Unter dem Slogan „Salir de Casa per Gaza/ Leaving Home for Gaza trafen sich vom 10.-19. an die 100 Frauen aus verschiedenen europäischen Ländern auf Initiative der Frauen in Schwarz und der WILPF-Gruppe in Spanien zu einem Camp in Brüssel – in unmittelbarer Nähe der europäischen Institutionen. Ziel war es, der europäischen Politik einen Spiegel für ihre Verantwortung im Gazakrieg vorzuhalten, Gerechtigkeit in der Aufarbeitung des Genozids einzuklagen und um sich mit Menschen aus der Region auszutauschen. Die humanitäre Versorgung nach dem Waffenstillstandsdeal reiche nicht aus. Palästinenser*innen müssten an allen Verhandlungen über ihre Zukunft beteiligt sein. Die Message der versammelten Frauen war klar: internationale Solidarität ist der Schlüssel, Wege zu einem dauerhaften Frieden und für ein menschenwürdiges Leben in der gesamten Region zu ebnen. Das muss jetzt anlaufen.

Der Widerstand ist eine gemeinsame Aufgabe

Da ist zunächst die Solidarität mit den Menschen, den Frauen und Kindern, ihrem unermesslichen Leiden unter Hunger und Bombardierungen. Da ist die lange Geschichte der Besatzung und der vielfältigen Gewalt. Zuhören war also ein erster Schritt im Camp: Wir trafen Familien und Kinder, die Unaussprechliches gesehen und erlebt haben in diesem Krieg. Sie werden ihre Traumata, den Verlust von Menschen, Sicherheiten, Lebensplanungen, gewohnter Umgebung in ihr weiteres Leben mitschleppen – auch wenn sie nun im „glücklichen?“ Exil gelandet sind. Ihre Stimmen zu verstärken als Warnung an alle Kriegstreiber ist das Eine. Weiter für eine gemeinsame Zukunft zu arbeiten und die Hoffnung und das Träumen von einer besseren Zukunft spürbar nicht aufzugeben haben, ist das Andere.

Da ist die Notwendigkeit eines gemeinsamen und vielstimmigen Widerstands in Europa und weltweit gegen Militarisierung, Aufrüstung, für soziale Gerechtigkeit und eine andere Wirtschaftsform. Es geht um die Ablehnung aller Formen von Gewalt zur aktiven Konfliktlösung, durch wen auch immer. Das schließt für uns Frauen den Schutz vor und die Aufarbeitung sexueller und sexualisierter Gewalt explizit mit ein. Mit Gewaltprävention ist ein Glaube an mögliche Veränderungen verbunden. Er kommt zweifellos zunächst aus Nischen, wo Menschen sich engagieren für praktische und politische Lösungen und auf ständig sich verändernden Bedingungen reagieren. Sie halten Visionen lebendig, während von offizieller israelischer Seite und ihren internationalen Verbündeten die Dialog- und Protestmöglichkeiten gerade wieder drastisch eingeschränkt werden und diese auch einer gewalttätigen Hamas-Führung aus dem Blickfeld geraten sind. Gespräche über diese Visionen und ihre Umsetzung waren inspirierend und können so auch besser in Parlamente und Entscheidungsinstitutionen transportiert werden.

Sahar Vardi, junge israelische Aktivistin, die 2008 den Militärdienst verweigert hat und dafür ins Gefängnis gegangen ist, sprach mit der Gruppe über praktische Möglichkeiten und gemeinsame Aktionen mit Palästinenser*innen, z. B. über „protected presence“/ Präsenz zum Schutz der palästinensischen Bevölkerung, Begleitung über Checkpoints, Zugang zu Schule, Ärzten, Schutz und Hilfe bei der Olivenernte, Schutz vor Siedlerangriffen und bei Demonstrationen z. B. in der Region der Westbank in der der Oscargekrönte Film „No Other Land“ gedreht wurde.

