In Berlin, einer Stadt, in der seit 80 Jahren Frieden herrscht, leben heute Menschen aus aller Welt – viele von ihnen mussten ihre Heimat aufgrund von Krieg und Gewalt verlassen. Unter ihnen sind zahlreiche Autor:innen, die in ihren Werken von Flucht, Verlust und der Suche nach Heimat erzählen.
Ihnen ist die Lesereihe FRIEDEN STADT KRIEG gewidmet – und der Stadt Berlin selbst: einem Ort, der zwar die Spuren des Zweiten Weltkriegs noch sichtbar trägt, aber auch neue Geschichten von Krieg und Hoffnung in sich aufgenommen hat. Diese Geschichten leben oft im Verborgenen, sind nicht auf den ersten Blick lesbar, prägen aber das kulturelle und soziale Gefüge dieser weltoffenen Stadt.
Veranstaltungsübersicht
Die Lesungen finden jeweils in der INSELGALERIE Berlin statt und werden von Kathrin Schrader moderiert. Eintritt: 5 Euro / ermäßigt 3 Euro (nur Barzahlung möglich). Eine Reservierung wird empfohlen: lesung@inselgalerie-berlin.de (bis 12 Uhr am Veranstaltungstag).
Dienstag, 6. Mai 2025, 19 Uhr
Nino Haratischwili: „Das mangelnde Licht“
Vier georgische Frauen, wie die Autorin in den 90er Jahren aufgewachsen, stehen im Mittelpunkt des Romans „Das mangelnde Licht“. Sie treffen sich nach Jahren bei der Eröffnung einer Retrospektive der Fotografin Dina, die nicht mehr am Leben ist. Dinas Fotos tragen Keto, Nene und Ira zurück in die Zeit ihrer gemeinsamen Jugend in Tbilissi. Die Zeitreise ist schmerzvoll und wirft Fragen auf. Haratischwili erzählt vom Aufwachsen in einer traditionellen, patriarchalischen Gesellschaft, in die Gewalt und Krieg als Rituale eingeschrieben sind. So verschieden die Lebensentwürfe der Frauen sind, sie alle sind von der Zeit des Krieges und der gesellschaftlichen Umbrüche geprägt.
Nino Haratischwili ist 1983 in Tiflis geboren. Ihre Mutter flüchtete 1995 mit ihr nach Deutschland. Hinter den Georgiern lagen die kriegerischen Auseinandersetzungen des Südossetienkrieges, der damit endete, dass Georgien seinen ersten unabhängigen Präsidenten nach der Sowjet-Ära durch einen Putsch wieder verlor.
Nino Haratischwili kehrte 1997 im Alter von 14 Jahren allein nach Georgien zurück. Sie gründete eine deutsch-georgische Theatergruppe, für die sie Stücke schrieb und inszenierte. An der Staatlichen Schule für Film und Theater in Tiflis nahm sie ein Studium der Theaterregie auf, das sie 2003 an der Theaterakademie Hamburg weiterführte und 2007 abschloss. Sie schreibt und inszeniert Stücke in Göttingen, Hamburg und Berlin und schreibt Erzählungen, Essays und Romane. „Das mangelnde Licht“ ist ihr fünfter Roman. Haratischwili wurde für ihr literarisches Werk mit dem Anna-Seghers-Preis und der Carl-Zuckmayer-Medaille geehrt.

Nino Haratischwili (© B2 Baraniak)
Dienstag, 10. Juni 2025, 19 Uhr
Olga Gerdt: „Sehe ich, was du nicht siehst?“
Olga Gerdt ist 1963 in Karaganda, Kasachstan, geboren. Als sie in Moskau Journalistik studierte, befand sich die Sowjetunion in der Aufbruchsstimmung der Perestroika. Olga Gerdt machte sich einen Namen als Tanz- und Theaterkritikerin. Sie berichtete für nahezu alle bedeutenden russischen Medien über den zeitgenössischen Tanz in der ganzen Welt. Im Jahr 2009 beschloss sie, mit ihrer Familie nach Berlin zu gehen. Die Stimmung im Land hatte begonnen zu kippen. Der zeitgenössische Tanz, eng verknüpft mit politischem Aktionismus und zeitgenössischer Kunst, fanden in Putins Russland immer weniger Freiraum. Von Berlin aus arbeitete Olga Gerdt weiter für russische Medien und erlebte mit, wie Putin sich ideologisch und kulturpolitisch radikal von den liberalen Demokratien Europas distanzierte.
Olga Gerdt hat nie bewaffnete Auseinandersetzungen erlebt, und doch ist auch in ihren neuen Texten der russische Angriff auf die Ukraine stets gegenwärtig. Der 24. Februar 2022 änderte ihr Leben und Schreiben. Sie liest noch unveröffentlichte Essays, die sie in deutscher Sprache geschrieben hat. Wir sprechen über ihr Buch einer Weltgeschichte des Tanzes, das nie geschrieben werden konnte und warum.

