Die Lage im Katalonien-Konflikt spitzt sich zu. Die Zeichen stehen auf Konfrontation zwischen der Zentralregierung in Madrid und der bisher autonomen Regierung in Barcelona. Kühle Köpfe fordern den Dialog. Doch das passt nicht allen ins Konzept.

Als Deutschland zur Wahl schritt, spielten sich im nordspanischen Zaragoza unschöne, teilweise sogar bedrohliche Szenen ab.

Angesichts der Zuspitzung im Katalonien-Konflikt hatte das Wahlbündnis Unidos Podemos zu einer Versammlung aller demokratischen Kräfte des Landes aufgerufen. Eingeladen wurden Abgeordnete aus allen Landesparlamenten, Stadträte, Bürgermeister, Kongress- und Europaabgeordnete.

Rund 400 Vertreter aller politischen Lager folgten dem Aufruf von Unidos Podemos: Konservative, Liberale, Progressive, Kommunisten, Christdemokraten und Anarchisten, Befürworter und Gegner der Abspaltung Kataloniens, Basken und Andalusier, Kastillier und Katalanen, Valencianer und Balearen und Kanaren, Aragonesen und Murcianer, Vertreter aus Extremadura und Galicier, Navarresen und Riojaner – alle vereint durch die Sorge um das Land und um die Demokratie.

Lediglich Mitglieder der Regierungspartei PP (Partido Popular), der Sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens (PSOE) und von Ciudadanos, eine liberale Mitte-Rechts-Partei, folgten der Einladung nicht.

Unterstützt die PSOE weiterhin die PP von Ministerpräsident Mariano Rajoy, dürfte sie politisch bald vom Rest der Opposition isoliert sein.

Nachdem ein Gericht in Madrid verbot, eine Versammlung in der Hauptstadt abzuhalten, die sich mit der Thematik des Katalonien-Konfliktes befasst, wichen die demokratischen Kräfte nach Zaragoza aus. Der Bürgermeister der Stadt hatte gegen den großen Widerstand rechter politischer Gruppierungen einen Tagungsort zur Verfügung gestellt.

Die Stimmung war aufgeheizt. Schon bei der Ankunft in Zaragoza wurden die Gäste von einer Spanienflaggen schwingenden Menge mit Pfiffen und Beleidigungen empfangen.


Wie sich später herausstellte, handelte es sich vor allem um Anhänger faschistischer Organisationen.

Angriff auf Parlamentspräsidentin

Die Menge wuchs im Laufe der Tagung auf mehrere Hundert Menschen an. Am Ende der Tagung hinderten sie die Volksvertreter am Verlassen des Tagungsortes. Als Violeta Barba, die Parlamentspräsidentin von Aragón es dennoch versuchte, um mit der Polizei in Kontakt zu treten, wurde sie tätlich angegriffen. Sie blieb unverletzt.

Die Polizei blieb passiv. Lediglich die Ein- und Ausgänge wurden verschlossen, die Politiker waren somit festgesetzt.

Bei Kontaktaufnahme mit dem Innenministerium wurde ihnen mitgeteilt, dass für ihre Sicherheit nicht garantiert werden könne, weil sich zu viele Beamte in Katalonien aufhielten. Weitere Auskünfte gab es nicht. Die nicht genehmigte Versammlung der Faschisten löste sich nach einigen Stunden auf und die Politiker konnten den Tagungsort unbehelligt verlassen.

Das Ergebnis der Tagung war ein von allen Anwesenden unterzeichnetes Manifest, dass die Neue Debatte für seine Leser ins Deutsche übersetzt hat.


