Nur fünf Tage nach der Abweisung ihrer Klage gegen deutsche Waffenexporte nach Israel sehen sich vier Kläger aus Gaza erneut mit einer politischen Entscheidung konfrontiert, die ihr Leben unmittelbar bedroht: Die Bundesregierung kündigte gestern an, den im August teilweise verhängten Exportstopp für Kriegswaffen an Israel wieder aufzuheben – trotz instabiler Waffenruhe und anhaltenden Völkerrechtsverletzungen.

Am 12. November 2025 wurde erstmals in Deutschland über die Rechtmäßigkeit von Waffenexporten nach Israel verhandelt. Vier Kläger aus Gaza – Zivilpersonen, die Angehörige verloren haben, deren Häuser zerstört wurden und die bis heute unter ständiger Gefahr leben – begehrten die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Exportgenehmigung von Kriegswaffen. Die vier Palästinenser wandten sich gegen eine Genehmigung zur Ausfuhr von 3.000 tragbaren Panzerfäusten nach Israel, welche die Bundesregierung der Firma Nobel Defence Ende Oktober 2023 erteilt hatte. Nach dem vollständigen Export der Waffen im November 2023 wollten die Kläger feststellen lassen, dass die Genehmigung rechtswidrig war.

Das Berliner Gericht wies die Klage aus rein prozessualen Gründen zurück. Das Gericht erklärte, es bestehe “keine Wiederholungsgefahr”, weil sich die Situation in Gaza grundlegend verändert habe und die Bundesregierung im August dieses Jahres einen teilweisen Exportstopp für Kriegswaffen nach Israel verkündet habe.

Mit der gestrigem Ankündigung zeigt sich: Das Gericht hat eine nicht nur juristisch zweifelhafte, sondern auch realitätsferne Entscheidung getroffen.

Rechtlich verpflichtet – politisch ignoriert

Schon vor der gestrigen Ankündigung, erneut Kriegswaffenexporte nach Israel zu genehmigen, war offensichtlich, dass die Bundesregierung politische Interessen über ihre völker- und menschenrechtlichen Verpflichtungen stellt. Dabei ist die Rechtslage eindeutig: Deutschland darf keine Waffenexporte genehmigen, wenn ein erhebliches Risiko besteht, dass diese Waffen zu Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht beitragen. Indem die Bundesregierung dieses Risiko ignoriert, verletzt sie zentrale nationale und internationale Vorgaben – darunter das Kriegswaffenkontrollgesetz, den Gemeinsamen Standpunkt der EU zu Waffenexporten, den UN-Waffenhandelsvertrag, die Genfer Konventionen sowie ihre Verpflichtungen aus der Völkermordkonvention.

Entscheidung blendet Realität der Betroffenen aus

“Kriegswaffenexporte dürfen nicht in einem rechtlichen Vakuum entschieden werden“, kritisiert Dr. Alexander Schwarz, Co-Direktor des Programmbereichs Völkerstraftaten beim ECCHR. „Gerade in einer Situation, in der UN-Gremien und Menschenrechtsorganisationen schwerste Völkerrechtsverbrechen im Gazastreifen dokumentieren, muss gerichtlich überprüfbar sein, ob staatliches Handeln rechtmäßig ist.“

Die Klage wurde im April 2024 durch die Kanzlei Geulen & Klinger in Zusammenarbeit mit dem ECCHR sowie in Kooperation mit dem Palestinian Centre for Human Rights, Al Mezan und Al-Haq im Namen von ursprünglich fünf Klägern aus Gaza erhoben. Ein israelischer Drohnenangriff auf Gaza tötete im Juli 2025 einen der Kläger. Die vier überlebenden Kläger verloren durch israelische Angriffe jeweils mehrere enge Familienmitglieder; nahezu ihr gesamter Besitz wurde zerstört. Wie fast alle der rund 2 Millionen Einwohner Gazas wurden sie mehrfach vertrieben und leben in Zeltlagern.

Auch nach der sogenannten Waffenruhe seit dem 10. Oktober 2025 schweben die Kläger weiterhin in Lebensgefahr: Mindestens 200 Mal wurde gegen die Waffenruhe verstoßen und über 240 Menschen getötet sowie mindestens 620 verletzt; nur wenige Stunden nach dem Urteil verübten die israelischen Streitkräfte mehrere Luftangriffe auf Gaza. Angesichts zahlreicher dokumentierter Kriegsverbrechen war es bereits im Oktober 2023 absehbar, dass die gelieferten Waffen zu Völkerrechtsverletzungen beitragen könnten. Schon am 24. Oktober 2023 sprach UN-Generalsekretär Antonio Guterres von „offensichtlichen Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht“ durch Israel.

Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Waffenlieferant Israels. Seit Oktober 2023 erteilte die Bundesregierung Exportgenehmigungen im Wert von über 490 Millionen Euro – darunter neben Panzerabwehrwaffen auch für Getriebe für Merkava-Panzer, die bei Angriffen in Gaza eingesetzt werden.

Rechtsschutzlücke bleibt – ECCHR setzt Verfahren fort

Auch nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. November 2025 bleibt offen, in welchem Umfang Menschen, deren Leben durch den Einsatz deutscher Waffen im Ausland gefährdet wird, rechtlich gegen solche Rüstungsexporte vorgehen können. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in seiner jüngsten Ramstein-Entscheidung ausdrücklich anerkannt, dass Deutschland eine Schutzpflicht gegenüber Personen trägt, die systematischen Völkerrechtsverletzungen ausgesetzt sind. Dennoch hat das Verwaltungsgericht Berlin diese verfassungsrechtlichen Leitlinien nicht angewendet – und damit eine zentrale Chance verpasst, die völkerrechtlichen Grenzen deutscher Rüstungsexporte klar zu ziehen.Trotz der Abweisung der Klage geht der Kampf der Betroffenen weiter: Einer der Kläger hat im Oktober Verfassungsbeschwerde gegen weitere Genehmigungen – diesmal für Panzergetriebe – erhoben.

Keine Exporte, wenn Völkerrechtsverstöße überwiegend wahrscheinlich sind

Deutschland muss seine eigenen rechtlichen Vorgaben anwenden: Die erneute Genehmigung von Kriegswaffenexporten, obwohl schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht dokumentiert waren und ein völkerrechtswidriger Einsatz der Waffen nahelag, unterläuft grundlegende rechtliche Standards und gefährdet Deutschlands Glaubwürdigkeit. Eine israelische Regierungspolitik, die dauerhaft militärische Dominanz über politische Lösungen stellt und mit einem hohen Risiko schwerer Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht einhergeht, verschärft die bundesdeutsche Verantwortung zusätzlich.

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