Olga Gerdt (© INSELGALERIE Berlin)
Dienstag, 24. Juni 2025, 19 Uhr
Katja Petrowskaja: „Als wäre es vorbei“
„Ich wollte nie über diesen Krieg schreiben“, sagt Katja Petrowskaja im Interview. „Er ist mir aufgezwungen worden, wie allen Ukrainer:innen. Ich habe es als Pflicht verstanden, über die Menschen zu schreiben, die in der Präsenz dieses Krieges leben.“
Ihr Buch „Als wäre es vorbei. Texte aus dem Krieg“ ist eine Sammlung ihrer Text-Foto- Kolumnen, die in den letzten Jahren in deutschen Zeitungen erschienen sind. Petrowskaja zeigt keine militärischen oder Gewaltszenen, sondern die Menschen im Alltag des Krieges. Da sind auch Hoffnung, Poesie und Schönheit.
Petrowskaja lebt seit 20 Jahren in Berlin, doch sie ist immer wieder in den Kriegsalltag in der Ukraine gereist, stand ständig mit Freund:innen aus verschiedenen Städten in Kontakt.
Katja Petrowskaja ist 1970 in Kiew geboren. Sie studierte Literaturwissenschaft und Slawistik in Estland, den USA und Russland. Als sie Kiew 1999 verließ, war der Krieg noch fern. Sie kam aus beruflichen Gründen, um für russische Medien über Deutschland zu berichten. Bald schrieb sie auch für deutsche Medien, auch in deutscher Sprache, wurde Kolumnistin und Literatin. Für ihr 2014 erschienenes Buch „Vielleicht Esther“ recherchierte sie die Geschichte ihrer jüdisch-ukrainischen Familie. Ihre Texte wurden vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis.

Katja Petrowskaja (© Sasha Andruysyk / Suhrkamp Verlag Berlin)
Dienstag, 22. Juli 2025, 19 Uhr
Erez Majerantz: „Das Leben an sich ist das geringste aller Übel“
Erez Majerantz schreibt Theaterstücke und Prosa. „Das Leben an sich ist das geringste aller Übel“ ist eine Sammlung absurd-komischer Kurzgeschichten, die ausnahmslos in Israel spielen. Mit düsterem Witz, den er ins Märchenhafte steigert, öffnet er Tapetentüren, die aus dem bedrohlichen Alltag hinausführen könnten, ihn jedoch nicht abschütteln oder ausblenden, sondern lediglich verfremden wollen.
Erez Majerantz ist 1980 in Ramat Gan in Israel geboren. Er studierte an der Bar-Ilan-Universität seiner Heimatstadt Vergleichende Literatur und Philosophie. Er schrieb Kolumnen und Sketche und moderierte eine Radiosendung. Von 2014 bis 2016 wurden drei seiner Theaterstücke an verschiedenen israelischen Theatern aufgeführt.
Angezogen von der deutschen Literatur, insbesondere der Romantik, entschloss sich Erez Majerantz nach zahlreichen längeren Aufenthalten 2016, in Berlin zu bleiben. Mythische, jüdische und christliche Philosophien beeinflussen sein Werk ebenso wie die modernen Dramatiker Brecht, Ionesco, Beckett und Vonnegut. Er arbeitet auch mit Motiven der Populärkultur und ist inspiriert von alternativer Rockmusik. Er ist Texter und Produzent der Punkband Dysfunction. 2023 wurde im Tak Berlin sein Stück „Kritik der Vernunft“ aufgeführt.
Katja Chava Majerantz improvisiert frei nach den Texten von Erez Majerantz auf der Blockflöte. Die Musikerin ist in Koblenz aufgewachsen, studierte in Berlin Informatik und Blockflöte in Koblenz. Sie spielt im Berliner Blockflötenorchester mit.

Erez Majerantz (© Ronja Falkenbach) | Katja Chava Majerantz (© Michael Priebe)
Gefördert durch: Berliner Landeszentrale für politische Bildung
Ort: INSELGALERIE Berlin, Petersburger Straße 76 A, 10249 Berlin
www.inselgalerie-berlin.de