Manifest für die Freiheit, die Brüderlichkeit und das Zusammenleben

Die unten unterzeichnenden Personen, die der Demokratie, der Freiheit, der Brüderlichkeit, dem Dialog, dem Zusammenleben und den Bürgerrechten sowie den nationalen und sozialen Rechten verpflichtet sind, erklären als Vertreter von Millionen Bürgern, der Völker und Nationen des Staates, dass:

Die Konfliktsituation in Katalonien den Dialog und politische Lösungen erfordert. Die Festnahme von katalanischen, öffentlichen Amtsträgern, das Verbot von politischen Aktionen und Versammlungen, das Eindringen von Sicherheitskräften in Druckereien und Kommunikationsmedien, die Beschlagnahmung von Zeitschriften, das Verbot von politischen Kampagnen und das Eindringen in Gebäude des Govern (Anm.: Regierung), sind Handlungen, die das Zusammenleben und die verfassungsmäßigen Fundamente der Demokratie zerstören und Spanien und Katalonien in eine besorgniserregende Ausnahmesituation treiben.

Angesichts dieser Ausnahmesituation, die eine Einschränkung der Demokratie beinhaltet, erachten wir es für unabdingbar, sich dem Dialog zu verpflichten, um die politischen Konflikte zu lösen.

Wir fordern die Zentralregierung auf, mit der Generalitat und der Gesamtheit der politischen Akteure in einen Dialog zu treten, um politische und demokratische Lösungen in Katalonien zu finden, Lösungen, die es dem katalanischen Volk erlauben, über dessen Zukunft in einem mit dem Staat vereinbarten Referendum zu entscheiden.

Wir fordern ferner die Zentralregierung auf von ihrer Ausnahme- und Repressionspolitik abzulassen, da diese die fundamentalen Freiheiten der Demokratie bedrohen. Die Regierung darf am 1. Oktober nicht verbieten, dass sich die katalanischen Bürger so äußern, wie sie es für richtig erachten.

Anmerkung: Die Originalfassung des Manisfestes ist auf https://declaraciondezaragoza.org/ zu finden.


Unverrückbare Positionen

Der Konflikt in Kataloniens hat zweierlei deutlich gemacht: Sowohl in der Zentralregierung als auch in der Generaltat sitzen Politiker die verantwortungslos handeln. Beide Seiten haben sich ohne Not in eine angebliche Sackgasse manövriert.

Offenbar hat der hohe Testosteronspiegel von Mariano Rajoy und Carles Puigdemont, beide eines der elementarsten Instrumente einer Demokratie vergessen lassen – den Dialog. Sie spielen lieber mit der Gesundheit und dem Leben von Bürgern und Sicherheitskräften.

Der zweite Aspekt ist, dass die Regierungspartei PP ihre Gene nicht verleugnen kann. Das autoritäre Vorgehen ist beste franquistische Schule und zeugt von einem hohen Maß an Intoleranz und Einfallslosigkeit.

Nicht einmal in den Zeiten, in denen die baskische Terrororganisation ETA fast täglich bombte und mordete – und dabei sogar einen gewissen Rückhalt bei Teilen der baskischen Bevölkerung hatte -, ging die Zentralregierung so weit, die Kontrolle über die baskische Polizei zu übernehmen. Die Angst vor einem Urnengang zum Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien muss sehr viel tiefer sitzen als die Angst vor Terroranschlägen.

Im Hafen von Barcelona liegen zwei Fähren in denen rund 4000 Polizisten auf einen eventuellen Einsatz warten. Und es werden weitere Polizeikräfte in Katalonien zusammengezogen.

Im restlichen Land sind Sympathiekundgebungen für Katalonien verboten. In Madrid kündigte ein Richter an, die Organisatoren einer Pro-Katalanischen-Demonstration unter Anklage zu stellen.

Unverantwortliches Handeln auch in Barcelona

Carles Puigdemont ist aber nicht besser. Obwohl die Stimmzettel für das Referendum beschlagnahmt und  ihm die Kontrolle über die eigene Polizei entzogen wurde, und obwohl er weiß, dass große Kontingente der paramilitärischen Guardia Civil und der nationalen Polizei vor Ort sind, ruft er die Katalanen dazu auf, am 1. Oktober auf die Straße zu gehen und sich am Referendum zu beteiligen.

Die Generalitat will die beschlagnahmten Urnen für die Abstimmung bis dahin wieder zur Verfügung stellen. Puigdemont setzt die Bevölkerung damit einer Gefahr für Leib und Leben aus. Niemand weiß, wie die Polizei reagieren wird. Das ist unverantwortlich.

