Mehr als 800 zivilgesellschaftliche Organisationen aus ganz Europa fordern in einem offenen Brief an die Europaabgeordneten eine Umverteilung von EU-Haushaltsmitteln: weg von militärischer Aufrüstung, hin zu Friedenspolitik, Diplomatie und menschlicher Sicherheit.
Offener Brief an die Europaabgeordneten
Sehr geehrte Abgeordnete des Europäischen Parlaments
In der nächsten Woche werden Sie aufgefordert, über ein entscheidendes Thema, den Haushalt 2026, abzustimmen. Weitere wichtige Abstimmungen und Verhandlungen stehen bevor oder sind bereits im Gange, darunter der nächste langfristige EU-Haushalt (MFR 2028-2034) und eine Reihe von „Omnibus-Paketen”, also Deregulierungsprozessen. Alle diese Vorschläge sehen massive Erhöhungen der Militärausgaben und Geschenke an die Rüstungsindustrie vor. Wir fordern Sie nachdrücklich auf, sich diesen gefährlichen Bestrebungen zu widersetzen und die Ressourcen für eine echte Friedenspolitik einzusetzen.
Wir sind Stop ReArm Europe, ein Zusammenschluss von mehr als 800 zivilgesellschaftlichen Organisationen und Bewegungen aus ganz Europa, die in vielen Bereichen engagiert sind und/oder unterschiedliche politische Richtungen vertreten und wir haben etwas Gemeinsames:
Wir setzen uns ein für echte Sicherheit, d. h. Sicherheit, die sich auf menschliche Bedürfnisse konzentriert wie Umwelt- und Klimasicherheit, Ernährungs- und Wirtschaftssicherheit, soziale und gesundheitliche Sicherheit, gemeinschaftliche und politische Sicherheit – für die Europäer*innen und für alle Bürger*innen der Welt.
Wir wollen einen transformativen und gerechten Frieden, der die Voraussetzungen für das Gedeihen von Gesellschaften umfasst, wie zum Beispiel die Bekämpfung der Ursachen von Konflikten, gute Regierungsführung, Freiheit und die Förderung des kreativen Potenzials der Menschen.
Kurz gesagt: eine gemeinsame Sicherheit für Staaten und Menschen.
Als Akteure der Zivilgesellschaft sind wir entschlossener denn je, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um dies letztendlich zu erreichen, aber wir können es nicht allein bewältigen.
Wir brauchen Ihre Hilfe als Entscheidungsträger*innen; wir brauchen Ihre Hilfe, um die universellen Werte der Menschenrechte und das Völkerrecht zu den Leitprinzipien der EU-Politk zu machen und die jahrzehntelange Praxis von Doppelstandards zu beenden, die sich in den letzten Jahren so durchgesetzt haben.
Die Geschichte der europäischen Integration macht sie besonders anfällig für unzulässige Einflussnahme durch Unternehmensinteressen, wie dies zahlreiche Berichte belegen, und die Rüstungspolitik bildet dabei keine Ausnahme – ganz im Gegenteil.
Die diskrete, aber einflussreiche Lobbyarbeit der Rüstungsindustrie spielte eine entscheidende Rolle bei der Verabschiedung der ersten EU-Subventionen vor zehn Jahren, und ihr Einfluss auf die europäische Militär- und Zivilpolitik hat seitdem weiter zugenommen. Die Lobbying-Budgets der zehn größten Rüstungsunternehmen stiegen zwischen 2022 und 2023 um 40 %. Allein im Jahr 2025 (bis Oktober) traf sich die Kommission 89 Mal mit Rüstungslobbyisten, um über Aufrüstung und Geopolitik zu diskutieren, und nur 15 Mal mit Gewerkschaften, NGOs oder Wissenschaftlern zu denselben Themen. Unterdessen trafen sich die Mitglieder des Europäischen Parlaments zwischen Juni 2024 und Juni 2025 197 Mal mit der Waffenlobby, verglichen mit 78 Mal in den vorangegangenen fünf Jahren. Infolgedessen läuft der sogenannte „Verteidigungsbereitschaftsplan” für eine vermeintliche europäische Autonomie letztlich darauf hinaus, große, oft internationale Militärunternehmen zu subventionieren, die Produktion anzukurbeln und den Waffenverkauf, einschließlich von Exporten außerhalb Europas, zu steigern.
Das „Verteidigungs-Omnibus”-Paket folgt derselben Logik, da es soziale und ökologische Normen sowie ethische Standards und Standards für Waffenexporte weiter dereguliert, Ressourcen aus zivilen Programmen wie der Kohäsionspolitik umleitet und die Grundsätze der nachhaltigen Finanzierung untergräbt – alles im Interesse der Rüstungsindustrie. Wann wird es endlich heißen, genug ist genug für die Rüstungsindustrie?
Die Aufrüstungspläne tragen nicht nur zur Verschuldung Europas und damit seiner Bürger zugunsten der Rüstungsindustrie und eines ausbeuterischen und ungerechten Wirtschaftsmodells bei, sondern lenken auch finanzielle, personelle und politische Ressourcen von der menschlichen Sicherheit sowie von der Prävention und friedlichen Lösung von Konflikten und den großen Herausforderungen der Menschheit ab, vom Klimawandel über den Verlust der biologischen Vielfalt bis hin zur Gesundheitskrise, um nur einige zu nennen.
