Die Probleme werden jeden Tag größer, die Regierung laboriert allenfalls an ein paar Symptomen herum, aktuell Debatten über Entlastungen für die Bürger angesichts steigender Kosten. Darüber Hinausgehendes ist meines Erachtens von ihr kaum zu erwarten. Manche Menschen werden anscheinend nachdenklicher angesichts vermutlich unbezahlbarer Energiepreise u. a. Um so wichtiger erscheint es mir, uns argumentativ zu wappnen, uns in möglicherweise aufflammende Proteste einzumischen und sie nicht Rechten zu überlassen. Einen Offenen Brief habe ich trotzdem geschrieben. Vielleicht schreiben Sie sich ebenfalls Ihren Unmut von der Seele.

Offener Brief: To be or not to be oder die Waschlappenfrage

Sehr geehrte Damen und Herren,

vom Sparen beim Duschen über Reduzierung der Heiztemperatur bis zum Gebrauch des Waschlappens statt Duschen, wie kürzlich von Ministerpräsident Kretschmann empfohlen, werden den BürgerInnen dieses Landes in drängendem Tonfall täglich neue Vorschläge zum Energiesparen unterbreitet.

Wie drastisch ihre Kaufkraft sinkt, spüren sie beim Einkauf im Supermarkt.

Hochgetrieben werden die Preise sowohl bei Lebensmitteln als auch bei Energie gerade auch durch Spekulation, was Arme, speziell in armen Ländern besonders hart trifft.

Unübersehbar geworden ist in den zurückliegenden Monaten vor allem dies, dass unser Wohlstand keineswegs auf deutschem Fleiß beruht, sondern, wie selbst Finanzminister Lindner konstatiert hat: „Unser Geschäftsmodell hat in Teilen darauf basiert, günstige Energie aus Russland zu importieren“. (Lindner: Deutschland braucht ein neues Geschäftsmodell- Markt und Mittelstand) Unerwähnt lässt er den anderen Teil, Dumpinglöhne. Mit der Kombination billige Energie und Dumpinglöhne konnte Deutschland Exportweltmeister werden sowie andere Länder nieder konkurrieren.

Die Zeiten billiger Energie zumindest scheinen nun infolge des Kriegs in der Ukraine, m. E. aber vor allem durch die massive Konfrontations- und Sanktionspolitik des Westens gegenüber Russland Geschichte. Der Gaspreis stieg vorgestern, nachdem Russland wegen angekündigter Wartungsarbeiten an Nordstream I die Gaszufuhr erneut gedrosselt hat, um 18 % und liegt jetzt bei 292 Euro pro Megawattstunde.

Derweil reisen Kanzler und Vizekanzler durch die Welt, um neue Energiequellen zu erschließen.

Wenden wir uns einigen Daten zu Erdöl und Erdgas zu:

Erdöl war 2021 mit fast 31% Anteil der deutsche Primärenergieträger Nummer Eins, genutzt hauptsächlich im Transportsektor in Form von Benzin und Diesel, aber auch als Heizöl im Wärmesektor.

Ähnlich hoch war 2021 der Erdgasverbrauch mit knapp 26% Anteil an der Primärenergie, überwiegend zum Heizen genutzt, aber auch zur Stromerzeugung. (s. Energieverbrauch Deutschland 2021: Primärenergieträger & Strommix – Tech for Future (tech-for-future.de)

Importe

Der weitaus größte Teil der deutschen Rohölimporte kam 2021 aus Russland (34,1 % bzw. mehr als 27 Millionen Tonnen), gefolgt von den USA (12,5 %), Kasachstan, Norwegen, Großbritannien und sonstigen Ländern. (Woher bekommt Deutschland sein Öl? (Infografik) (stuttgarter-nachrichten.de)

Aufgrund der westlichen Sanktionen sank der Import von russischem Erdgas von 34 % im April auf aktuell 9 %, kompensiert durch Lieferungsausweitungen aus Norwegen (aktuell 38 %), den Niederlanden (aktuell 24 %) und sonstigen Ländern (aktuell 23 %) (Umstellung bei Energiequellen: Woher Deutschland nun sein Gas bekommt, tagesschau.de)

Verbrauch

48,2 % der Wohnungen werden mit Erdgas geheizt, 25.6 % mit Öl.