Reem Hazzan, Palästinenserin mit israelischer Staatsbürgerschaft aus Haifa, linke Aktivistin und Mutter von drei Kindern sprach einerseits von den Privilegien bezüglich Mobilität und anderen Rechten mit ihrem Pass und der Mehrsprachigkeit (Hebräisch-Arabisch-Englisch u.a.), aber auch von den Problemen als Palästinenserin im jüdischen Staat und seiner Apartheidpolitik.

Beide freundschaftlich verbundene Frauen arbeiten mit einem gemeinsamen Narrativ: gegen die jahrzehntelange Besatzungspolitik, die Militarisierung und Abschottung der Bevölkerungen voneinander und ihre logische Einordnung des Gazakriegs als Genozid. Sie halten ganz bewusst europäischen politischen Vertreterinnen den Spiegel für die Komplizenschaft ihrer Regierungen vor. Gleichzeitig leisten sie auch Überzeugungsarbeit bei der israelischen Bevölkerung, für einen Regierungs- bzw. Politikwechsel zu stimmen – Veränderungen auf die man dann natürlich auch genau schauen müsse. Sie sprachen davon, dass ein breiterer politischer Horizont für mögliche Veränderungen aufgemacht werden müsse, um letztlich nicht eine Hegemonie durch eine andere zu ersetzen (z. B. die amerikanische). Wirtschaftskooperationen der kapitalistischen Welt müssten dazu auch auf den Prüfstand. Die UN-Sonderberichterstatterin für die palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese, schaltete sich zu dieser Debatte online dazu.

Was heißt das für uns Europäerinnen? Schweigen, Wegschauen oder Straflosigkeit angesichts der Kriegsverbrechen und der Komplizenschaft am Genozid und allen Gewalttaten – auch der Hamas – darf es nicht geben. Die politischen Führungen dürfen sich auch nicht mit einem schwachen Deal zufriedengeben, ohne weitere Schritte zu fordern, die allein einen gerechten Frieden vorbereiten können. Dazu gehört als Schritt auch, das Assoziationsabkommen der EU mit Israel auf den Prüfstand zu bringen und/oder gleich auszusetzen. Eine Anregung, die durch einen Brandbrief an Ursula von der Leyen unterstützt wurde.

Was ist die Zukunft? Woher kommt ein Hoffnungsschimmer?

Übereinstimmung herrscht dazu: Der Trump’sche „Deal“ für einen Waffenstillstand beinhalte übereinstimmend Privilegien, basiert auf einer falschen Binarität grundverschiedener Ausgangspunkte in kolonialer Attitüde. Er schaffe eine dringend notwendige momentane Erleichterung aber keine Perspektive für eine nicht-koloniale Zukunft ohne Besatzung. Palästina dürfe kein nordamerikanisches Protektorat werden. Straffreiheit für den Krieg dürfe es nicht geben und Siedlungspolitik müsse stoppen.

Eine Zwei-Staaten-Lösung müsse – trotz aller Schwierigkeiten in der Realität vor Ort – zunächst unterstützt werden. Dazu brauche es den erklärten politischen Willen aller europäischer Staaten, auch Deutschlands. Auf palästinensischer Seite bedürfe es anerkannter Vertreter*innen für Verhandlungen. Ein möglicher Schritt dazu wäre die sofortige Freilassung Marwan Barghoutis als anerkannter Vertreter der palästinensischen Sache aus langjähriger israelischer Haft. Die substantielle Beteiligung von (betroffenen) Frauen an jeder Art von Verhandlungstischen war aus dem Camp übereinstimmend ein Muss.

Letztendlich sei ein Ende der Besatzung wohl nur zu erreichen durch den Aufbau einer Art „revolutionären“ Pilzgeflechts von (internationalen, basisdemokratischen) Beziehungen, damit auch diejenigen, die die Hoffnung schon verloren hätten wieder Hoffnung schöpfen könnten, sich für Frieden zu engagieren.

