Seit über zwei Jahren ist der Saal des People’s Forum der Treffpunkt für New Yorker Aktivist:innen, die sich für ein freies Palästina einsetzen. Seit dem schicksalhaften 7. Oktober hat der Strom von Menschen, die sich jeden Montag zur Versammlung einfinden, nie aufgehört – im Gegenteil: Auf die übliche Frage „Wer ist heute zum ersten Mal hier?” gehen immer neue Hände hoch.
Die meisten sind junge Menschen, einige sogar sehr jung, die sich zum ersten Mal politisch und sozial engagieren. Obwohl sie jung und unerfahren sind, ist es ihnen gelungen, ein System des Gegenangriffs auf die Macht und die Rhetorik der offiziellen Medien aufzubauen, das sprachlos macht. In den vielen Jahren, die ich innerhalb und außerhalb italienischer und europäischer Basisbewegungen verbracht habe, bin ich noch nie mit einer so gut strukturierten Realität in Berührung gekommen – sowohl was die praktische Effizienz als auch die kollektive Ausarbeitung von Gedanken betrifft. Die Bewegung hat sich auch angesichts der gewaltsamen Unterdrückung, die im vergangenen Frühjahr die Universitäten heimgesucht hat, nicht aus der Bahn werfen lassen. Dort, so sagt man mir, sind die Protestaktivitäten mittlerweile auf ein Minimum geschrumpft oder sind in den Untergrund gegangen. Man hat sich an anderen Orten und in neuen Formen neu organisiert. Ich würde sagen: agiler als der Kapitalismus selbst. Ich werde versuchen, ein Bild davon zu vermitteln, auch wenn es der lebendigen Leidenschaft des Originals kaum gerecht werden kann..
Die Digitalisierung der Stadt
New York City ist in fünf „Boroughs“ unterteilt, ein Wort, das mit Stadtteil, Bezirk oder Gebiet übersetzt werden kann. Es handelt sich um so ausgedehnte Gebiete, dass sie selbst Städte sind – Brooklyn, in dem ich wohne, ist beispielsweise etwa viermal so groß wie Mailand. In einer Megastadt wie New York City ist es nicht einfach, eine menschlich miteinander verbundene Bewegung zu organisieren, in der sich Formen der Freundschaft und des Teilens entwickeln. Um dies zu erreichen, haben die Jugendlichen New York buchstäblich digitalisiert und sogar New Jersey annektiert. Die Bewegung ist föderalistisch konzipiert und lässt sich nach der Stadtteillogik in Gruppen unterteilen. Anschließend wird die auf diese Weise aufgeteilte Karte mithilfe digitaler Plattformen (Signal, Google Drive, Instagram) ins Netz gestellt. Ich gehöre beispielsweise zu Central Brooklyn (es gibt auch South und North). Wenn ich an Straßenaktionen, Schulungsgruppen, Informationsständen usw. teilnehmen möchte, wende ich mich an die Gruppen in meiner Gegend, die unter der Woche aktiv sind. Jeden Montag kommen die Stadtteile im People’s Forum zusammen. Unter anderem wird dort die Planung für die nächsten sieben Tage beschlossen und die Plattformen werden entsprechend aktualisiert, was weitreichende Auswirkungen auf die Stadt hat.

Ein Informationsstand von Aktivist:innen für Palästina.
