
LW: Bertram, was unterscheidet deine Filme von anderen Produktionen?
BV: Das Besondere an meinen Filmen ist, dass sie nicht alt werden – sie sind grundsätzlich erzählt, ohne Kommentare und ohne aktuellen Bezug – so sind viele Filme von mir auch nach 20 oder 30 Jahren noch aktuell wie z.B. Blauäugig (1996), Der Bauer und Sein Prinz (2013), Der Grenzgänger (1979), Spaltprozesse (1986), etc…
Etwas Besonderes ist auch, dass es in meinen Filmen keine Erzählstimme gibt. Die Geschichte entwickelt sich durch die Aussagen der Protagonisten. Das wirkt sehr viel intensiver als ein Kommentar, der bei einem Ohr rein und beim anderen wieder raus geht. Meine Protagonisten treffen in Herz und Seele der Zuseher und werden nicht nur als Stichwortgeber missbraucht.
LW: Du scheinst dich vorwiegend auf das Format Dokumentarfilme festgelegt zu haben?
BV: Auch wenn ich am meisten Dokumentarfilme gemacht habe, sind darunter zehn abendfüllende Kino-Produktionen. Ich stelle Menschen in den Mittelpunkt meiner Filme, um sie zu porträtieren, weil sie sich bei gesellschaftlichen Fragen einmischen. Auf diese Weise hoffe ich, mit meinen Filmen Mut zu machen. Niemand sollte sich ohnmächtig dem Dogma unterwerfen „…da kann man sowieso nichts machen!“
Mit meinen Filmen erzeuge ich Produkte, die einen hohen gemeinschaftlichen Nutzen für alle haben. Ich beteilige mich an der „Bewegung“ unserer Gesellschaft hin zu mehr Menschlichkeit, Respekt vor der Natur und den Naturgesetzen, zu Nachhaltigkeit und Mut, sich einzumischen.
LW: Der Begriff Nachhaltigkeit ist dir wichtig, wird aber aktuell von vielen als eine „nicht nachhaltige Nachhaltigkeit“ gesehen. Was verstehst du unter Nachhaltigkeit?
BV: Seit Hans-Peter Dürr den Begriff Nachhaltigkeit in den 80er Jahren in Anlehnung an die Forstwirtschaft für einen allgemeinen Gebrauch „in Verkehr“ gebracht hat, habe ich fast 20 Filme zur Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft gemacht. Zum Thema Nachhaltigkeit gehören aber auch meine 5 Filme zur Auseinandersetzung um die WAA in Wackersdorf, die sicher dazu mit beigetragen haben, die Nutzung der Atomenergie in Deutschland zu beenden.
Und nachhaltig sind auch meine 10 Filme gegen die Gentechnik, weil sie das Bewusstsein wecken und die Konsumenten kritischer machen. Ich möchte den Zuschauern ökologische Themen nahebringen und alle meine Filme ziehen Querverbindungen zwischen Ökologie, Umwelt, Klima und auch Ökonomie, denn alles hängt mit allem zusammen. Dies zeigen wir insbesondere auch in unserem neuesten Film: Und es geht doch… Agrarwende JETZT!, der gerade erst im Kino angelaufen ist. Nach fast allen Vorführungen gab es anhaltenden Beifall und spannende Diskussionen, die die Wirksamkeit meiner Arbeit zeigen.
LW: Wie würdest du am besten deine Arbeitsweise bezeichnen?
BV: Ich möchte mit meinen Dokumentarfilmen nicht einfach Wissen vortragen, sondern Bewusstsein wecken und noch mehr: Anregen zum eigenen Denken!
Meine Filme sind subjektiv erzählt, aber ich mache meine Subjektivität im Film erkennbar und täusche keine Objektivität vor (- die ist es sowieso nicht gibt!) Dadurch wird der Zuschauer dazu angeregt oder sogar provoziert, Stellung zu beziehen bzw. sich eine Meinung zu bilden. Vornehmlich zeige ich positive Beispiele von charismatischen und überzeugenden Menschen und keine abstumpfenden Horror- und Schreckensbilder, die das tägliche Fernsehen bevorzugt zeigt.
