Anlässlich des 75. Jahrestags der Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen am 10.12.2023 hat Friedrich Fessler, Mitgründer und Vorstand der österreichischen Genossenschaft für Gemeinwohl eG, das Fair-Earth-Share-Manifest veröffentlicht. Es ist ein ambitionierter Vorschlag zur Einführung eines weltweiten dualen Zahlungssystems, das Ressourcenschonung endlich wirtschaftlich machen könnte.

Vor dem Hintergund sozialer Gerechtigkeit werden danach Menschen, Unternehmen und auch staatliche Institutionen belohnt, wenn sie umweltschonend leben, produzieren und arbeiten. Der momentan grassierenden Externalisierung von Umweltkosten könnte so ein dringend notwendiger Riegel vorgeschoben werden. Reichtum wird sich dann auf der Grundlage von gemeinwohlorientiertem Wirtschaften und Leben ganz natürlich umverteilt. Wer verschmutzt, ausbeutet und verschwendet, bezahlt. Wer hingegen umweltgerecht, sozial und fair handelt, wird belohnt. Wir publizieren im Folgenden das gesamte Manifest.

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Fair-Earth-Share

Ein Manifest für ein duales Zahlungssystem zur gerechten Ressourcenverteilung

veröffentlicht von Friedrich Fessler am 10.12.2023
anlässlich des 75. Jahrestages der Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen

Seit dem zweiten Weltkrieg ist die Weltwirtschaft mit Ausnahme von kurzen Einbrüchen ständig gewachsen und hat den Menschen in den meisten Regionen der Erde mehr Wohlstand und eine höhere Lebenserwartung gebracht. Jedoch: ein weiterhin unbegrenztes Wachstum der Wirtschaft und damit Ressourcenverbrauch auf einem begrenzten Planeten ist nicht möglich. Die Verschmutzung der Meere, das Versiegeln von Böden, das Aussterben von Tierarten und die Erhitzung der Erde zeigen uns auf, dass wir eine globale Kurskorrektur benötigen.

Wir erkennen, dass Ressourcen wie Land, Wasser oder Luft, die vor Jahrzehnten als unerschöpflich galten, begrenzt sind und somit stellt sich die Frage, wer hat das Recht diese zu benutzen und zu verschmutzen – in welchem Umfang und zu welchem Preis. Dabei gibt es Regionen, in denen Menschen im Lebensstandard noch stark aufholen müssen und ihnen damit ein steigender Ressourcenbedarf fairerweise zusteht. Umso mehr müssen die Menschen, die über Gebühr Ressourcen verbrauchen, zukünftig weniger verbrauchen bzw. die begrenzten Ressourcen effizienter nutzen.

Angenommen wir würden das Wachstum der Wirtschaft so begrenzen, dass es nur mehr im Ausmaß der gestiegenen Ressourceneffizienz steigt, könnten wir den Status Quo festschreiben. Den Ressourcenverbrauch am jetzigen Stand einzufrieren reicht aber nicht aus, um zukünftigen Generationen die Lebensgrundlagen zu erhalten. Global verbrauchen wir mehr Ressourcen als die Erde uns bereitstellt. Der Earth Overshoot Day 2023 war am 2. August, die restlichen fast fünf Monate leben wir über unsere Verhältnisse. Wir verbrauchen nach Berechnungen des Global Footprint Networks global 1,75-mal die Biokapazität der Erde pro Jahr, also 0,75-mal mehr, als wir aus Nachhaltigkeitsperspektive dürften. Wir müssen weltweit von derzeit 2,6 Global-Hektar pro Person auf einen Verbrauch von 1,5 kommen.

Der globaler Ressourcenverbrauch muss deutlich sinken.

