Die Schweiz hat die weltbeste Sniper-Munition entwickelt. Jetzt wird deren Produktion ins Ausland verkauft.

Christian Müller für die Online-Zeitung INFOsperber

Im Jahr 2020 ist trotz Covid-Pandemie weltweit mehr Geld in die militärische Aufrüstung geflossen als je. Das Total liegt bei zwei Billionen US-Dollar – 2000 Milliarden! Am meisten Geld steckten erneut die USA ins Militär: 778 Milliarden. China in Position 2 investierte dreimal weniger ins Militär als die USA, Indien 11 mal weniger, Russland und UK 13 mal weniger, Deutschland und Frankreich 15 mal weniger als die USA, etliche von ihnen aber trotzdem mehr als im Vorjahr. Im gleichen Pandemie-Jahr 2020 sind geschätzt weltweit 88 Millionen Menschen zusätzlich in Armut gefallen. International also mehr Geld fürs Militär, aber kaum Geld für die Bekämpfung der Armut.

Die Schweiz – kriegstechnisch ganz vorne mit dabei

Es sind reine Wahnsinnszahlen, nicht zuletzt beim Spitzenreiter USA, die militärisch von keiner Seite direkt bedroht sind. Es ist letztlich ihre Machtpolitik, die ein solches Militär-Budget verlangt. (Quelle: SIPRI/Statista)

 

Was ist im Rüstungswesen die Position der Schweiz?

Der Schweizer Bundesrat hat im Frühling 2019 beschlossen, grosse Teile des staatseigenen Technologie- und Rüstungsbetriebes RUAG an geeignete Investoren zu verkaufen. Das Brisante daran: Damit geht auch die Herstellung von Munition für die Schweizer Armee in fremde Hände. Der Versuch, wenigstens diesen Teil des Verkaufs zu stoppen, fand in Bern keine Gnade. Damit übergibt ein Land, das immer wieder behauptet, neutral zu sein, einen essentiellen Teil seines staatlichen Rüstungsbetriebes in geopolitisch interessierte Hände. Neutralität nach Schweizer Art …

Ein wenig beachtetes Detail: die Munition .375 SWISS P

Aufrüstung war noch nie menschenfreundlich. Der neueste Trend, UGV (Unmanned Ground Vehicle) und Drohnen zu entwickeln und zu produzieren, um so aus dem Bürostuhl Menschen in der Ferne töten zu können, ist aber, wenn da überhaupt von Ethik die Rede sein kann, in ethischer Hinsicht ein neuer Tiefpunkt der Waffenentwicklung. Aber auch in jenem Krieg, wo auf beiden Seiten noch Soldaten im Einsatz sind, geht es darum, Soldaten – also Menschen – auf der anderen Seite gezielt aus immer grösserer Distanz umzulegen: die Aufgabe der sogenannten Scharfschützen oder Sniper. Und in diesem Bereich ist die Schweiz mit einem neuen Munitionstyp, genannt .375 SWISS P, ganz vorne dabei.

Diese neue Munition der RUAG hat gegenüber der bisher für Sniper üblichen .338 Lapua Mag deutliche Vorteile. Sie ist nicht nur präziser, man kann mit ihr vor allem auch aus deutlich grösseren Distanzen tödliche Treffer erzielen, ohne Probleme bis auf 1,6 km. Und bis auf 600 m Distanz durchschlägt diese Munition auch Kugelschutzwesten der Kategorie IV.

Die RUAG hat zur Propagierung dieser neuen Sniper-Munition eine eigene Website geschaffen (hier anklicken). Sie steht deutsch und englisch zur Verfügung. Das vierminütige Video darin ist besonders informativ, ist allerdings nur auf Englisch verfügbar. Verständlich, denn die Armeen, denen man diese Munition verkaufen will, sind der NATO wegen ja eh auf die englische Sprache konditioniert. Selbst die Offiziere der ukrainischen Armeemüssen bereits Englisch lernen.

Auch eine Broschüre zur neuen Munition .375 SWISS P gibt es und kann hier angeschaut und runtergeladen werden.

Die Schweiz – kriegstechnisch ganz vorne mit dabei

Mit diesem Bild wirbt die RUAG für ihre Sniper-Munition .375 SWISS P, mit der man jetzt aus versteckter Position auf noch grössere Distanzen einzelne Menschen treffen und umbringen kann.

Jetzt soll die ganze Produktion verkauft werden

Nach dem Entscheid des Schweizer Bundesrats, grosse Teile des staatseigenen Rüstungsbetriebes RUAG zu verkaufen – darunter nicht zuletzt auch die RUAG Ammotec –, kommt also auch die Produktion von Munition und damit die Produktion dieser Wundermunition, mit der man besser als mit allen anderen Munitionstypen Menschen auf grosse Distanz treffen und umbringen kann, «auf den Markt», wie es so schön heisst. Eine Anfrage von Infosperber in Bern beim zuständigen Finanzdepartement hat dies ausdrücklich bestätigt. Ob wir Schweizer und Schweizerinnen auf die Entwicklung der Sniper-Munition .375 SWISS P besonders stolz sein dürfen, bleibe mal dahingestellt. Aber sollen wir die Produktion dieser Munition aus der neutralen Schweiz wirklich an einen ausländischen Rüstungsbetrieb verkaufen und damit geopolitisch die Kriegstauglichkeit jener Länder erhöhen, die sich künftig diese besonders treffsichere Munition leisten können?

Viele Beobachter der geopolitischen Situation sind sich darin einig, dass wir seit 1991 nie näher an einem neuen grossen Krieg waren, als wir es gerade jetzt sind. Aber der neutralen Schweiz ist es schnuppe, sie verkauft die Produktion von modernster Munition in private Hände. Welcher Politiker, welche Politikerin, welche Partei hat den Mut, mit einem dringlichen Vorstoss im Parlament zu versuchen, diesen Verkauf im letzten Moment doch noch zu stoppen?

Wenn aus Zielpersonen Menschen werden

«Die besondere Einsatzart des Scharfschützen, aus dem Hinterhalt zu töten und nicht aus einer konkreten Notwehrsituation, kann besondere psychische Probleme verursachen. Beispielsweise lernt der Schütze während einer Observation, die Stunden oder Tage dauern kann, das Ziel mit all seinen menschlichen Eigenheiten (Lachen, Essen und anderen Dingen des normalen Lebens) kennen und kann dessen Mimik sehen. Gleichzeitig stellen die beobachteten Personen keine persönliche Bedrohung dar und wissen im Normalfall nicht von der Gegenwart des Schützen. Dabei kann eine Subjektivierung einsetzen, bei der die Zielperson zu einem Menschen wird, den man zu kennen glaubt. Deshalb soll der Schütze fähig sein, auch bei Individualisierung der Zielperson abzudrücken, ohne dabei übermäßig unter dem von ihm verursachten Tod des getöteten Menschen zu leiden. Nicht selten ist wegen dieser Individualisierung nach einem Einsatz psychologische Betreuung erforderlich.»

(Zitat aus Wikipedia unter dem Stichwort «Scharfschützen»)

Zum Autor Christian Müller deutsch und englisch.


Der Originalartikel kann hier besucht werden