Coronavirus, Klima- und Umweltnotlage, die Rolle und Perspektive von Klimabewegungen, darüber sprechen wir mit Andrea Ascari, Aktivist von Fridays For Future, Mailand.

Die Klimanotlage ist aus der öffentlichen Debatte und den Massenmedien verschwunden. Das einzige Thema ist das Coronavirus.

Was können wir tun, um jetzt das Klima in den Vordergrund zu stellen? Die Coronakrise ist ein Ausdruck der Klima- und Umweltnotlage, auch wenn sie nicht so dargestellt wird. Was wir tun können, ist die Verbindung zwischen diesen beiden Notsituationen aufzuzeigen, indem wir versuchen ein Denkmodell anzuwenden, welches jedes Ereignis oder Erscheinung als Ergebnis unterschiedlicher Faktoren betrachtet und daher nicht verstanden werden kann, wenn wir nicht auch die Faktoren verstehen, die sie verursacht haben.

Wer die Verbindung zwischen den beiden Notlagen erkennt, muss sich verpflichten, notwendige Informationen zu verbreiten, damit mehr und mehr Menschen eine Verbindung zwischen den beiden Phänomene herstellen können. Wir müssen die Mauer der kollektiven Psychose durchbrechen, die durch die Pandemie hervorgerufen wurde. Dazu braucht es philosophisches Wissen, welches wissenschaftliche Informationen begleitet, eine proaktive Einstellung und die mit der Perspektive auf eine bessere Welt für alle einhergeht. Das kann nur durch die Summe kleiner Taten jedes Einzelnen entstehen.

Der nächste globale Klimastreik war für den 24. April geplant. Wurde alles abgesagt oder werden virtuelle Veranstaltungen stattfinden?

Die Demonstration wurde abgesagt, da wir offensichtlich nicht so bald mit den großen Teilnehmerzahlen wie im letzten Jahr auf die Plätze zurückkehren können. Theoretisch sollen zum 24. April die Präventivbeschränkungen ein wenig zurückgefahren werden. Wir können es uns nicht erlauben stillzustehen und organisieren daher einen Online-Streik, suchen und experimentieren mit alternativen Kommunikationsformen, die Wirkung haben und die Aufmerksamkeit der Menschen für die Klimafrage und die Umwelt erneuert. Dies sind intensive Wochen, da wir versuchen, uns in Italien auf einer nationalen Ebene zu organisieren, um eine gemeinsame Strategie für diesen Tag zu verfolgen. Es gibt viele Vorschläge von verschiedensten lokalen Gruppen für den Ablauf dieses Tages. Doch die Schwierigkeit liegt darin, Menschen das Gefühl zu vermitteln, dass sie an einem weltweiten Ereignis beteiligt sind, während sie zuhause eingeschlossen sind und über den Bildschirm ihrer Handys beobachten, was draußen passiert.

Wie beurteilst du die Maßnahmen, die bis jetzt von der italienischen Regierung bezüglich des Klimawandels ergriffen wurden und was sollte deiner Meinung nach geschehen, sobald die Gesundheitsnotstand vorüber ist?

Ich bin sehr enttäuscht über das völlige Fehlen von Maßnahmen unserer Regierung, um den Klimawandel zu bekämpfen. Nach den Demonstrationen letzten Jahres wurde eine besondere Aufmerksamkeit für die Umwelt und das Klima versprochen, doch es waren leere Worte. Die neuen finanziellen Maßnahmen der Regierung bestätigten 474 Millionen Euro als Anreize für fossile Brennstoffe, welche hauptsächlich an Eni und Edison gehen werden.

Das ist sehr viel mehr als unser Land von Europa für den Green New Deal erhalten sollte. Zusätzlich zu den Finanzaktivitäten bezogen auf fossile Brennstoffe werden große unnötige Arbeiten in Gang gesetzt, wie Hochgeschwindigkeitsbahnlinien, die Ausweitung der Straßeninfrastruktur und generell Flächenverbrauch. Das sind alles kontraproduktive Aktivitäten, welche den Zustand des Planeten, welcher uns beherbergt und Leben gewährt, verschlimmern. Wenn unser Gesundheitssystem durch etwas Unsichtbares in Krise geraten kann, frage ich mich, wie wir die Intensivierung extremer Klimaereignisse und allem, was damit einhergeht, bewältigen wollen. Deswegen müssen wir das öffentliche Gesundheitswesen zu der Widerstandsfähigkeit wiederherstellen, welche es in der Vergangenheit hatte, indem wir die Ressourcen, welche dem privaten Gesundheitswesen über die letzten 40 Jahre bereitgestellt wurden, also nur wirksam für jene sind, die es sich leisten können, dem Gesundheitsschutz aller, ohne Unterscheidungen, zur Verfügung stellen. Somit verpflichten wir uns dazu, die Korruption, welche typisch für individualistisches und gieriges, kapitalistisches Denken ist, auszulöschen.