Persönliches und kollektives Wachstum
Innerhalb der Bewegung wird dem Wissen große Aufmerksamkeit geschenkt. Wissen wird als grundlegendes Element von Bürgeraktivist:innen angesehen, daher werden entsprechende Schulungskurse organisiert. Ich habe an dem Einführungskurs „Was sind ein PAC, ein Super-PAC und die AIPAC (der mit Israel verbundene Super-PAC)” teilgenommen. In Kürze beginnt ein Kurs zur zeitgenössischen Geschichte der Kriege im Nahen Osten mit dem Titel „America’s Forever Wars in the Middle East (Amerikas ewige Kriege im Nahen Osten)”. Neben Kursen mit historisch-kulturellem Schwerpunkt, die in der Regel am Sitz in der 37. Straße in Manhattan stattfinden und föderalistisch konzipiert sind, gibt es weitere Kurse, die direkt von den Gruppen organisiert werden. Vor einiger Zeit habe ich zum Beispiel an einem Kurs teilgenommen, um mich „auf das öffentliche Sprechen in verschiedenen Situationen vorzubereiten“: eine Rede auf einem Platz oder in der U-Bahn zu halten, die Aufmerksamkeit auf einen Informationsstand zu lenken und Ähnliches. Der Termin fand in einem privaten Wohnhaus statt. Einige von uns saßen auf dem Boden, andere auf Sofas oder Sesseln. Zunächst stellten wir uns gegenseitig Fragen zu den großen Systemen, um uns kennenzulernen und das Eis zu brechen. Anschließend schauten wir uns Videos an. Mir war sofort klar, dass niemand ein Experte in Rhetorik war – was mit zwanzig auch eher unwahrscheinlich ist.
Nachdem wir uns auf die Punkte konzentriert hatten, die uns für den Aufbau einer guten Rede wichtig erschienen – wie beispielsweise unseren Zuhörern Bedeutung beizumessen – und einige Regeln für die Artikulation verstanden hatten, wie beispielsweise, dass es eine Illusion ist, zu glauben, dass wir leise sprechen, versuchte jeder innerhalb von zehn Minuten, seine Rede zu verfassen und sie stehend vor allen anderen vorzutragen. Es versteht sich von selbst, dass sich die Jugendlichen sowohl bei der Präsentation als auch bei der Unterstützung der anderen mit größtem Engagement einbrachten. Sie taten dies auf so ehrliche und spontane Weise, dass sich niemand beleidigt oder eingeschüchtert fühlte – im Gegenteil: Wir alle kehrten bereichert nach Hause zurück. Einige von uns beschlossen sogar, am Samstag (es war Donnerstag) bei einer Veranstaltung öffentlich zu sprechen.
Die Recherche
Wissen beruht auf gründlicher Recherche – vor allem, wenn das Ziel hochgesteckt ist: die Wahrheit der Politik ans Licht zu bringen. Meiner Meinung nach ist das eine titanische Aufgabe, von der sich die New Yorker Aktivist:innen jedoch nicht einschüchtern lassen. Im Gegenteil, sie hat sie motiviert, Daten, Fakten und Namen zu suchen, um sie anderen New Yorker:innen zu präsentieren. Diese begegnen ihnen auf der Straße und in den sozialen Medien und sind oft Opfer von bruchstückhaften Informationen und Ad-hoc-Propaganda, wie „das Recht Israels, sich zu verteidigen”. Schauen wir uns diese „Verteidigungswaffen” also einmal genauer an!
Jede Gruppe entscheidet selbst, worauf sie ihre Recherche konzentriert. Einige untersuchen die Waffenfabriken in Brooklyn und New Jersey, von denen Israel versorgt wird. Wir von Central Brooklyn haben uns entschieden, uns auf die Geldströme zu konzentrieren, die reichlich von den israelischen Lobbys in die Taschen der Politiker fließen. Einer meiner Tutoren sagte einmal zu mir: „Folge dem Geld.” Er wusste nicht, dass er damit ein spiritueller Schüler unseres lieben Giovanni Falcone war.
Unsere Recherchearbeit findet sonntags in einem netten Café statt. An einem großen quadratischen Tisch sitzen wir mit Teetassen und leckeren Keksen und vertiefen uns in ein labyrinthisches Netz aus institutionellen Websites und Online-Zeitungen. Auch in diesem Fall arbeiten wir auf einer gemeinsamen Plattform, die das Gruppensystem in der digitalisierten Stadt widerspiegelt.
