Letzte Woche trafen wir Noemi vom Kollektivteam von „Now You See Me Moria“, einem Gemeinschaftsprojekt, das auf die Situation in Moria aufmerksam machen will und einen dringenden Appell an die Politik richtet, die verfehlte Einwanderungspolitik zu ändern.

Das Programm mit Bildern aus dem Alltag im Flüchtlingslager von Mytilene „Moria 2“ lädt Designer*innen und Bürger*innen ein, die Plakate herunterzuladen und an einem öffentlichen Ort in ihrer Stadt aufzuhängen. Die Bilder von „Moria 2“ sind in den letzten Monaten auf Plakaten in vielen Städten auf der ganzen Welt unterwegs gewesen, z.B. in München, Köln, Berlin, Seoul, Antwerpen, Wien, Düsseldorf, Brighton, Olten, Grantz, London, Genf, etc.

Was war deine Motivation dieses Projekt zu starten und was war die erste Reaktion deiner Freunde?

Eines Nachts habe ich einfach meine sozialen Medien in Facebook gecheckt und bin einem Freund gefolgt, der ein afghanischer Journalist ist. Er lebte für 5 Monate auf Lesbos und machte einen Film über die Situation in Moria während der Pandemie. Und da sah ich einige Fotos von Amir und diese Fotos erregten meine Aufmerksamkeit, weil sie ganz anders waren als die typischen Fotos, die man über Migration und über Flüchtende sehen kann.

Ich war sehr berührt von den Fotos und mir wurde klar, dass er etwas ausdrücken wollte. Und so habe ich ihn kontaktiert und ihm gesagt, dass ich denke, diese Fotos zeigen sehr stark die Realität der Migration. Ich sagte ihm, dass wir vielleicht ein gemeinsames Projekt starten sollten. Wir können die Fotos, die er gemacht hat, mit meinem Wissen über Fotografie kombinieren, und dann können wir gemeinsam versuchen, zu zeigen, was in Moria passiert, damit mehr Menschen sehen und wissen können, was dort geschieht. Es war ein Moment, in dem wir auch auf die Pandemie in unseren Ländern fokussiert waren und es gab wirklich nichts in den Nachrichten über die Situation in Moria.

Am Anfang haben meine Freund*innen nicht gedacht, dass wir etwas Wichtiges tun, aber jetzt wird ihnen klar, dass es wichtig ist. Denn man trifft immer mehr Leute, die erkennen, dass man etwas an der Situation ändern kann, indem man nicht akzeptiert, dass Menschen so leben. Es gibt die allgemeingültige Einstellung, dass es so sein sollte, so behandelt zu werden und dass das in Ordnung ist. Ich denke, es gab ein allgegenwärtiges Gefühl, diese Situation zu akzeptieren, dass „wir nichts tun können“, „es liegt nicht in meiner Hand“, „es gibt nichts, was ich tun kann.“ Die Politiker*innen sind verantwortlich für die Migrationspolitik und als Bürger*in haben wir auch Verantwortung, indem wir dieses Verhalten nicht mehr zulassen.

Ich denke, dass das Wichtigste ist, dass wir unsere Denkweise ändern. Wir werden nicht länger akzeptieren, dass Menschen so behandelt werden, wie in der Vergangenheit, als Frauen nicht wählen durften. Das passiert in ganz Europa und wir können das nicht mehr akzeptieren, und wir alle können etwas tun. Viele Tausende von Menschen zusammen, können wir eine Veränderung herbeiführen, es wäre ein großer Schritt.

Diese Initiative wird von einer Gruppe von Menschen getragen, und jedes Mal versuchen wir, mehr Leute zu engagieren, wie Grafikdesigner*innen, Graffiti-Künstler*innen für den 18. März, um einige Wandbilder mit Kritik am EU-Türkei-Deal zu gestalten, denn an diesem Tag ist der 5-jährige Jahrestag. Auch Politikwissenschaftler*innen engagieren sich und auch Journalisten*innen wie Du. Du gibst uns die Möglichkeit, einen Artikel auf Griechisch zu machen.

Dieses Konzept, dass Flüchtende gefährlich sind, ist nicht real. Wir sehen in den Medien meist Fotos von Menschen, die mit Booten ankommen und wenn sie beten. Und die klare Botschaft, wenn man Flüchtende porträtiert, die mit Booten ankommen, porträtiert man sie als eine Bedrohung, als ob sie eine Invasion machen würden. Es geht um die visuelle Kultur und wie Flüchtende und Migrant*innen dargestellt werden. Außerdem sieht man viele Fotos von ihnen, auf denen sie beten. Nun, ja, einige von ihnen beten, einige von ihnen sind Menschen muslimischen Glaubens, aber andere versuchen gerade, von der Religion wegzukommen und sie beten nicht, sie glauben nicht. Es gibt also ein Problem, wie der Rest von uns sie durch die Medien als Bedrohung sieht, und dahinter steht eine politische Entscheidung. Natürlich gibt es Menschen, die sich schlecht benehmen, aber sie sind die Minderheit. Aber das ist etwas, was in jeder Gesellschaft gleich ist.