LW: Danke Bertram!
Eine kleine Auswahl der Filme von Bertram Verhaag:
Wegen der Nähe zur Oberpfalz entstanden in den 80er Jahren fünf Filme gegen die Nutzung der Atomkraft – Thema war der Bau der Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) in Wackersdorf. Der bekannteste wurde „Spaltprozesse“, wobei der Titel nicht nur auf die Spaltung des Atomkerns hinweist, sondern vielmehr auf die Spaltung der Bevölkerung in Befürworter und Gegner dieser Atomanlage.
Einer seiner bekanntesten Filme, „Blue Eyed“ (1996, 80 Min.) über die US-amerikanische Lehrerin und Anti-Rassismus-Aktivistin Jane Elliott, brachte ihm neben 14 internationalen Preisen auch eine Oscar-Nominierung bei der Oscar-Academy in Los Angeles ein: „One Of The Most Outstanding Documentaries Of The Year 1996“.
„Leben außer Kontrolle“ war der erste von inzwischen zehn Filmen gegen die Gentechnik und wurde binnen weniger Monaten zum Standartwerk zum Thema. In einer Reise rund um den Erdball wird dem Zuschauer vor Augen geführt, dass es sich bei der Einführung der Gentechnik in der Landwirtschaft nicht um eine Weiterentwicklung der konventionellen Züchtung, sondern um ein hochriskantes Unterfangen ohne demokratische Legitimation handelt.
„Gekaufte Wahrheit – Gentechnik im Magnetfeld des Geldes“ lief 2011 mit großem Erfolg in deutschen und österreichischen Kinos. „Gekaufte Wahrheit“ ist ein dokumentarischer Thriller über die Freiheit der Wissenschaft. Er zeigt exemplarisch das Schicksal von Wissenschaftlern, die im Bereich Gentechnik forschten und nach Veröffentlichung Gentechnik-kritischer Artikel für ihre Arbeit mit Rufmord und Entzug ihrer Forschungsmittel hart bestraft wurden, wie z.B. Árpád Pusztai und Ignacio Chapela. Sie sind nur zwei Beispiele für viele bedeutende Forscher, deren Karrieren ruiniert wurden.
In den vielen Diskussionen zu seinen Filmen ist Bertram Verhaag immer wieder dem Argument der Gentechnikbefürworter begegnet: „Man kann die 9 Milliarden Menschen auf der Welt nur mit Gentechnik ernähren“. Mit diesem Aberglauben räumt Verhaag in „Code of Survival – oder das Ende der Gentechnik“ gründlich auf.
Da dieses düstere Thema der Gentechnik allein aber schwer erträglich ist, liegt ein zweiter Schwerpunkt in Verhaags Arbeit darin, den Zuschauern Menschen nahe zu bringen, die sehr bewusst, ökologisch, ganzheitlich und nachhaltig Lebensmittel erzeugen und mit ihrem Tun Menschen zum Nachdenken anregen und zu eigenem Handeln ermuntern.
„Der Bauer, der das Gras wachsen hört“ wurde mit neun Preisen, u.a. als „bester ökologischer Film 2010“ ausgezeichnet. Aber auch Filme wie „Der Agrar-Rebell“ oder „Das liebe Rindvieh“ haben schon Kultstatus erreicht und werden als Beispiele für gelungene ökologische Landwirtschaft immer wieder gezeigt.
Verhaags Film „Der Bauer und sein Prinz“ über die Bio-Farm von Prinz Charles und dessen charismatischem Farmmanager David Wilson lief 2014 und 2015 sehr erfolgreich im Kino: 40.000 Besucher sind für einen Dokumentarfilm ein mehr als phantastisches Ergebnis. Auch die Kritiken und die Zuschauer überschlugen sich mit Lob.
Weitere Infos: denkmal.film