BMWi Newsletter Energiewende – So heizen die Deutschen (bmwi-energiewende.de) Mehr als ein Drittel des gesamten deutschen Erdgasverbrauchs geht laut dem Bundesverband Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) auf die Industrie zurück, überwiegend zur Erzeugung von Wärme für industrielle Prozesse wie das Gießen, Brennen oder Härten. Energie-Notfallplan: Wer am stärksten vom Gas abhängt | tagesschau.de

Zu beachten: Industrielle Gasverbraucher profitieren in Deutschland bislang von weitreichenden Steuervergünstigungen. 2021 erhielten sie Vergünstigungen in Höhe von 2,1 Milliarden Euro, und zwar in Form von Steuernachlässen und -subventionen, da der Energieträger bis Ende Februar als Brücke zu mehr Klimaschutz galt. (s. IW-Studie: Großer Teil des Gasverbrauchs steuerlich begünstigt | BR24).

Gleichwohl fordert der Deutsche Industrie- und Handelskammertag wegen der hohen Energiepreise schnelle Entlastungen für Unternehmen in Form einer dauerhaften Senkung der Energiesteuer auf den Gasverbrauch der Betriebe. Energiepreise: DIHK sieht Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas als wirkungslos für Unternehmen (rnd.de) Dies brachte Sie, sehr geehrte Damen und Herren, auf die famose Idee einer Gasumlage.

Allein diese soll für einen 4-Personenhaushalt 2,419 C/kWh beziehungsweise 484 € pro Jahr ausmachen, umfasst aber nur einen kleineren Teil der Mehrbelastung. Die im Vergleich zum Vorjahreszeitraum laut Handelsblatt um 337 Prozent gestiegenen

Gaspreise selbst müssen hinzu addiert werden. Für einen Musterhaushalt veranschlagt das Handelsblatt im Schnitt 3.415 € im Jahr. Gaspreise und Gasumlage: Verbrauchen Sie zu viel Gas im eigenen Haushalt? (handelsblatt.com)

Zweck der Gasumlage ist, wie selbst die Sprecherin von Habeck indirekt zugestand, die Rettung der Konzerne und die Sicherung der Dividenden für die Aktionäre! (s. Habeck-Sprecherin: Konzerne erhalten Gasumlage auch ohne Notlage – “Wir stehen auf dem Standpunkt, dass ein Unternehmen auch Gewinne machen muss” (nachdenkseiten.de).

Russisches Öl soll von Deutschland ab 2023 vollends boykottiert werden. Allerdings wird der Schein kaum gewahrt, wenn russisches Öl über Indien importiert wird, nur umetikettiert und wesentlich teurer.

Einen vollständigen Boykott russischen Erdgases würde die Wirtschaft nicht verkraften, weshalb nun verstärkt auf LNG-Gas gesetzt wird, teurer und erheblich belastender für die Umwelt. Ob es in ausreichender Menge verfügbar sein wird, ist eher fraglich.

Den ganzen Zirkus ums gas könnten sie sich und uns allen sparen, wenn wie Nord stream II umgehend öffnen würden! Während sie die Bevölkerung permanent zum Energiesparen auffordern, aasen sie selbst gerade mit Öl als gäbe es kein Morgen.

Denn, nicht nur in der Ukraine geht der krieg weiter, befeuert auch mit immer wieder neuen Rüstungsexporten aus Deutschland. Gerade wird die zweite Front der Bundeswehr in der Asien-Pazifik-Region eröffnet, wohin die deutsche Luftwaffe die größte Verlegung ihrer Geschichte startete. Ziel: Beteiligung an Großmanövern, Festigung antichinesischer Militärbündnisse. (s. Die zweite Front der Bundeswehr – GERMAN-FOREIGN-POLICY.com)

Zum Energieverbrauch des Militärs ist bei der Informationsstelle für Militarisierung folgendes zu lesen:

