Berlin billigt mit dem US-Überfall auf Iran erneut einen völkerrechtswidrigen Angriff auf das Land. Der Überfall erfolgte trotz laufender Verhandlungen; er fügt damit der Diplomatie schwere Schäden zu – auch mit Blick auf künftige Konflikte.
Die Bundesregierung billigt mit dem US-Überfall auf Iran den zweiten völkerrechtswidrigen Angriff auf das Land innerhalb von zehn Tagen. „Unser Ziel bleibt zu verhindern, dass der Iran eine Nuklearwaffe erlangt“, heißt es in einer Erklärung, die Deutschland, Frankreich und Großbritannien am gestrigen Sonntag gemeinsam verabschiedet haben. Teheran müsse nun „Verhandlungen über ein Abkommen“ einleiten, „das alle Bedenken zu seinem Atomprogramm ausräumt“. Iran hatte zunächst Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten geführt, bis sie durch Israels Angriff gegenstandslos wurden, dann Verhandlungen mit den drei größten Staaten Westeuropas, bis der US-Überfall am gestrigen Sonntag ihnen ebenfalls die Grundlage entzog. Tatsächlich haben die Angriffe Israels sowie der USA nicht nur das internationale Recht gebrochen und es damit weiter ausgehöhlt, sondern auch die Diplomatie unglaubwürdig gemacht und ihr schweren Schaden zugefügt. Zudem wird die umfassende Ausschaltung militärischen sowie politischen Führungspersonals per Mord zur gängigen Kriegspraxis. Experten rechnen mit Blick auf die andauernden Angriffe mit der beschleunigten nuklearen Aufrüstung Irans.
Der nächste erlogene Kriegsgrund
Nicht neu ist, dass der vorgeschobene Kriegsgrund für die Überfälle sowohl Israels als auch der Vereinigten Staaten auf Iran nicht den Tatsachen entspricht. Israel hatte seinen Angriff am 13. Juni mit der Behauptung zu rechtfertigen versucht, Iran sei nur „Wochen“ vom Besitz einer Atombombe entfernt.[1] US-Präsident Donald Trump hatte das vor dem US-Angriff am gestrigen Sonntag ebenfalls behauptet. Dies widerspricht Aussagen der US-Geheimdienste. So hatte etwa Geheimdienstkoordinatorin Tulsi Gabbard am 25. März erklärt, Auffassung der Dienste sei, „dass Iran keine Nuklearwaffe baut“ und der Oberste Führer Ali Khamenei „das Nuklearwaffenprogramm, das er 2003 suspendierte, nicht autorisiert hat“.[2] Senator Chris Murphy teilte am Sonntag mit, er sei in der vergangenen Woche über die Kenntnisse der US-Dienste informiert worden; demnach sei Iran der Herstellung einsatzfähiger Atomwaffen „nicht nahe“ gewesen.[3] Vielmehr habe in den Verhandlungen zwischen den USA und Iran „Aussicht auf Erfolg“ bestanden. Verteidigungsminister Pete Hegseth beantwortete am Sonntag die Frage, ob es neue Geheimdiensterkenntnisse über etwaige iranische Kernwaffen gebe, nicht.[4] Nur Gabbard änderte ihre Aussage und behauptete am Samstag, sie schließe sich Trumps Auffassung an, zur Fertigstellung einer ersten iranischen Bombe hätten bloß „Wochen“ gefehlt.[5]
Eine neue Methode der Kriegsführung
Sind erlogene Kriegsgründe und ein flexibler Umgang mit den Fakten bei der Legitimation militärischer Überfälle durch westliche Staaten nicht neu, so ist Israel aktuell dabei, in seinen jüngsten Kriegen eine neue Art der Kriegsführung zu etablieren – nach US-Vorbild. Am 3. Januar 2020 hatte die US-Administration – damals ebenfalls unter Trump – den Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden Qassem Soleimani mit einer Drohne in Bagdad ermorden lassen.[6] Der Anschlag ist zum Vorbild für die israelischen Streitkräfte geworden, die etwa Hamas-Politbürochef Ismail Hanija, Hizbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah sowie zahlreiche weitere politische und militärische Anführer der beiden Organisationen umbringen ließen – mit Drohnen, Raketen und Sprengstoffanschlägen. Dieselbe Metode wenden sie zur Zeit massenhaft gegen iranisches Führungspersonal an. Die wissenschaftlichen Dienste des Bundestags waren im Jahr 2022 zu dem Schluss gekommen, es sei zulässig, militärische Anführer zu ermorden; für politisches Führungspersonal gelte das gleichfalls, sofern es – wie Russlands Präsident Wladimir Putin – in die militärische Befehlskette eingebunden sei.[7] Gezielte Morde an militärischem und politischem Führungspersonal werden so zum üblichen Mittel im Krieg, können damit allerdings künftig auch gegen westliche Staaten eingesetzt werden.