Meine erste Aufgabe war einfach, aber nicht selbstverständlich und zeigte mir einmal mehr, welches Kompetenzniveau die Bewegung erreicht hat. Ich suchte die jeweiligen Schlüsselpunkte (Geld erhalten von x und y, Stimme gegeben oder verweigert, geäußerte Statements und ähnliches) für jeden Namen aus einem Ordner mit Informationen über einige Politiker der Stadt heraus und gab sie in ein Dokument ein. Am Ende hatte ich für jeden Politiker eine Notiz zusammengestellt, die als Vorlage für die Vorbereitung öffentlicher Reden dienen konnte und die der Redner bei Bedarf zur Hand haben konnte.
Diese spezifische Recherche ist Teil der Kampagne „AIPACout!”, deren Ziel es ist, durch eine Art Volksabstimmung den Ausschluss der israelischen Lobby aus der amerikanischen Politik zu erzwingen. Ich habe bereits in diesem Artikel darüber berichtet.
Das Bewusstsein
Eine der beeindruckendsten Dinge ist für mich, wie selbstverständlich die amerikanische Gesellschaft ihre praktische, lösungsorientierte Art mit dem Wunsch nach menschlichem und spirituellem Wachstum verbindet. Jedes Mal, wenn wir uns treffen, verbringen wir einen Großteil der Zeit nicht damit, Maßnahmen zu planen und technische Probleme zu lösen, sondern wir denken über die Realität um uns herum nach und tauschen uns darüber aus. Normalerweise lesen wir jeweils einen Absatz eines Artikels und diskutieren ihn dann. Der letzte Artikel, den wir behandelt haben, stammte aus der sozialistischen Zeitschrift „Jacobin“ und befasste sich mit der historischen Solidarität der Hafenarbeiter. (Übrigens habe ich beim Lesen entdeckt, dass sich die US-Hafenarbeiter im Jahr 1935 geweigert haben, Waffen zu verladen, die für die Invasion Eritreas bestimmt waren.) Ein anderes Mal haben wir uns mit dem Konzept der Barriere beschäftigt. Den Anstoß gab ein Artikel, der die Möglichkeit einer weiteren Mauer, diesmal zwischen Israel und dem Libanon, ins Spiel brachte.
Dann gab es noch ein Gedankenexperiment, dessen Ergebnis mich überraschte und mir Vertrauen in die Menschheit gab. Wir stellten uns vor, die Palästinenserfrage wäre zum Besten gelöst worden, und fragten uns: „Wäre unsere Arbeit dann beendet?” Alle antworteten mit Nein: Es gäbe noch viel zu tun für alle unterdrückten Völker und Benachteiligten auf diesem Planeten. Wir würden uns so lange engagieren, bis das vom Imperialismus in Form des Neokolonialismus gegen Menschen und Natur eröffnete Spiel sowohl zu Hause als auch im Ausland beendet wäre.
Schlussfolgerungen
Diese Bewegung, die entstanden ist oder vielleicht wieder auferstanden ist, als wir es am wenigsten erwartet haben, interessiert sich nicht für den Feind an sich. Bei den Menschen, mit denen ich zu tun habe und denen ich begegne, habe ich weder Wut noch Rachegelüste festgestellt. In den Versammlungen habe ich nie verbale Auseinandersetzungen erlebt, im Gegenteil: In den Dialogen herrschen gegenseitiger Respekt und Höflichkeit. In den Häusern und kleinen Gruppen habe ich nie Anzeichen von Drogenkonsum oder anderen Missbräuchen festgestellt (was wird sich die CIA diesmal ausdenken?). Ich bin immer nur auf Gastfreundschaft, Hilfsbereitschaft und Interesse gestoßen. Während ich sie beobachtete, wurde mir klar, wie rein die Aktivist:innen sind und wie sehr sie sich für eine bessere Gesellschaft einsetzen. Vielleicht sind sie die erste Generation, die verstanden hat, dass man vor allem das kollektive Bewusstsein schärfen muss. Nur dann werden schöne Dinge entstehen und Bestand haben.
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Kornelia Henrichmann vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!









