Die Unionsparteien dringen auf eine beschleunigte Abschiebung syrischer Flüchtlinge. In Syrien herrschen bittere Armut und mörderische Gewalt gegen Minderheiten – auch aufgrund der Politik der Bundesrepublik.

Die Unionsparteien verschärfen ihre Kampagne zur Abschiebung syrischer Flüchtlinge. Auch am gestrigen Dienstag hielt die wütende Kritik an dem Einwand von Außenminister Johann Wadephul an, Abschiebungen seien zur Zeit im Hinblick auf die Verhältnisse in Syrien „nur sehr eingeschränkt möglich“. Die Äußerung beschädige das Bild der Regierungskoalition, äußerte der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Jens Spahn. Zuvor hatte Bundeskanzler Friedrich Merz erklärt, es gebe „keinerlei Gründe mehr für Asyl in Deutschland“. In Syrien herrscht aufgrund der umfassenden Zerstörungen bittere Armut. Die eskalierenden Spannungen zwischen der islamistischen Regierung und den Minderheiten haben mehrmals zu Massakern mit tausenden Todesopfern geführt; die Gewalt dauert auch im Alltag bis heute an. Deutschland ist mitverantwortlich – Berlin hatte den Aufstand gegen Bashar al Assad geschürt, die heute herrschenden Islamisten unterstützt und mit brutalen Sanktionen dazu beigetragen, Syriens Wirtschaft zu ruinieren. Syrische Flüchtlinge trugen in den vergangenen Jahren dazu bei, die marode deutsche Wirtschaft am Laufen zu halten. Nun werden sie rassistisch attackiert.

Syrer in Deutschland

Offiziellen Angaben zufolge lebten Ende 2023 beinahe 972.500 Personen mit syrischer Staatsangehörigkeit in Deutschland; damit stellten Syrer die drittgrößte Gruppe von Bürgern fremder Staaten in der Bundesrepublik – nach Bürgern der Türkei (fast 1.550.000 Personen) und der Ukraine (fast 1.240.000 Personen).[1] Hinzu kamen rund 160.000 Syrer, die bis Ende 2023 eingebürgert worden waren und heute Deutsche sind. Im vergangenen Jahr erhielten weitere 83.150 Syrer einen deutschen Pass. Ohne Duldungsstatus und damit ausreisepflichtig sind nach Angaben des Bundesinnenministeriums gegenwärtig lediglich 920 Syrer.[2] Die Zahl derjenigen, die aus freien Stücken nach Syrien zurückkehren, ist weiterhin recht niedrig; sie lag im März bei 186, im Mai bei gerade einmal fünf, im September bei 529, im Oktober bei 476. Der überwiegende Teil der syrischen Staatsangehörigen in Deutschland hat in der Bundesrepublik Schutzrechte erhalten; allerdings wurden diese in 90 Prozent der Fälle bloß befristet gewährt. Über Asylanträge wird nach einem vorläufigen Stopp Ende 2024 wieder entschieden. Ende 2024 lagen alles in allem 47.270 Anträge vor.[3] Von denen, die sich nicht aus formalen Gründen erledigten, wurde fast die Hälfte genehmigt – 46,4 Prozent.

Engpassberufe und Fachkräftepotenzial

Jenseits sämtlicher humanitärer oder menschenrechtlicher Erwägungen weisen Experten auf die Bedeutung syrischer Arbeitskräfte für den deutschen Arbeitsmarkt hin. Demnach steigt die Erwerbstätigenquote unter syrischen Männern im erwerbsfähigen Alter mit der Dauer des Aufenthalts in Deutschland kontinuierlich an und erreicht bei Syrern, die sich seit mindestens sieben Jahren in der Bundesrepublik aufhalten, 71 Prozent. Die Erwerbstätigenquote in der deutschen Bevölkerung liegt mit 77 Prozent nur wenig höher.[4] Es kommt hinzu, dass mehr als ein Drittel aller abhängig beschäftigten Syrer in sogenannten Engpassberufen tätig sind; das sind Berufe, in denen, wie es in einem Fachbeitrag heißt, „Stellen aktuell besonders schwierig zu besetzen sind“.[5] Dazu zählten, heißt es, „Sozial- und Gesundheitsberufe“; so seien rund 5.300 Syrer „als angestellte Ärztinnen und Ärzte tätig“. Syrer arbeiteten außerdem häufig in Berufsfeldern wie der Logistik oder der Bauelektrik, in denen Fachkräfte fehlten. Zu bedenken sei auch, heißt es weiter, dass Einwohner mit syrischer Staatsangehörigkeit weit überdurchschnittlich jung seien; sie bildeten – auch mit Blick auf das Altern der deutschen Bevölkerung – für die Zukunft „ein großes Fachkräftepotenzial“.[6]