Schläge gegen die Diplomatie
Der voranschreitenden Verrohung entspricht der Umgang Israels und der USA mit den diplomatischen Bemühungen, den Konflikt mit Iran zu lösen. So griff Israel Iran an, während dessen Verhandlungen mit den USA noch liefen; der Überfall am 13. Juni erfolgte, obwohl für den 15. Juni konkret Gespräche iranischer und US-amerikanischer Delegationen in Oman anberaumt worden waren. Der US-Überfall am gestrigen Sonntag erfolgte, obgleich die zwei Wochen, die Präsident Trump als Frist für Verhandlungen gesetzt hatte, noch längst nicht abgelaufen waren. Zudem hatte Irans Außenminister Abbas Araghchi erst am Freitag in Genf Verhandlungen mit seinen Amtskollegen aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien geführt, die vom deutschen Außenminister Johann Wadephul als „ernsthaft“ eingestuft worden waren; Iran sei bereit, über „alle grundsätzlichen Fragen“ zu reden, wurde Wadephul zitiert.[8] Dies wurde von der Trump-Administration mit dem Überfall am gestrigen Sonntag verhindert. Damit haben erst Israel und dann die USA demonstriert, dass sie Verhandlungen lediglich zur Ablenkung ihres Feindes nutzen. Das hat die Möglichkeiten, nicht nur den Iran-Krieg, sondern auch künftige Konflikte unter Rückgriff auf diplomatische Mittel zu lösen oder zumindest einzuhegen, dramatisch reduziert.
„Verhandlungen aufnehmen“
Bundeskanzler Friedrich Merz hat am Sonntag dennoch verlangt, Iran müsse „sofort“ neue Verhandlungen mit den USA und Israel aufnehmen, um „zu einer diplomatischen Lösung des Konflikts zu kommen“.[9] Merz weiß, dass Iran mit den USA verhandelte, als Israel dies durch seinen Angriff beendete, und dass Iran mit drei EU-Staaten im Gespräch war, als die USA dies mit ihrem Überfall stoppten. Ob sein Vorschlag, Teheran solle sich nun zum dritten Mal über den Tisch ziehen lassen, ernst gemeint oder aber als zynischer Scherz gedacht ist, ist unbekannt. Merz hatte den israelischen Angriffskrieg gegen Iran kürzlich gelobt und erklärt, mit ihm nehme Israel dem Westen die „Drecksarbeit“ ab.[10]
Beschädigt, nicht zerstört
Dabei deuten sich längst weitere US-Angriffe an. Schon gestern wurden Mutmaßungen laut, das Bombardement besonders der weit unter der Erde gelegenen Anreicherungsanlage Fordo habe nicht zu ihrer Zerstörung, sondern bloß zu ihrer Beschädigung geführt. Dies bestätigte am Sonntag ein nicht näher bezeichneter US-Regierungsmitarbeiter der New York Times.[11] US-Vizepräsident JD Vance teilte mit, er sei sehr „zuversichtlich“, man habe die Entwicklung einer iranischen Bombe „erheblich verzögert“; von einem Stopp des Nuklearprogramms mit einer Zerstörung der bestehenden Atomanlagen sprach er nicht.[12] Damit werden weitere Bombardements insbesondere der Anlage in Fordo wahrscheinlich.
Die einzig mögliche Abschreckung
Experten gehen ohnehin von einer weiteren Eskalation des Krieges aus. Die iranische Führung sei sich bewusst, dass sie den Krieg „nicht gewinnen“ könne, konstatiert etwa Ellie Geranmayeh vom European Council on Foreign Relations (ECFR); sie werde jedoch dafür sorgen wollen, „dass auch die USA und Israel verlieren“.[13] Vali Nasr, ein Iran-Experte, der an der Johns Hopkins School of Advanced International Studies lehrt, erläutert wiederum, der Schluss, den Teheran aus den Angriffen Israels und der Vereinigten Staaten ziehen könne, sei, dass Abschreckung mit Hilfe von Raketen und verbündeten Milizen wie der libanesischen Hizbollah nicht funktioniere. Das einzige Mittel, auf das Verlass sei, sei die nukleare Bewaffnung. „Obwohl Trump die nukleare Bedrohung durch Iran hat ausschalten wollen, hat er es nun viel wahrscheinlicher gemacht, dass Iran eine Atommacht wird“, hält Geranmayeh fest.[14]
[1] Ibrahim Al-Marashi, Mohammad Eslami: Israel may have just pushed Iran across the nuclear line. aljazeera.com 13.06.2025.
[2] Branko Marcetic: Tulsi said Iran not building nukes. One senator after another ignored her. responsiblestatecraft.org 18.06.2025.
[3], [4] newsticker. nytimes.com 22.06.2025.
[5] Sofia Ferreira Santos: Tulsi Gabbard now says Iran could produce nuclear weapon ‘within weeks’. bbc.co.uk 21.06.2025.
[6] S. dazu Ein Mord und die Folgen.
[7] Kurzinformation: Zur völkerrechtlichen Zulässigkeit einer gezielten Tötung von Staatsoberhäuptern in einem internationalen bewaffneten Konflikt. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste. Berlin, 10.06.2022.
[8] S. dazu Drecksarbeit.
[9] Sicherheitskabinett der Bundesregierung tagt nach Luftschlägen der USA gegen Irans Nuklearprogramm. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 22.06.2025.
[10] S. dazu Drecksarbeit.
[11] Eric Schmitt. nytimes.com 22.06.2025.
[12] Maggie Haberman: Vance says Iran’s nuclear program has been ‘substantially delayed.’ nytimes.com 22.06.2025.
[13], [14] Steven Erlanger: Will Iran again sip the ‘poison’ of a forced peace, or escalate? nytimes.com 22.06.2025.