In unserem Projekt wird die Situation von den Menschen dargestellt, die sie erleben, und nicht von einer Fotografin oder einem Fotografen. Wir glauben, dass dies wichtig ist, denn als Fotograf*in hat man seine eigene Vision, wenn man an einen Ort geht, so dass es vielleicht sehr ansprechend ist, wenn sie beten, und man sollte weit davon entfernt sein, sie zu beurteilen. Wenn man also eine Person, die gerade in dieser Situation ist, sie darstellen lässt, dann sieht man eine ganz andere Art von Bildern.

Mit dem Projekt könnt Ihr das tägliche Leben sehen, wie es ist, in einem europäischen Flüchtlingslager zu leben, mit all den schlechten Bedingungen und auch dem täglichen Leben. Wir zeigen alles. Wir haben zum Beispiel Videos geteilt, wo sie eine Hochzeit feiern, oder wenn jemand den Status eines Flüchtlings bekommen hat und glücklich ist. Und ich glaube, das bringt mehr Nähe zwischen den Menschen, anstatt Angst zu spüren. Anstatt sich auf die Unterschiede zu konzentrieren, werden die Gemeinsamkeiten hervorgehoben, wie z.B. der Wunsch, dass ihre Kinder zur Schule gehen und studieren, dass sie ein Haus haben, in dem sie wohnen können, dass sie einen Job haben und dass sie ein sicheres Leben führen können und nicht in dieser ständigen Ungewissheit leben, was passieren wird.

Vor allem muss man bedenken, dass 40 % der Menschen im Flüchtlingslager Moria Kinder sind. Und all diese Kinder haben keinen Zugang zu Bildung im Alter von 12, 13, 14 oder 15 Jahren. Kindern darf nicht zwei Jahre lang der Zugang zu Bildung versperrt werden. Das ist ein Verbrechen. Und ich glaube nicht, dass Geld das Problem ist, bei all dieser Menge an NGOs und Spenden von Menschen. Das Problem ist, dass sie es nicht tun wollen, weil es eine Botschaft ist. Es ist wie „wenn du kommst, behandeln wir dich schlecht, also, komm nicht.“

Aber wir, als Europäer*innen, können nicht akzeptieren, dass sie schlecht behandelt werden. Natürlich sollte es eine Art von System geben, aber es sollte ein humanes sein, das die Menschen respektiert, und wir können nicht zulassen, dass Menschen auf dem Meer sterben, und die Menschen, die ankommen, können nicht so behandelt werden. Denn am Ende dieses Alptraums werden einige von ihnen den Flüchtlingsstatus bekommen, aber der mentale Schaden ist angerichtet. Wenn man zwei oder drei Jahre unter diesen Bedingungen lebt, hat man danach eine Menge mentale Probleme, es verändert einen.

Was sind die größten Hindernisse, denen ihr bisher begegnet seid?

Es werden immer Fotos genutzt, die von professionellen Fotograf*innen gemacht wurden. Wie bei dem Vorfall mit dem Feuer. Natürlich sind die Leute interessiert, aber dann vergessen sie das Ganze. Und mit den Medien ist es kompliziert.

Auch das Erstellen der Bilder ist nicht einfach, denn sie müssen es sehr vorsichtig machen. Es ist schon zwei Mal passiert, dass die Polizei sie beim Fotografieren gesehen hat. Und dann haben sie ihre Handys kaputt gemacht, also müssen sie sehr vorsichtig sein.

Auch für sie ist es nicht so einfach, wenn sie die Bilder gemacht haben, fühlen sie sich manchmal nicht wohl, sie sind den ganzen Tag in einem Zelt. Stellt euch eure Situation vor, ihr arbeiten zu Hause mit Kindern, aber zumindest haben eure Kinder die Möglichkeit, online zur Schule zu gehen und ihr seid zu Hause und arbeitet. Aber sie sind nicht in der gleichen Situation. Sie befinden sich in einem kleinen Zelt, das sie sich mit einer anderen Familie teilen, getrennt durch eine Decke. Und das alles bei Kälte und Regen und ohne zu wissen, wann das alles ein Ende haben wird. Wenn es eine schwierige Situation gibt und man weiß, dass es in einem Monat zu Ende sein wird, dann hat man mental eine größere Ausdauer, weil es zu Ende sein wird. Aber sie wissen nicht, wie lange sie noch unter diesen Bedingungen warten und bleiben müssen.

Hat die Initiative auf lokaler und institutioneller Ebene in irgendeinem europäischen Land Unterstützung gefunden?

Wir hatten keine institutionelle Unterstützung, aber viel Unterstützung von dem Grafikdesigner Raoul Gottschling, Linkelab aus Mailand und Bas Vroege, Direktor von Paradox aus Rotterdam.

Was sind eure nächsten Schritte?

Am 18. März, dem 5. Jahrestag der gemeinsamen Erklärung der EU und der Türkei, werden wir die Poster mit den europäischen zivilgesellschaftlichen Plattformen „Europe Must Act“ und „Leave no one behind“ teilen, die uns sehr unterstützt haben.

Weitere Informationen über das Projekt findet ihr unter http://www.nowyouseememoria.eu.

Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Anita Köbler vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!