„Eine tägliche Militäraktivität ist die Einübung des Krieges. So müssen Pilotinnen der Luftwaffe vor ihrem ersten Einsatz eine gewisse Anzahl an Flugstunden absolvieren und Soldatinnen müssen lernen, mit Panzern zu fahren oder Schiffe zu steuern. Diese militärischen Großgeräte verbrauchen weitaus mehr als zivile Fahrzeuge. Ein

Kampfpanzer des Typs Leopard 2 verbraucht im Gelände rund 530 Liter Diesel auf 100 km. Ähnlich sieht es mit weiteren Panzern aus: Der Schützenpanzer Marder liegt bei 400l/100 km im Gelände und der Minenräumpanzer Keiler bei stolzen 580l/100km.[6] Ein Kampfjet des Typs Eurofighter verbraucht pro Flugstunde 3.500 kg Treibstoff[7] – alleine im Jahr 2018 verbrachten die Eurofighter der Bundeswehr mindestens 10.480 Stunden in der Luft und verursachten damit etwa 115.280 Tonnen CO2. Mehr als 9 Millionen Bäume bräuchte es, um diese Mengen an CO2 zu speichern.[8] Abgesehen von den zahlreichen Kampfjets, verfügt die Luftwaffe auch über Hubschrauber mit hohem Verbrauch: Ein Transporthubschrauber des Typs NH90 hat einen Flugbetriebsstoffverbrauch von rund 550l pro Stunde und ein mittlerer Transporthubschrauber THS CH-53 einen von rund 1.100l pro Stunde.[9] Das Kriegschiff Bayern, eine sogenannte Fregatte, legte zwischen den Jahren 1996 und 2010 rund 350.000 Seemeilen zurück….„Dabei wurden 43.000t Dieselkraftstoff verbraucht. Legt man bei einem Münchner Taxi eine Laufleistung von 400.000 km zu Grunde, könnte man mit diesem Verbrauch 1000 Mercedes C-Klasse PKW über ihre Lebensdauer betanken.“[10] Stolze 6.600l Kraftstoff verbraucht die Fregatte, um 100km zurückzulegen. Wenn eine der acht Fregatten der Bundesmarine im Hafen liegt, nutzt sie den sogenannten „Landstrom“ – und zwar zwischen 4.500 kWh und 23.000 kWh pro Tag.[11] Der durchschnittliche Jahresstromverbrauch einer in Deutschland lebenden Person liegt bei etwa 1.300-2.500 kWh“ (Informationsstelle Militarisierung (IMI) » Krieg und Klima (imi-online.de).

Während Europa unter der schlimmsten Dürre seit 500 Jahren leidet, wird der von Ihnen betriebene Irrsinn noch durch die Meldung eines Deutschen Nachrichtenmagazins komplettiert: „Deutsche Bahn stellt auf Kriegswirtschaft um:

Militärtransporte haben Vorfahrt. – Die Ampel-Regierung stellt jetzt konsequent auf Kriegswirtschaft um – Militär hat künftig im wahrsten Sinne des Wortes Vorfahrt. Ein Verordnungsentwurf der Bundesregierung sieht vor, dass Militärtransporte trotz der Energiekrise Vorrang vor Kohle- oder Öl-Zügen haben. Der Entwurf schreibt auch fest, dass Verkehrswege grundsätzlich nicht für Streitkräfte gekündigt werden dürfen“ (s. Deutsche Bahn stellt auf Kriegswirtschaft um: Militärtransporte haben Vorfahrt – ZUERST! ZUERST!)

Sehr geehrte Damen und Herren,

nicht nur zeigen die Empfehlungen von Sparduschköpfen und Waschlappen angesichts der gigantischen Probleme, dass das Niveau der politischen Debatte hierzulande auf einem absoluten Tiefpunkt angelangt, das Gefühl für Relationen Ihnen vollends abhanden gekommen ist.

Statt an echten zukunftsfähigen Lösungen zu arbeiten, forcieren Sie die Verschlimmerung der Desaster auch noch ganz aktiv. Bleibt nur, Ihnen und uns allen einen wirklich heißen Herbst zu wünschen, und zu hoffen, dass „die Straße“ intelligenter ist als Sie.

Ursula Mathern