Das folgende Interview mit Prof. Dr. Matthias Glaubrecht, Biologe und Direktor des Centrums für Naturkunde in Hamburg, wurde von Svenja Furken, Vorstandsmitglied von PROVIEH e.V. geführt und erschien erstmals in „respektiere leben.“ – Das Magazin für „Nutz“tierschutz.

Herr Professor Glaubrecht, Sie haben seit Beginn der Corona Pandemie in einigen Gastbeiträgen großer Tageszeitungen den internationalen Wildtierhandel als Ursache des Corona-Ausbruchs benannt. Können Sie das näher erklären?

Etwa 60 Prozent aller Infektionskrankheiten beim Menschen sind tierischen Ursprungs. Influenza, HIV, Ebola, Salmonelleninfektionen, Borreliose, West-Nil-Fieber – um nur einige zu nennen. Auch Coronaviren werden von Tieren auf Menschen übertragen. Die meisten der sieben beim Menschen bekannten Coronaviren lösen jedoch nur leichte Erkältungssymptome aus.

Anders war es, als im Jahr 2002 in Asien plötzlich ein neuartiges Coronavirus auftauchte, das schwere Lungenentzündungen verursachte und etwa 800 Menschen das Leben kostete. Das Virus erhielt den Namen SARS-CoV, oder kurz SARS. Untersuchungen ergaben, dass vor allem Fledermäuse das natürliche Reservoir für Coronaviren bilden. Bei der Suche nach Infektionsketten von Erkrankten konnte außerdem bald der Larvenroller, eine in Bäumen lebende Schleichkatzenart, als Zwischenwirt identifiziert werden.

Man hatte bereits vermutet, dass bei der Übertragung ein Zwischenwirt nötig sein musste, da es nur vergleichsweise wenig direkte Kontakte zwischen Mensch und Fledermäusen gibt. So hatten sich in einem Restaurant, in dem Larvenroller lebend gehalten und als Delikatesse zum Verzehr angeboten wurden, sowohl Mitarbeiter als auch ein Gast infiziert.

Die genetische Übereinstimmung zwischen dem entdeckten Coronavirus in diesen Schleichkatzen und dem SARS-Coronavirus beim Menschen war zudem höher als bei Fledermäusen.

Schon 2012 folgte ein erneuter Coronavirus-Ausbruch mit abermals aggressivem Verlauf einer Krankheit, die wir inzwischen unter dem Namen MERS kennen. Damals kursierte das neue Virus auf der Arabischen Halbinsel. Wieder bildeten Fledermäuse das natürliche Reservoir für die Erkrankung. Die Übertragung vom Tier auf den Menschen erfolgte hier aber offensichtlich über Dromedare als Zwischenwirt.

Sowohl SARS als auch MERS blieben lokal begrenzt und konnten sich nicht zu einer Pandemie entwickeln. Grund dafür ist die wenig erfolgreiche Übertragung des Erregers von Mensch zu Mensch.

Anders sieht die aktuelle Situation aus. Wieder haben wir es mit einer infektiösen Variante eines neuartigen Coronavirus zu tun. Allerdings ist diesmal die Ansteckung von Mensch zu Mensch sehr effizient, was die Ausbreitung der Erkrankung binnen nur weniger Wochen über den gesamten Globus ermöglichte.

Von den 100 Erstinfektionen mit diesem neuartigen Coronavirus hatten 48 Personen Kontakt zu einem Wildtiermarkt in Wuhan. Wie auf vielen asiatischen Märkten wurden dort – unter oft abenteuerlichen hygienischen Bedingungen – neben Fisch und Meeresfrüchten auch Dutzende Arten exotischer Wildtiere zum Verkauf angeboten. Dicht gedrängt waren Schlangen und Schildkröten, Nagetiere und allerlei Katzenverwandte bis hin zu Vögeln lebend in Käfige gepfercht, während nebenan frisch geschlachtete Tiere zum Verzehr zerlegt wurden. Von einem oder einigen dieser Tiere könnte der Erreger auf Menschen übergesprungen sein.