Armut und Zerstörung

In Syrien selbst herrschen nach wie vor katastrophale Lebensbedingungen. Die aktuellsten verfügbaren Daten der EU beziffern die Zahl der Syrer, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, auf 16,5 Millionen – bei einer Gesamtbevölkerung von wohl rund 25 Millionen. 14,5 Millionen leiden demnach unter Nahrungsunsicherheit.[7] Gut die Hälfte der Bevölkerung ist außerdem immer noch auf der Flucht – mehrheitlich innerhalb Syriens, Millionen aber nach wie vor auch außerhalb des Landes, darunter in Deutschland. Mehr als zwei Millionen der im Inland lebenden Flüchtlinge haben in Lagern oder in informellen Siedlungen Unterschlupf gefunden; 85 Prozent von ihnen sind nicht in der Lage, ihre grundlegendsten Bedürfnisse zu stillen.[8] Der von 2011 bis Ende 2024 tobende Krieg hat nicht nur zahlreiche Gebäude, sondern ganze Stadtviertel und Ortschaften zerstört zurückgelassen. Die vom Westen – auch von der EU – verhängten Sanktionen haben das Wirtschaftsleben nachhaltig geschädigt; so hat etwa die Landwirtschaft bleibende Verwüstungen erlitten.[9] Flüchtlinge, die in ihre Heimat zurückkehren, stehen oftmals vor völlig zerstörten Häusern sowie weithin entvölkerten Stadtvierteln und damit vor dem Nichts.[10]

Blutige Massaker

Es kommt hinzu, dass in Syrien heftige Spannungen zwischen der islamistischen Regierung, ihren Unterstützern und den Minderheiten des Landes andauern. Im März etwa kamen bei Massakern, die die neuen syrischen Repressionsapparate sowie ihnen nahe stehende Milizen an Alawiten vor allem an der syrischen Mittelmeerküste verübten, vermutlich rund 1.400 Menschen zu Tode, vor allem Angehörige der alawitischen Minderheit.[11] Bis heute werden immer wieder Gewalttaten bis hin zu Morden an Alawiten gemeldet, vorwiegend ebenfalls nahe der syrischen Küste.[12] Im Juli erschütterte erneut Massengewalt das Land, als es in Suweida im Süden Syriens zunächst zu Kämpfen zwischen den dort ansässigen Drusen sowie Beduinen gekommen war. Anschließend misshandelten und töteten die Repressionsapparate zahlreiche Drusen.[13] Insgesamt waren rund 1.650 Todesopfer zu beklagen. In der Region um Suweida kommt es gegenwärtig zu neuen Unruhen; in der vergangenen Woche kamen bei einem Anschlag auf einen Reisebus zwei Menschen zu Tode.[14] Zudem wird immer wieder von Gewalttaten syrischer Jihadisten berichtet; der IS ist nach wie vor im Land aktiv. Anfang Oktober kam es im nordsyrischen Aleppo wiederum zu Kämpfen zwischen den syrischen Repressionskräften und Einheiten der syrischen Kurden.[15]