Sollte wider Erwarten das Referendum durchgeführt werden und die Mehrheit für eine Unabhängigkeit von Spanien stimmen, will Puigdemont schon 48 Stunden später im katalanischen Parlament die Republik Katalonien ausrufen. Was dann passiert, weiß niemand.

Alternativlosigkeit als Feigenblatt

Beiden Seiten kann aus meiner Sicht durchaus Unfähigkeit bei der Konfliktlösung attestiert werden, denn beide verschanzen sich hinter Positionen, die sie als alternativlos bezeichnen. Eine Haltung, die in der Geschichte schon Millionen von Menschen das Leben gekostet hat.

Dass die Aufgabe, auch um eine Katastrophe zu vermeiden, verantwortungsbewusster Politik darin besteht, eine Alternative zu finden, die es immer gibt, wenn der Wille da ist, zeigen die demokratischen Kräfte in Zaragoza.

Allerdings haben sich diese nur auf die Zentralregierung fokussiert, was meines Erachtens ein Fehler ist. Bekanntlich gehören immer zwei dazu, wenn man Tango tanzen will. Auch Puigdemont hätte aufgefordert werden müssen, Bereitschaft zu einem Dialog zu signalisieren.

Katalonien-Konflikt richtungsweisend für Europa

Abgesehen von der Unabhängigkeitsfrage, geht es bei dem Konflikt um mehr. Sein Verlauf und Ausgang könnten richtungweisend für die Demokratien in ganz Europa sein.

Die Bugwelle der Repression hat die anderen Landesteile Spaniens erreicht. Denn nichts anderes als Repression sind die Hindernisse und Verbote, die den gewählten Vertretern des Volkes in den Weg gelegt wurden, und nichts anderes sind Versammlungsverbote und Verbote der freien Meinungsäußerung.

Aber in ganz Europa kann man Tendenzen erkennen, die Anlass zur Sorge geben. In Frankreich herrscht ein nicht enden wollender Ausnahmezustand, und ein Präsident Macron, der vorgibt an die Demokratie zu glauben, für den aber der Wille der Menschen auf den Straßen Frankreichs nicht zählt.

Ein Deutschland, dass nicht nur wegen Netzdurchsetzungsgesetz, Staatstrojaner und Gesichtserkennung auf dem besten Wege ist, sich in einen Überwachungsstaat zu verwandeln. Begleitet von einer Kanzlerin, aus deren Mund mehr als ein Mal das Wort „alternativlos“ zu hören war.

Trotz der Sorge, die mich in diesen Tagen um mein Geburtsland erfüllt, habe ich Grund zur Hoffnung. Die Spanier, egal ob Katalane, Kastillier oder Baske, die Menschen haben die Angst vor einem korrupten und repressiven Staat verloren. Sie verbrüdern sich über Sprach- und Nationaitätsgrenzen hinweg. Das könnte für die Franco Erben in Madrid das Ende bedeuten: El pueblo unido jamás será vencido! Das vereinte Volk wird niemals besiegt werden!


Jairo Gomez – Seit 1967 lebt der im spanischen Granada geborene Bernardo Jairo Gomez Garcia in Deutschland. Schon vor seinen Ausbildungen zum Trockenbaumonteur und Kfz-Lackierer entdeckte Gomez seine Leidenschaft für die Kunst. Er studierte an einer privaten Kunsthochschule Airbrushdesign und wechselte aus der Fabrikhalle ans Lehrerpult. 14 Jahre war Gomez als Spanischlehrer in der Erwachsenenbildung tätig. Seine Interessen gelten der Politik, Geschichte, Literatur und Malerei. Für Neue Debatte schreibt Jairo Gomez über die politischen Entwicklungen in Spanien und Lateinamerika und wirft einen kritischen Blick auf die gesellschaftlichen Veränderungen in Deutschland und Europa.

Der Originalartikel kann hier besucht werden