In einer übereilten Säuberungsaktion wurde daraufhin sämtliches potentielles Erregermaterial (lebende Tiere und Fleisch) auf dem verdächtigen Markt in Wuhan von den chinesischen Behörden vernichtet. Dabei ging Wissenschaftlern wichtiges Beweismaterial verloren, was die Suche nach dem Überträger zunächst erschwerte.

Den Hinweis auf einen möglichen Zwischenwirt, brachten aber schon bald mehrere beschlagnahmte Schuppentiere aus zwei anderen chinesischen Provinzen. Die Untersuchung dieser Tiere, die entfernt mit Katzen und Mardern verwandt sind, zeigte, dass sie Coronaviren in sich trugen und diese außerdem eine zum Teil sehr hohe genetische Übereinstimmung mit dem neuartigen SARS-CoV-2 beim Menschen hatten.

Schuppentiere, auch Pangoline genannt, gehören zu den am meisten illegal gehandelten Wildtieren überhaupt, und das obwohl sie eigentlich streng geschützte Arten sind. Es gibt weltweit acht verschiedene Schuppentierarten, davon vier in Afrika und vier in Asien. Alle sind bedroht und alle werden illegal gehandelt. Auch Deutschland spielt über das Drehkreuz Frankfurter Flughafen eine traurige Rolle beim Schmuggel dieser geschützten Wildtiere. Sie werden zu Hunderttausenden gefangen und landen überwiegend auf Wildtiermärkten in China.

Ihr Fleisch gilt dort als Delikatesse und wird zunehmend zum Luxusprodukt einer aufstrebenden Mittelschicht. Ihre Schuppen, die aus Keratin bestehen – also dem gleichen Material wie unsere Fuß-und Fingernägel – sind in der traditionellen chinesischen Medizin zudem sehr gefragt und haben, ähnlich wie das begehrte Horn der Nashörner, einen sehr hohen Handelswert.

Wie kann man den weltweiten Wildtierhandel stoppen?

Die Wildtiermärkte müssen umgehend weltweit verboten und der Handel mit Wildtieren gestoppt werden. Das gilt nicht nur für die Märkte in Asien. Auch der Verzehr von sogenanntem Bushmeat (Wildfleisch) ist in Afrika sehr verbreitet und hat dort bereits zu lokalen Ebola-Epidemien geführt – und die weltweite Ausbreitung des HIV Erregers verursacht.

Das Verbot solcher Wildtiermärkte ist natürlich leichter gesagt als getan, da der Verzehr dieser Tiere oder auch ihre Anwendung in der Medizin mit Traditionen verknüpft sind. Stellen Sie sich vor, wir würden den Franzosen den Konsum von Rotwein und Käse verbieten wollen.

Dennoch müssen wir an die Verantwortung dieser Länder appellieren. Ihr Konsumverhalten gefährdet die Weltbevölkerung und richtet gesundheitliche und wirtschaftliche Schäden von katastrophalem Ausmaß an.

Als Fachverband für Nutztierschutz interessiert uns natürlich auch die Rolle der Nutztiere bei der Übertragung von Krankheiten – und möglichen Pandemien.

Mit dem sogenannten Neolithikum, also der Sesshaftwerdung und der beginnenden Nutztierhaltung vor 8.000 Jahren oder früher, rückten Menschen und ihre domestizierten Haustiere erstmals näher zusammen. Gleichzeitig wuchs die Bevölkerungszahl zu dieser Zeit deutlich an, was es Krankheitserregern von Mensch und Tier leichter machte, sich auszutauschen und zu verbreiten.

Viele unserer heutigen Infektionskrankheiten, die wir als Kinder durchleiden, haben ihren Ursprung in dieser frühen Phase des engen Zusammenlebens zwischen Mensch und Tier.

Durch die moderne Intensivtierhaltung haben wir das Problem noch einmal verschärft. Die Haltung sehr vieler Tiere auf engstem Raum bietet Krankheitserregern besten Nährboden und ein großes Spielfeld, in dem Evolution im Zeitraffer stattfinden kann.

