Wir leben in einer Welt voller Konflikte: persönliche, soziale, zwischen Staaten, internationale. Im Moment scheinen die Konflikte zuzunehmen, als gäbe es keinen Weg, die Gewalt zu beenden.
Unser soziales, wirtschaftliches und mentales System behauptet, vielleicht versteckt, dass die Lösung für Gewalt Gewalt ist: mehr Kontrolle, mehr Alarmsysteme, mehr repressive Gesetze gegen die angeblich steigende Kriminalität, um ein einfaches Beispiel zu nennen.
Gewaltfreie Bewegungen sehen das anders, weil sie sich erst mal fragen, wo Gewalt eigentlich herkommt. Pat Patfoort betont zum Beispiel, dass sichtbarer (etwa körperlicher) Gewalt oft eine noch schlimmere unsichtbare (etwa psychischfe, wirtschaftliche oder religiöse) Gewalt vorausgeht, und dass die Wege und Zusammenhänge, die zu Gewalt führen, aufgespürt werden müssen. Die Humanistische Bewegung hat Gewalt immer als Einschränkung der menschlichen Intentionalität definiert und betont, dass physische Gewalt in diesem Sinne nur ein Aspekt eines Phänomens ist, das die Wirtschaft und die zwischenmenschlichen Beziehungen genauso betrifft wie Diskriminierung, sexuelle Orientierung und religiöse Überzeugungen.
Des Weiteren muss unbedingt klargestellt werden, dass Gewalt nicht gleichbedeutend mit Stärke ist, und dass die Anwendung von Stärke in ihren vielfältigen Formen durchaus eine gewaltfreie Handlung sein kann: die Kraft einer Demonstration, ziviler Ungehorsam, gewaltfreies Eingreifen in einen Konflikt zwischen zwei gewalttätigen Kräften, Streik, Boykott, Verteidigung mit allen verfügbaren Mitteln gegen einen Angriff – alles Ausdrucksformen und Kämpfe, auf die Aldo Capitini bereits in seinem Werk „Die Techniken der Gewaltfreiheit“ hingewiesen hat, das von Manni passenderweise neu aufgelegt wurde.
Auf sozialer Ebene gibt es verschiedene Institutionen, an welche die Gesellschaft die Anwendung von Gewalt in bestimmten, gesetzlich geregelten Fällen delegiert hat. Dieser Gesellschaftsvertrag wird jedoch durch die Gewaltfreiheit in Frage gestellt, denn wir wissen genau, wie unter dem Vorwand der öffentlichen Ordnung sowohl Menschenrechte verletzt wurden und werden als auch Diktaturen und Ausnahmezustände gerechtfertigt werden.
Es scheint jedoch sinnvoll, dass – mit den richtigen Korrekturen – bestimmte Instanzen sich rechtmäßig darum kümmern, bei Bedarf Gewalt (nicht Gewaltanwendung) einzusetzen: Diebe festnehmen, hilflose Menschen beschützen usw. – Mein guter Freund Peppe Sini schlägt immer wieder Kurse in Gewaltfreiheit für die Ordnungskräfte vor.
Eine wichtige Frage ist aber auch, wann soziale Kräfte in bestimmten sozialen Kontexten Gewalt anwenden sollten. Konkrete und historische Beispiele dafür sind bewaffnete Befreiungskämpfe von Völkern, Aufstände gegen Diktatoren und weitere Formen des Widerstands.
Hier herrscht viel Verwirrung und es gibt unterschiedliche Meinungen auch unter den Leuten, die sich für Gewaltfreiheit einsetzen. Vieles wird gerechtfertigt, und ein historischer Hintergrund, der mit seinen Mythen (wie Che Guevara zum Beispiel) auf uns alle einwirkt, trägt dazu bei.
Fangen wir damit an, dass auch Leute, die regelmäßig Waffen benutzen, ihre eigene Ethik und Gesetze haben, die sie befolgen müssen – letztendlich könnte da die Genfer Konvention ausreichen.
Aber die Frage ist, ob eine militärische Aktion unter Einhaltung der Genfer Konvention als gewaltfrei angesehen werden kann. Außerdem gilt es zu überlegen, ob in bestimmten Situationen eine andere Lösung möglich gewesen wäre.
Zum Beispiel haben viele gewaltfrei denkende Wissenschaftler das Konzept der Gewaltfreien Volksverteidigung entwickelt, das unbewaffnete Aktionen des zivilen Widerstands ebenso wie Boykott und Nichtkooperation umfasst, um ein Gebiet oder die Volkssouveränität zu verteidigen, ohne zu Waffen zu greifen. Zu Beginn der russischen Invasion in der Ukraine haben sich viele Pazifisten gefragt, was passiert wäre, wenn man statt einer bewaffneten Reaktion einen friedlichen passiven Widerstand, Vermittlungsversuche oder sogar eine bedingungslose Kapitulation vorgeschlagen hätte: Wäre Putin dann wirklich bis nach Kiew vorgedrungen? Atlante delle Guerre hat diese Versuche dokumentiert.
In der Geschichte gibt es natürlich viele Beispiele für die Befreiung von Gebieten mit Waffen, und die Volksbefreiungsbewegungen berufen sich auf diese Beispiele. In Italien war das die Resistenza, von der ein Teil natürlich bewaffnet war – aber das war nicht der einzige Aspekt.
Gleichzeitig gibt es auch Beispiele von bewaffneten Befreiungsbewegungen, die die Waffen aufgegeben und sich für Gewaltfreiheit entschieden haben: Das bekannteste Beispiel dafür ist Nelson Mandela und der African National Congress, wo der Verzicht auf Waffen und die Entscheidung für internationale gewaltfreie Mobilisierung und Boykott zum Erfolg geführt haben. Ein aktuelles Beispiel von großer Bedeutung ist das von Öcalan und der PKK, die trotz der widrigen Umstände, unter denen das kurdische Volk seit langem leidet, beschlossen haben, einen zumindest unbewaffneten Weg zur Lösung des Konflikts einzuschlagen.
Es gibt Literatur, die Gewaltfreiheit schlechtmacht und von Komplizenschaft mit der Macht, von Rechtfertigungen, von wirkungslosen moderaten Positionen, von Verrat an Idealen usw. spricht. Diese Kritik basiert auf echten Ereignissen, aber ich finde, sie geht nicht auf das eigentliche Thema ein: Kollaboration, Rechtfertigung und Verrat können unabhängig von der Methode und der moralischen Überzeugung zu einer Ideologie verkommen und sind leider in allen Lebensbereichen zu finden. Diese Praktiken sind nichts anderes als – manchmal subtile oder versteckte – Ausdrucksformen der Gewalt, von der wir sprechen: Umso mehr erfordern sie eine gewaltfreie Lösung, die umfassend, authentisch und ohne Wenn und Aber ist.
Die Zukunft, eine bessere Welt, muss mit soliden Bausteinen aufgebaut werden, die mit unseren Zielen übereinstimmen und als Leitbild dienen. Einer dieser ideellen und methodischen Bausteine ist die Gewaltfreiheit, ein anderer sicherlich die zentrale Bedeutung und der Wert jedes einzelnen Menschen.
Die Übersetzung aus dem Italienischen wurde von Domenica Ott vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!