Welche Verbindung siehst du zwischen dem Umweltdesaster und dem Coronavirus?

Ich sehe eine Verbindung, die die Wissenschaft irgendwie geschafft hat zu erklären: Die anhaltende Expansion des Menschen zu Lasten der Umwelt und anderer Lebensformen hat die wenigen Orte, welche noch unberührt sind und den Lebensraum von Tierarten bilden, mit welchen wir kaum in Kontakt kommen, in Mitleidenschaft gezogen. Wenn dies passiert, kann eine Übertragung von Viren von einer Spezies auf die andere auftreten.
Die andere Verbindung ist möglicherweise philosophischer: Wenn wir die Gesamtheit von Leben, welches unseren Planet bewohnt, und die Beziehungen welche zwischen verschiedenen Lebensformen existieren berücksichtigen, ist der Virus eine Art von Reaktion welche darauf zielt, eine Balance wiederherzustellen. Die Erde hat eine Evolution von Milliarden von Jahren erlebt, auf der Suche nach einer Balance, welche nur erreicht werden kann, wenn jedes vorhandene Teil in Symbiose mit den anderen Teilen ist. Wenn ein Teil dazu neigt, über die anderen zu herrschen, werden natürliche Mechanismen zum Finden dieser Balance angestoßen.

Eine etwas persönlichere Frage: Wie hast du auf diese destabilisierende Situation, welche durch die Gesundheitsnotlage ausgelöst wurde, reagiert? Wie verbringst du deine Tage drinnen?

Ich muss sagen, dass es ziemlich hart war und immer noch ist. Normalerweise bin ich immer draußen auf meinem Fahrrad und versuche soviel Kontakt wie möglich mit der Natur zu haben. Zuhause eingesperrt zu sein, ist eine Einschränkung, an die ich nicht gewöhnt war. Aber ich versuche auch die positive Seite daran zu erkennen: Zumindest bin ich kein Opfer des Virus. Ich verbringe meine Tage damit, in Teilzeit als Softwareentwickler zu arbeiten. Das ist die Aktivität, die meinen Unterhalt sichert. Die andere Hälfte des Tages verbringe ich damit, worauf ich Lust habe oder von dem ich denke, dass es jenseits meiner selbst Sinn ergibt. Ich versuche soviel wie möglich zu lesen und mein Engagement als Aktivist beizubehalten. Ich trainiere (nicht zu viel) und versuche mein Post-Corona-Leben zu planen

Eine Mitteilung des Optimismus? Wie können Klimabewegungen starke Aktionen gegen den Klimawandel beeinflussen, ohne auf das Desaster zu warten?

Ich denke Optimismus benötigt effektive Bemühungen, um zu entstehen und zu wachsen. Er ist ein Samen, der kultiviert werden muss. In diesen Wochen der sozialen Distanzierung lernen wir, wie notwendig es ist, uns auf kleine Dinge zu fokussieren, von denen wir glauben, dass sie fällig sind, und ich hoffe, dass sich dieses Bewusstsein auf die Frage des Klimawandels ausdehnen wird. Ich sehe Liebe in dieser schwierigen Situation wachsen, auch wenn die Medien versuchen, uns gegeneinander auszuspielen mit der Jagd nach der Salbung und der Schulzuweisung des Individuums. Doch Liebe könnte die richtige Antriebskraft sein, um mehr und mehr Menschen zu sensibilisieren.

Die Kultur des Hasses kann nicht fortfahren, denn sie verlangsamt uns nur in diesem zügellosen Rennen gegen die Zeit. Die Klimabewegung weiß dies, denn die Liebe zur Erde ist die Basis ihres Kampfes und sie laufen langsam zusammen zu einem einzigen Strom von Menschen, die zunehmend entschlossen sind, das Leben auf diesem Planet zu beschützen. Die verschiedenen Perspektiven der Umwelt und Klimabewegungen, welche in den letzten Jahren entstanden sind, erlauben mehr und mehr Menschen, ihren Platz gemäß ihrer Überzeugungen und Strategien um Ziele zu erreichen, in diesem Kampf zu finden. Dieses Bewusstsein kann nur wachsen, denn das Scheitern unseres Entwicklungsmodells ist nun sichtbar, sogar für jene, die es nicht erkennen wollen. In dem Maße, wie das Bewusstsein wächst, werden auch die erzielten Resultate wachsen, bis schließlich das letzte Hindernis fällt und wir wahrlich in Harmonie mit dem Planeten und den anderen Lebewesen, welche ihn bewohnen, leben können.

Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Lina Wollgast aus dem ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!