Das Friedenscamp diskutiert und verlässt den geschützten Garten

Vielfältigste Gespräche im Saal, offene Türen für Kommunikation, Methoden der Friedensbildung und des gewaltfreien Trainings, gemeinsames Essen, reichten nicht aus, den Anspruch an eine nötige Veränderungsdynamik einzulösen. So drängten die Frauen hinaus, um ihrer Empathie mit den „Verletztlichsten“ Ausdruck zu verleihen. Sie stärkten damit auch ihre Motivation zu kreativen Maßnahmen zivilen Ungehorsams und trugen so ihre Stimmen gegen Aufrüstung, sozialen Kahlschlag und die dramatische Rechtsentwicklung auf die Straße und in die Institutionen.

So verließ sie den geschützten Garten des Friedenscamps zu zahlreichen Aktionen in der Öffentlichkeit. Sie hängten Friedenslosungen an Bäume und Zäune und fanden dafür interessiertes Publikum. Sie trafen sich zu einer Ausstellung und Diskussionen im Haus der Solidarität mit Gazafamilien und einer Flotillateilnehmerin. Sie gesellten sich mit ihren Forderungen zur wöchentlichen Mahnwache der Angestellten der europäischen Institutionen, animierten Passant*innen mit Gesang und Ausdruckstanz am Rande der Bannmeile, umzingelten, mit Kuffiyas verbunden, das Europaparlament, diskutierten dort mit Abgeordneten und belebten eine Pressekonferenz.

Auch umgekehrt kamen Besucherinnen ins Camp: Besonders anregend waren die Gespräche mit Vertreterinnen des spanischen Juristinnenbundes, die zu völkerrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit dem Genozid Stellung bezogen. Die spanische Verkehrsministerin und stellvertretende Regierungschefin Yolanda Diaz – die erst kürzlich selbst von einem Einreiseverbot nach Israel betroffen war – hat das Camp ebenso besucht wie online die UN Berichterstatterin Francesca Albanese, der UN Berichterstatter für Wasser, Pedro Arroyo und die stellvertretende Vorsitzende der EU Kommission Teresa Ribeira. Die Frauen begrüßten einhellig die Planung von Ministerin Diaz einer baldigen Friedenskonferenz in Madrid, zu der sie europäische Regierungen und einlädt. Die Anerkennung eines Staates Palästina trotz aller Schwierigkeiten stehe dort auf dem Forderungsplan an alle.

Ein hoch emotionales Grußwort der israelischen Frauen in Schwarz erreichte schließlich das Camp, wurde englisch, spanisch, hebräisch und arabisch verlesen. Ein Brandbrief an die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zur zumindest momentanen Aufkündigung des EU-Israel Abkommens firmierte unter dem Titel „Nie wieder!“

Das Camp hat Maßstäbe gesetzt für das Engagement von Frauen für den Frieden, für Wege zum Frieden. Es ist an keiner Teilnehmerin, die ihr zuhause verlassen hatte für Gaza spurlos vorbeigegangen. Die Entwicklung, die wir mitanschieben wollen bringt hoffentlich für die betroffenen Menschen in Gaza in Israel-Palästina eine lebenswertere Zukunft.

© Heide Meinzolt, Mit Minister Yolanda Diaz

© Heidi Meinzolt, Mit EU Kommissarin Teresa Ribeiro

© Heidi Meinzolt, Mit Europaabgeordneten

CANTO A LA LIBERTAD DE LABORDETA (LIED AN DIE FREIHEIT VON LABORDETA)

Habrá un día en que todos al levantar la vista, veremos una tierra que ponga libertad. Hermano, aquí mi mano, será tuya mi frente, y tu gesto de siempre caerá sin levantar huracanes de miedo ante la libertad. Haremos el camino en un mismo trazado, uniendo nuestros hombros para así levantar a aquellos que cayeron gritando libertad. Habrá un día… Sonarán las campanas desde los campanarios, y los campos desiertos volverán a granar unas espigas altas dispuestas para el pan. Para un pan que en los siglos nunca fue repartido entre todos aquellos que hicieron lo posible por empujar la historia hacia la libertad. Habrá un día… También será posible que esa hermosa mañana ni tú, ni yo, ni el otro la lleguemos a ver; pero habrá que forzarla para que pueda ser. Que sea como un viento que arranque los matojos surgiendo la verdad, y limpie los caminos de siglos de destrozos contra la libertad. Habrá un día…