Julian Assange drohen im Falle einer Auslieferung an die USA schwere Menschenrechtsverletzungen, sagt Amnesty International eine Woche vor der nächsten Anhörung von Julian Assange in London. Die Menschenrechtsorganisation warnt vor einer tiefgreifenden abschreckenden Wirkung auf die weltweite Pressefreiheit.

«Die Sicherheit von Verleger*innen und investigative Journalist*innen auf der ganzen Welt steht auf dem Spiel. Sollte Julian Assange in die USA überstellt und dort strafrechtlich verfolgt werden, steht auch die globale Pressefreiheit auf dem Prüfstand», sagte Julia Hall, Expertin für Terrorismusbekämpfung und Strafjustiz in Europa bei Amnesty International.

«Julian Assange leidet persönlich unter dieser politisch motivierten Anklage, doch der Prozess hat auch Auswirkungen auf die Medien weltweit. Der Fall verletzt das Recht der Öffentlichkeit auf Informationen darüber, was Regierungen in ihrem Namen tun. Die USA müssen die Spionagevorwürfe gegen Assange fallen lassen und seine willkürliche Inhaftierung in Grossbritannien beenden.»

Wenn Julian Assange vor Gericht unterliegt und nicht weiter in Berufung gehen kann, droht ihm die Auslieferung an die USA und eine Strafverfolgung nach dem Espionage Act von 1917, einem Gesetz aus Kriegszeiten, das noch nie zur Bestrafung der legitimen Arbeit von Verleger*innen und Journalist*innen eingesetzt wurde. Ihm könnten bis zu 175 Jahre Gefängnis drohen. Für den weniger schwerwiegenden Vorwurf des Computerbetrugs könnte er maximal fünf Jahre bekommen.

Ausserdem wäre Assange in einem Hochsicherheitsgefängnis stark gefährdet, längere Zeit in Einzelhaft zu verbringen. Obwohl die USA dem Vereinigten Königreich «diplomatische Zusicherungen» angeboten haben, die angeblich seine Sicherheit im Falle einer Inhaftierung garantieren, enthalten die Zusicherungen der Behörden so viele Vorbehalte, dass sie nicht als zuverlässig gelten können.

«Den Zusicherungen der USA kann man nicht trauen. Längere Einzelhaft ist in den Hochsicherheitsgefängnissen der USA an der Tagesordnung. Diese Praxis kommt der Folter oder anderen Misshandlungen gleich, die nach internationalem Recht verboten sind. Diplomatische Zusicherungen können ihn nicht vor solchem Missbrauch schützen», sagte Julia Hall.

Weltweite Bedrohung der Pressefreiheit

Wenn Julian Assange ausgeliefert wird, schafft dies einen gefährlichen Präzedenzfall, nach dem die US-Regierung Verleger*innen und Journalist*innen auf der ganzen Welt ins Visier nehmen könnte. Andere Länder könnten dem Beispiel der USA folgen und sich daran orientieren.

«Julian Assanges Veröffentlichung von Dokumenten, die ihm im Rahmen seiner Arbeit mit Wikileaks von Quellen zugespielt wurden, spiegelt die Arbeit von investigativen Journalist*innen wider. Sie üben routinemässig die in der Anklageschrift beschriebenen Tätigkeiten aus: Sie sprechen mit vertraulichen Quellen, bemühen sich um Klärung oder zusätzliche Unterlagen und erhalten und verbreiten offizielle und manchmal geheime Informationen», sagte Julia Hall.

Nachrichten- und Publikationsorgane veröffentlichen häufig und zu Recht geheime Dokumente, um über Angelegenheiten von grossem öffentlichen Interesse zu informieren. Die Veröffentlichung von Informationen, die im öffentlichen Interesse liegen, ist ein Eckpfeiler der Medienfreiheit. Die Pressefreiheit ist auch durch internationale Menschenrechtsgesetze geschützt und darf nicht kriminalisiert werden.

«Die Bemühungen der USA, investigative Journalist*innen einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen, wenn sie staatliches Fehlverhalten aufdecken, etwa Kriegsverbrechen oder andere Verstösse gegen das Völkerrecht, müssen unterbunden werden. Informationen, die von öffentlichem Interesse sind, müssen weitergegeben werden dürfen. Sollte Julian Assange für seine legitime Veröffentlichungstätigkeit verurteilt werden, werden sich Whistleblower vermehrt hüten, sensible Informationen preiszugeben», sagte Julia Hall.

«Dies ist ein Test für die Behörden der USA und Grossbritanniens: Es wird sich zeigen, ob sie sich zu den grundlegenden Prinzipien der Pressefreiheit bekennen, die das Recht auf freie Meinungsäusserung und das Recht der Öffentlichkeit auf Information untermauern. Es ist nicht nur Julian Assange, der auf der Anklagebank sitzt. Assange zum Schweigen zu bringen, wird auch andere mundtot machen», sagte Julia Hall.

Zum Hintergrund

Der High Court in Grossbritannien hat eine zweitägige Anhörung am 20. und 21. Februar 2024 bestätigt. Er wird darüber entscheiden, ob Julian Assange weitere Möglichkeiten hat seinen Fall vor den britischen Gerichten zu vertreten, oder ob alle Rechtsmittel im Vereinigten Königreich ausgeschöpft sind, was zu einem Auslieferungsverfahren oder einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte führen wird.