Und der Vorschlag für den nächsten Finanzrahmen geht noch einen Schritt weiter in diese Richtung, da er eine Verfünffachung der direkt für Verteidigungs- und Raumfahrtpolitik bereitgestellten Mittel vorsieht, zusätzlich zu zivilen Programmen, die weitgehend für die Rüstungsindustrie offen sind. Da der Gesamthaushalt der EU nahezu stabil bleibt, bedeutet dies zwangsläufig eine Umleitung von Finanzmitteln, die zuvor für zivile Politikbereiche vorgesehen waren, auch wenn die tiefgreifende Umstrukturierung des MFR konkrete Mittelumschichtungen schwer erkennbar macht.
Insgesamt ist der Plan „ReArm Europe” vom März 2025 zusammen mit allen früheren und späteren damit verbundenen Maßnahmen zum Scheitern verurteilt, da er im Wesentlichen die Unsicherheit in Europa und weltweit verstärken, das globale Wettrüsten anheizen – was wiederum bewaffnete Konflikte schürt – und den Klimawandel und die Umweltschäden verschärfen wird, angesichts des CO2-Fußabdrucks und der Umweltbelastung durch das Militär.
Ist das die Zukunft, die Sie und wir uns für die nächste Generation wünschen? Wir nicht, und wir sind überzeugt, dass Sie das auch nicht tun.
Wir fordern Sie daher dringend auf, die Gelder vom Krieg zum Frieden umzuschichten, um die ökologischen, wirtschaftlichen, sozialen, politischen und diplomatischen Voraussetzungen für positiven Frieden, menschliche Sicherheit und gemeinsame Sicherheit zu schaffen.
Es gibt eine Reihe konkreter Schritte und Entscheidungen, die Sie in den kommenden Wochen und Monaten ergreifen können, um mit der Vorbereitung einer besseren Zukunft zu beginnen. Insbesondere fordern wir Sie auf:
- Lehnen Sie den Haushalt 2026 bei der Plenarabstimmung nächste Woche ab und fordern Sie stattdessen:
- die Wiederaufnahme der Verhandlungen zur Kürzung der Subventionen für die Rüstungsindustrie und die dringende Aufstockung der Mittel für Diplomatie, friedliche Konfliktprävention und -lösung.
- die eine normale parlamentarische Kontrolle aller militärbezogenen Programme verhindern.
- Verteidigen Sie die sozialen und ökologischen Normen sowie die ethischen Standards, indem Sie sich gegen verschiedene Vorschläge des „Omnibus für Verteidigung” aussprechen, insbesondere:
- Verhindern Sie, dass der EU-Verteidigungsfonds mit der Finanzierung von Testaktivitäten außerhalb Europas beginnt, da dies bedeuten könnte, dass EU-Steuergelder für die Erprobung von Waffen und Militärtechnologien in Kriegsgebieten wie Gaza und der Ukraine verwendet werden.
- Lehnen Sie vor dem 29. November den Vorschlag ab, die Definition umstrittener Waffen auf verbotene Waffen zu beschränken, solange die EU die Entwicklung disruptiver Waffen finanziert.
- Lehnen Sie die Lockerung des Waffenhandels innerhalb der EU ab, die im Widerspruch zu den Verpflichtungen der EU-Mitgliedstaaten und zum internationalen Recht steht.
- Lehnen Sie die Ausweitung von Ausnahmen und Abweichungen von Arbeits-, Chemikalien-, Umwelt- und anderen Normen zugunsten der Rüstungsindustrie ab.
- Lehnen Sie die Lockerung der Berichtspflichten für die Rüstungsindustrie innerhalb bestehender Rahmenwerke für Unternehmensverantwortung und Nachhaltigkeit ab.
- Lehnen Sie den aktuellen Vorschlag für den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen (MFR 2028–2034) in folgenden Punkten ab:
- Lehnen Sie den Wettbewerbsfähigkeitsfonds ab, der 130 Milliarden Euro für Waffen und die militarisierte Raumfahrt vorsieht.
- Lehnen Sie die Umwidmung ziviler Programme – insbesondere von Forschungsinitiativen wie Horizon sowie Programmen für Digitalisierung, Mobilität und Kohäsion – für militärische Zwecke ab.
- Lenken Sie diese Mittel um – hin zu einer stärkeren Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit, mit klarem Fokus auf die Bekämpfung von Klimawandel, Armut und Ungleichheit, auf den Schutz der Menschenrechte und der Umwelt sowie auf eine entschlossene, konsequente Unterstützung friedlicher Konfliktlösungen unter Einbeziehung von Frauen, Jugendlichen und marginalisierten Gemeinschaften.
- Wehren Sie sich entschieden gegen den derzeitigen Druck, die Kapazitäten sowie die Legitimität zivilgesellschaftlicher Akteure einzuschränken – insbesondere jener, die dem Einfluss von Unternehmen auf EU-Ebene entgegenwirken. Das derzeitige Kräfteverhältnis ist bereits stark zugunsten der Unternehmensinteressen verschoben. Eine weitere Marginalisierung der Stimmen der Zivilgesellschaft stellt eine direkte Bedrohung für die demokratische Debatte im öffentlichen Interesse dar.
Wenn Sie mit uns über die in diesem Brief angesprochenen Themen diskutieren möchten, kontaktieren Sie uns bitte unter contact@stoprearm.org. Wir würden uns freuen, Online-Treffen zu organisieren, bei denen Sie sich mit vielen von uns über Ihre Visionen, Hoffnungen und Pläne für den Frieden austauschen können.
Wir bedanken uns für die Aufmerksamkeit und hoffen, von Ihnen zu hören.
Im Namen der Stop ReArm Europe Kampagne
Das Koordinationsteam
Übersetzung aus dem Englischen von Heidi Meinzolt.