Es ist dann nur eine Frage der Zeit, bis im tierischen Erreger Mutationen oder genetische Rekombinationen entstehen, die eine Übertragung auf Menschen möglich machen. Dieses Szenario haben wir bereits bei dem Vogelgrippeerreger H5N1 im Jahr 2006 aus Geflügelhaltungen in Asien oder der Schweinegrippe 2010 aus Schweinehaltungen in Mexiko erlebt. Beide Epidemien verliefen, ähnlich wie bereits SARS und MERS, mit nur wenigen Toten, sehr glimpflich. Auch ihnen fehlte noch eine entscheidende Komponente: die Möglichkeit der effizienten Übertragung der Infektion von Mensch zu Mensch.

Was passiert, wenn sich ein neuartiges Virus verbreitet, bei dem die Übertragung von Mensch zu Mensch sehr effizient verläuft, zeigte die verheerende „Spanische Grippe“ von 1918 bis 1920, die wahrscheinlich mehr Todesopfer forderte, als die Kriegstoten des 1. und 2. Weltkrieges zusammen.

Welches Ausmaß die aktuelle Corona-Pandemie annehmen wird, wird sich in den nächsten Monaten noch zeigen.

In Ihren Fachartikeln haben Sie von globaler Verantwortung gesprochen. Was bedeutet das Ihrer Meinung nach?

Das Zusammentreffen von Wildtieren, Nutztieren und Menschen auf überfüllten Lebendtiermärkten stellt eine nicht kalkulierbare Gefahr dar. In Kombination mit unserer hohen Bevölkerungsdichte und enormen Mobilität über Kontinente hinweg, kann so in Windeseile aus einer regionalen Epidemie eine Pandemie erwachsen, so wie wir es jetzt gerade erleben.

Doch das Problem ist noch viel komplexer. Auch die Vernichtung von Lebensräumen lässt Menschen und Wildtiere ungewollt näher zusammenrücken.

Wir alle tragen durch unser Konsumverhalten zur Vernichtung von Lebensräumen bei. Denken wir dabei allein an die Vernichtung von Regenwäldern für den Anbau von Palmöl in Südostasien oder den Sojaanbau in Südamerika.

Wir machen uns damit nicht nur am größten Artensterben, das unser Planet seit dem Aussterben der Dinosaurier erlebt hat, schuldig, sondern riskieren zusätzlich die Ausbreitung gefährlicher Seuchen durch den engen Kontakt zu Wildtieren.

Wir sollten uns aktuell nicht nur um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie sorgen, sondern uns klar machen, dass dies nicht die letzte Pandemie sein wird.

Wenn es uns nicht gelingen wird, möglichst schnell eine gemeinsame kulturelle Lösung für unsere globalen Probleme zu finden, wird es womöglich irgendwann eine biologische Lösung aus der Natur geben. Dafür braucht es kein Supervirus aus dem Labor.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Prof. Dr. Matthias Glaubrecht wurde 1962 in Hamburg geboren. Er studierte an der Universität Hamburg Biologie, wo er 1994 promoviert wurde. Zwischen 2006 und 2009 war Glaubrecht Leiter der Forschungsabteilung im Naturkundemuseum Berlin. 2011 habilitierte er sich an der Humboldt-Universität Berlin. Im Jahr 2014 wurde er zum Direktor des Centrums für Naturkunde in Hamburg ernannt.

Glaubrecht ist außerdem als Buchautor und als Wissenschaftsjournalist für zahlreiche Zeitschriften und Zeitungen tätig. Glaubrecht warnt: „Wir verlieren wahrscheinlich vor allen Dingen uns selber, einen Großteil der Menschheit. Es wird das Ende der Evolution sein mit den Tieren und Pflanzen und die belebte Welt, wie wir sie kennen“.  In seinem neuen Werk „Das Ende der Evolution: Der Mensch und die Vernichtung der Arten“ befasst er sich ausführlich mit dem Thema (erschienen im C. Bertelsmann Verlag; Originalausgabe vom 3. Dezember 2019).

 

Das Interview wurde von Svenja Furken, PROVIEH-Vorstandsmitglied, geführt und erschien erstmals in „respektiere leben.“ – Das Magazin für „Nutz“tierschutz (Ausgabe 2 / 2020). Das Magazin kann hier als PDF kostenlos heruntergeladen werden. Die Printausgabe kann hier im PROVIEH-Shop bestellt werden.

Wir bedanken uns bei PROVIEH für die freundliche Genehmigung zur Publikation.