Nach einem Jahr kehre ich zur Wand der Gefallenen zurück. Sie wurde zu Recht im Jahr 2014 errichtet – egal, was bestimmte italienische Journalisten und Propagandisten dazu sagen.

Seit dem Angriff der Russischen Föderation (provoziert oder nicht, jedoch eindeutig völkerrechtswidrig) steigt die Zahl der Todesopfer drastisch an. Die über hundert Meter lange Wand ist inzwischen fertiggestellt und die neuen Fotos sind nicht mehr ordentlich angeordnet, sondern wahllos verstreut.

Es gibt auch Fotos von Frauen. Dabei handelt es sich nicht unbedingt um Freiwillige, denn auch wer im Gesundheitswesen arbeitet, kann an die Front einberufen werden. Sie alle erwecken in mir ein Gefühl der Rührung, ebenso wie die ganz jungen Männer, die vielleicht Bauern, Arbeiter oder Lehrer sind und die sich in ihrer Uniform nicht wohlzufühlen scheinen oder sie gar nicht tragen. Sympathie empfinde ich für diejenigen, die sich mit einem Kätzchen oder einem Hund fotografieren ließen. Niemand käme auf die Idee, ein Foto mit lebenden Familienmitgliedern zwischen so vielen Toten auszustellen. Katzen und Hunde scheinen die liebsten Begleiter auf solchen Fotos zu sein.

Ich kann diejenigen mit kriegerischem Auftreten, die sich spöttisch an ihren Waffen ergötzen und vielleicht sogar noch das Wappen des Azov-Bataillons zur Schau stellen, nicht wirklich als Opfer sehen. Auch wenn ich einen Menschen natürlich nicht anhand eines Fotos beurteilen kann. Sie heben sich deutlich von den vielen anderen ab, deren Blick alles andere als spöttisch, höhnisch oder gar kriegerisch ist.

Blicke, die mir besorgt, ja sogar verängstigt erscheinen, als wüssten sie bereits, dass sie an dieser Wand enden würden, und als wollten sie eine Warnung aussprechen und mit einem Blick sagen, was sie nicht in Worte fassen konnten.

Was ist mit denen, die in Zivilkleidung abgebildet sind? Hatten die Familienangehörigen nicht einmal ein Foto in Uniform?

Es schien mir eine Form des Protests zu sein – vielleicht unbeabsichtigt, vielleicht aber auch beabsichtigt. Unabhängig von der Zivilkleidung oder den Uniformen gibt es Hunderte, Tausende von Blicken, die sprechen und sagen: „Zählt uns auch zu den zivilen Opfern. Wir sind Väter, Söhne, Ehemänner, Studenten, Verlobte, Arbeiter, Bauern, Krankenschwestern, Ärztinnen, Mütter, Ehefrauen und Töchter. Auch wir sind zivile Opfer. Wir tragen zwar Uniformen, aber wir wollten diesen Krieg nicht. Vielleicht haben wir, wie seriöse Studien zu diesem Thema belegen, absichtlich daneben geschossen, als wir schießen mussten.“

Vielleicht haben sie auch gezögert, auf jene zu schießen, die ‚identische Gefühle, aber eine andersfarbige Uniform trugen‘ – wie es im Lied Pieros Krieg von Fabrizio De André besungen wird.

Es sind Blicke, die mir besorgt, ja sogar verängstigt erscheinen, als wüssten sie bereits, dass sie an dieser Wand hängen würden, und als wollten sie eine Warnung aussprechen und mit einem Blick sagen, was sie nicht in Worte fassen konnten.

Fotos von . Die Übersetzung aus dem Italienischen wurde von Kornelia Henrichmann vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!