Joênia Batista de Carvalho wurde am 20. April 1974 im Dorf Truaru da Cabeceira im Bundesstaat Roraima geboren. Im Alter von acht Jahren zieht sie mit ihrer Mutter in die Hauptstadt Boa Vista.

Sie schreibt sich für die Fakultät Rechtswissenschaften an der Universität des Landes ein. Nach ihrem Abschluss 1997 geht sie dank eines Stipendiums in die USA und spezialisiert sich dort in Internationalem Recht und Indigenen Politikwissenschaften an der Universität von Arizona. Als Nachname nimmt sie den Terminus an, der ihre ethnische Zugehörigkeit definiert. Jôenia Wapichana ist die erste indigene Frau, die in Brasilien den Beruf des Anwalts ausübt. Sie beginnt ihre Arbeit beim CIR (Conselho Indígena de Roraima – Indigener Rat von Roraima) zur Verteidigung territorialer Rechte von ethnischen Gruppen und Kulturgemeinschaften im Bundesstaat Roraima und der nördlichen Region Brasiliens.

2004 erhält sie den Reebok Human Rights Award für die Verteidigung der Rechte obengenannter Ethnien.

Vor dem Obersten Gerichtshof Brasiliens verteidigt Joênia 2008 die Abgrenzung des indigenen Territoriums Raposa-Serra do Sol. Die Richter erkennen die territoriale Integrität des Gebietes an und Joênia begleitet auch weiterhin alle Phasen dieses historischen Prozesses, der wegweisend für die Anerkennung und Erhaltung vieler anderer indigener Gebiete wird.

2010 wird sie mit dem Orden für kulturelle Verdienste des Ministeriums für Kultur ausgezeichnet. 2013 wird sie die erste Präsidentin der neu gegründeten Kommission für die Rechte indigener Völker der OAB (Ordem dos Advogados do Brasil – brasilianische Rechtsanwaltskammer).

Im März 2018 findet die 47. Hauptversammlung der Indigenen Völker von Roraima statt. Die Teilnehmer beschließen, dass ihre führenden Köpfe auch politische Ämter bekleiden sollen. So sieht die indigene Bewegung Roraimas in Jôenia Wapichana die richtige Person, um als Abgeordnete für das nationale Parlament zu kandidieren. Bei den Wahlen im Oktober wird Jôenia die erste indigene Frau, die ins brasilianische Parlament gewählt wird. 32 Jahre zuvor war Mario Juruna der erste indigene Abgeordnete, der damals die politische Bühne verließ. Jôenia wurde im ersten Wahlgang mit 8.491 Stimmen für das Bündnis REDE (Rede Sustentabilidade –Netzwerk für Nachhaltigkeit) gewählt. Für ihr Engagement im Bezug auf soziale Themen, Menschenrechte, Umweltschutz und Nachhaltigkeit hatte sie auch viele Stimmen aus der nicht-indigenen Bevölkerung auf sich vereinen können.

Am 18. Dezember ehren die Vereinten Nationen Jôenia mit dem Menschenrechtspreis 2018.

Am 1. Februar 2019 beginnt sie ihr Mandat. Am 8. Februar gibt Joênia ihren ersten Gesetzesentwurf zu Protokoll, der Tatbestände, die der Umwelt schwere Schäden zufügen und die die Gesundheit von Menschen gefährden, als grausame Verbrechen ansieht.

Am 14. März verleiht ihr die OAB (brasilianische Rechtsanwaltskammer) die Mirtes-Gomes-Medaille, mit der Anwältinnen für ihr juristisches Engagement auf nationaler Ebene ausgezeichnet werden, insbesondere für die Verteidigung der Rechte von Frauen. Ebenfalls im März wird die Parlamentarische Front zur Verteidigung Indigener ins Leben gerufen, zu deren Schaffung Joênia entscheiden beigetragen hat. Zu den bereits erlangten Erfolgen der Front gehört die Zurückweisung der Maßnahme, mit der der derzeitige skrupellose Präsident Brasiliens die Abgrenzung indigener Territorien dem Landwirtschaftsministerium anvertrauen wollte, einem Ministerium, das den Interessent von Großgrundbesitzern dient, die traditionell rücksichtslos mit Indigenen umgehen.

Die Kandidatur von Mario Juruna wurde damals von Leonel Brizola und Darcy Ribeiro, zweier bekannter Persönlichkeiten Brasiliens, unterstützt, aber Juruna wurde nicht wieder gewählt und so waren Indigene 32 Jahre lang aus dem brasilianischen Parlament verschwunden. Nun wurde Joênia Wapichana von der organisierten Indigenen Bewegung gewählt. Sie ist die erste indigene Abgeordnete im nationalen Parlament, aber sie wird nicht lange alleine bleiben: aufgrund der Tatsache, dass immer mehr Indigene eine akademische Ausbildung anstreben, ist ihr Mitwirken in allen Bereichen des Lebens in der Republik Brasilien und der brasilianischen Gesellschaft nunmehr unaufhaltsam.

Ich möchte diesen Bericht mit einer persönlichen Note schließen:

Im Januar 2019 hielt ich mich in Boa Vista auf. Gegenüber der Freundin, die mich beherbergte, einer großherzigen und sensiblen Indigenen vom Volk der Patamona, äußerste ich den Wunsch, Joênia kennenzulernen. Gesagt, getan. Ich war überwältigt von der sofortigen Zusage und von ihrer Unkompliziertheit, denn es war es Joênia, die mich im Zuhause meiner Freundin besuchen kam, und die uns prompt zum Abendessen einlud. Diese kleine Anekdote sagt viel über die Menschlichkeit von Joênia aus und ich wünsche ihr, dass sie auch weiterhin ihren indigenen Wurzeln unerschütterlich treu bleibt.

Wenn ihr das gelingt, ist der Erfolg ihres Werkes gesichert: sie wird nicht nur wieder gewählt werden, sondern ihr Vorbild wird auch andere mutige Frauen des Amazonas inspirieren, ihrem Beispiel und ihrem Weg zu folgen.

 

Übersetzung aus dem Italienischen von Evelyn Rottengatter