Mitverantwortlich

Für die katastrophalen Verhältnisse in Syrien ist die Bundesrepublik mitverantwortlich. Die Bundesregierung unterstützte bereits 2011 den Aufstand gegen Präsident Bashar al Assad – und trug damit dazu bei, den Bürgerkrieg zu schüren, der Syrien verwüstete.[16] Ab 2017 stärkte sie den Jihadisten der Organisation Hayat Tahrir al Sham (HTS) unter dem heutigen Präsidenten Ahmed al Sharaa in ihrem Rückzugsort Idlib den Rücken (german-foreign-policy.com berichtete [17]) und trug damit dazu bei, den HTS-Feldzug vom Herbst 2024 zu ermöglichen, der Islamisten – erbitterten Gegnern der zahlreichen syrischen Minderheiten – den gewaltsamen Weg an die Macht in Damaskus bahnte. Berlin hat darüber hinaus die Sanktionen gegen Syrien stets aktiv unterstützt, die der Wirtschaft des Landes dramatische Schäden zufügten und eine gewichtige Ursache der heutigen bitteren Armut im Land sind.[18] Die Armut, die Verwüstungen und die Bedrohung insbesondere der Minderheiten durch die Islamisten lassen eine sichere Rückkehr von Flüchtlingen nicht zu.

„Mit Rückführungen beginnen“

Die Mehrheit insbesondere in der Kanzlerpartei stört sich nicht daran. Außenminister Johann Wadephul hatte in der vergangenen Woche bei einem Besuch in Damaskus geurteilt, im Hinblick auf die verheerende Lage in Syrien sei eine Rückkehr von Flüchtlingen derzeit „nur sehr eingeschränkt möglich“.[19] Die trockene Feststellung hat wütende Reaktionen entfacht. Bundeskanzler Friedrich Merz behauptete, es gebe „jetzt keinerlei Gründe mehr für Asyl in Deutschland“, weshalb man „mit Rückführungen beginnen“ könne“.[20] Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jens Spahn, warf Wadephul vor, mit seiner Äußerung habe er das Bild der Regierungskoalition in der Öffentlichkeit „beschädigt“.[21] Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Alexander Hoffmann, kündigte an, man „wolle“ und „werde“ nun zu Abschiebungen von Syrern übergehen. Zudem hält der rassistische Druck auch auf die syrischen Flüchtlinge („Stadtbild“) an.[22]

 

[1] Anika Jansen, Sarah Pierenkemper, Fabian Semsarha: Syrerinnen und Syrer auf dem deutschen Arbeitsmarkt. bpb.de 06.06.2025.

[2] Debatte um Syrer in Deutschland: Worum es geht. handelsblatt.com 04.11.2025.

[3] Alle Verfahren ausgesetzt – Bamf stoppt Entscheidung über Asylanträge von Syrern. spiegel.de 09.12.2025.

[4] Syrische Arbeitskräfte in Deutschland. iab.de.

[5], [6] Anika Jansen, Sarah Pierenkemper, Fabian Semsarha: Syrerinnen und Syrer auf dem deutschen Arbeitsmarkt. bpb.de 06.06.2025.

[7], [8] Syria. civil-protection-humanitarian-aid.ec.europa.eu.

[9] S. dazu Hoffen auf die Hungerrevolte und Sanktionen gegen Nothilfe.

[10] Keine Sicherheit in Syrien. Positionspapier von Pro Asyl zur Lage in Syrien. Frankfurt am Main, 04.11.2025.

[11] S. dazu Massaker in Syrien.

[12] Amberin Zaman: Syria’s sole Christian lawmaker says she trusts Sharaa – other minorities are less sure. al-monitor.com 27.10.2025.

[13] Befehlskette bis nach Damaskus.

[14] Adam Lucente: Bus attack in Syria’s Suwayda kills 2 as violence flares: What to know. al-monitor.com 28.10.2025.

[15] Heavy clashes break out between Syrian and Kurdish forces in Aleppo. english.alarabiya.net 07.10.2025.

[16] S. dazu Syriens westliche Freunde.

[17] S. dazu Wettlauf um Syrien.

[18] S. auch Massenmord per Sanktionspolitik.

[19] Christoph Ehrhardt, Mona Jaeger: Gedämpfte Erwartungen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 01.11.2025.

[20] Spahn wirft Wadephul vor, Bild der Koalition zu beschädigen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 05.11.2025.

[21] Weiter Kritik an Wadephuls Syrien-Äußerung. Frankfurter Allgemeine Zeitung 05.11.2025.

[22] S. dazu Die ultrarechte Renaissance des Westens.

Der Originalartikel kann hier besucht werden