Sie ist nicht verschwunden – sie hat sich einfach weiterentwickelt, angepasst und sich in jede Ecke des heutigen Lebens eingenistet.
Wenn der ehemalige US-Präsident Trump – der Chef-Diskriminator – in Aufruhr gerät über somalische Einwanderer und sie als „Müll“ bezeichnet, betrachten viele dies als persönlicher Makel, als individuellen Ausbruch von Bigotterie. Wir trösten uns mit dem Gedanken, dass die Gesellschaft solche Barbarei hinter sich gelassen hat, dass unsere Institutionen und Werte Diskriminierung als kulturelles Mittel zur Herabwürdigung von Menschen überwunden haben.
Und auf den ersten Blick scheint das wahr zu sein. Wir feiern Martin Luther King Jr. mit einem nationalen Feiertag. Getrennte Toiletten gibt es nicht mehr; Afroamerikaner nehmen führende Rollen im öffentlichen Leben ein. Belästigung am Arbeitsplatz, was einst als normal galt, ist nun strafbar.
Doch diese Symbole des Fortschritts können die Illusion erzeugen, dass Diskriminierung besiegt wurde. Trumps Rhetorik ist altmodisch – deutlich, feindselig, laut. Doch die heutige Diskriminierung funktioniert oft ganz anders. Was, wenn sie überhaupt nicht verschwunden ist, sondern still und leise ihre Form verändert hat? Was, wenn es sich an moderne Normen angepasst hat, und dabei seine Macht und Präzision bewahrt hat?
Betrachten wir zum Beispiel die Rechte von Menschen mit Behinderungen.
Gebäude mögen dem Behindertengleichstellungsgesetz entsprechen, doch Unternehmen in ihnen beschäftigen nur selten Menschen mit Behinderungen, und wenn doch, dann ist es oft eher symbolisch als substanziell. Die Barrierefreiheit hat sich verbessert, aber Inklusion ist nicht im gleichen Tempo gefolgt.
Oder schauen wir uns die Finanzbranche von New York City an – Morgan Stanley, Goldman Sachs, AIG und andere. Diese Institutionen arbeiten mit einer Mischung aus schriftlichen Richtlinien und ungeschriebenen Kulturerwartungen, die bestimmen, wer eingestellt wird, wer aufsteigt und wer hineinpasst. Über diese ungeschriebenen Normen wird selten offen gesprochen, nichtsdestotrotz gelten sie als weithin bekannt und konsequent eingehalten.
Eine solche Norm ist im Stillen, doch unverkennbar, vorhanden. Sie werden so gut wie nie eine übergewichtige Person im Finanzbereich sehen, sei es im Investmentbanking, an den Handelstischen oder in anderen prominenten Positionen. Dies ist Diskriminierung in ihrer modernen Form: subtil, kulturell bestärkt und effektiv, ohne sich jemals ankündigen zu müssen.
In Wahrheit zieht sich Diskriminierung durch unser tägliches Verhalten. Die Armen urteilen über die Reichen, die Reichen über die Armen. Nordamerikaner diskriminieren gegen Latinos, Weiße gegen Farbige, Stadtbewohner:innen gegen Landbewohner:innen, Republikaner:innen gegen Demokrat:innen, und Demokrat:innen gegen Republikaner:innen. Und das bevor wir in religiöse Sphären eintauchen.
Wir sehen überall gesellschaftlich sanktionierte Hierarchien: das Stereotyp des/der „faulen“ Angestellten im öffentlichen Dienst gegenüber dem/der „produktiven“ Berufstätigen aus dem Privatsektor; der Ausschluss „armer Kinder“ in öffentlichen Schulen im Gegensatz zum Lob für „coole Kinder“ in privaten Einrichtungen. Diese Vorurteile sind nicht harmlos – sie prägen Richtlinien, Erwartungen und Lebensbahnen.
Wenn wir uns einig sind, dass Diskriminierung so weit verbreitet, so alt und so widerstandsfähig ist, dann wird für uns die tiefere Frage unvermeidlich: Was ist ihr Ursprung? Wie repliziert sie sich, still, unerbittlich, Jahrhundert um Jahrhundert?
Die Wissenschaft hat enorme Ressourcen investiert, um die Ursprünge des Lebens, des Universums und des Bewusstseins zu verstehen. Doch die Ursprünge der Diskriminierung, eine der universellsten und destruktivsten Verhaltensweisen der Menschheit, bleiben auf struktureller Ebene weitgehend unerforscht. Wir haben einst akademische Fachgebiete geschaffen, um Genetik, Psychologie, Anthropologie und Neurowissenschaften zu verstehen. Vielleicht brauchen wir heute ein neues: eine Abteilung für Studien der Diskriminierung, eine Disziplin, die sich nicht nur der Dokumentation der Ergebnisse von Diskriminierung widmet, sondern der Untersuchung ihrer Wurzeln, Mechanismen und ihrer tiefen psychologischen und sozialen Reproduktion.
Wir müssen uns einer beunruhigenden Möglichkeit stellen: Ist unser Selbstbewusstsein gebaut auf den Gegensatz zu anderen? Definieren wir, wer wir sind, indem wir negieren, wer wir nicht sind? Wenn ja, ist Diskriminierung nicht nur ein gesellschaftlicher Mangel. Vielleicht ist es eine strukturelle Verzerrung, die in der menschlichen Identität selbst verankert ist und nicht nur prägt, wie wir andere wahrnehmen, sondern auch uns selbst.
Erkennen wir, von wieviel Diskriminierung unsere täglichen Reaktionen, Urteile und Narrative noch immer durchdrungen ist? Meistens sehen wir es nicht.
Martin Luther Kings berühmte Zeile inspiriert weiterhin:
„Ich habe einen Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach dem Wesen ihres Charakters beurteilt werden.“
Aber haben wir diese Worte jemals wirklich durchdrungen – das Wesen ihres Charakters? Schulen wir das? Praktizieren wir das? Verstehen wir das? Wenn jemand fragen würde: „Was ist das Wesen Deines Charakters?“ – Was würdest Du sagen?
Seit Jahrhunderten versucht die Gesellschaft, Diskriminierung extern zu regulieren, durch Gesetze, Richtlinien und Reformen. Diese sind notwendig, aber nicht ausreichend. Der neue Horizont ist intern: die Strukturen zu transformieren, die die Wahrnehmung prägen, die Geschichten, die wir erben, und die Reflexe, die wir selten überprüfen.
Haben wir den Mut, die sowohl internen als auch externen Kräfte zu demontieren, die Diskriminierung florieren lassen? Wenn wir Diskriminierung nicht an ihren Wurzeln, in Identität, in Kultur, in Bewusstsein, anpacken, wird sie in Tausenden neuer Maskierungen weiter immer wieder auftauchen.
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Ursula Nollenberger vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!