Wer aber entscheidet nun, wieviel ein Mensch an Ressourcen verbrauchen darf? Wir sehen, wir haben es hier mit einer globalen Verteilungs- und Gerechtigkeitsfrage zu tun. Wie kann dafür eine gerechte Lösung aussehen, wenn Teile der Menschheit noch unerfüllte Grundbedürfnisse haben und ihnen ein größerer Ressourcenverbrauch zusteht, während andere, die über den Verhältnissen gelebt haben, sich umso mehr einschränken müssen, damit wir in Summe das Ziel der Erhaltung der natürlichen Ressourcen für nachkommende Generationen erhalten?

Grundlage der Fair-Earth-Share: die Allgemeinen Menschenrechte der UN

Das Grundprinzip des Fair-Earth-Shares leitet sich aus der genau auf den Tag vor 75 Jahren proklamierten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen ab. Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (International Bill of Human Rights) lautet: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren (All human beings are born free and equal in dignity and rights)“. Wenn alle Menschen die gleichen Rechte haben, dann folgt daraus, dass sie, im Gegensatz zum jetzigen Zustand, einen gleich großen Anspruch auf die Ressourcen der Erde haben.

Jeder Mensch hat das Anrecht auf den gleichen Anteil an Ressourcenverbrauch pro Zeiteinheit, der sich aus der nachhaltig verfügbaren Menge an Ressourcen geteilt durch die Anzahl aller Menschen ergibt. Jeder Mensch kann selbst entscheiden, ob man diesen Anteil ganz für sich nutzen will oder teilweise anderen entgeltlich oder kostenlos zur Verfügung stellen bzw. darauf zu Gunsten einer Schonung der Natur verzichten will.

Die Ressourcen, die uns die Natur innerhalb der planetaren Grenzen zur Verfügung stellt, werden dabei rechnerisch anteilig pro Kopf auf die gesamten Menschheit aufgeteilt, der sogenannte „Fair-Earth-Share“. Dieser aliquote Anteil wird täglich jedem Menschen als gerechte Teilhabe am Ganzen automatisch gutgeschrieben. Dieser umfasst in der ersten Ausbaustufe die Bereiche Flächennutzung, Treibhausgasemissionen, Trinkwasser-, Energie- und Materialverbrauch.

Wie funktionieren die Fair-Earth-Shares konkret?

Bei jeder Zahlung wird neben dem Preis in der jeweiligen Staatswährung auch eine zweite Einheit abgebucht – die Fair-Earth-Shares. Waren und Dienstleistungen sind also in zwei Preisen angeschrieben, nennen wir es daher duales Preissystem. Der Preis in lokaler Staatswährung z.B. in Euro bildet sich wie gewohnt frei nach Angebot und Nachfrage. Der zweite Preis in Fair-Earth-Shares wird je nach Ressourcenverbrauch regulatorisch festgelegt und weltweit in ein und derselben Verrechnungseinheit gebucht. Denn die Ressourcen der Erde sind universell, da sie sich von physikalisch messbaren Parametern ableiten. Dieses Ressourcenverbrauchs-Guthaben kennt daher weder Inflation noch Zinsen, so wie ein Kilogramm, eine Sekunde oder ein Meter per Definition einmal festgelegt, weltweit einheitlich und dauerhaft gilt.

Alle natürliche Personen, und nur diese, bekommen täglich den gleichen Anteil an Fair-Earth-Shares kostenlos gutgeschrieben. Betriebe erhalten Fair-Earth-Shares, wenn sie Produkte und Dienstleistungen im dualen Preissystem verkaufen. Bei jeder Zahlung werden im Ausmaß des anteiligen Ressourcenverbrauchs für Abbau, Herstellung, Transport und Nutzung Fair-Earth-Shares wieder entwertet. Je besser die Kreislaufwirtschaft funktioniert, desto weniger Fair-Earth-Shares kostet ein Produkt oder eine Dienstleistung.

Auch der Staat trägt mit seiner öffentlichen Daseinsvorsorge zum Ressourcenverbrauch bei. Daher ist auch der Staat in den Kreislauf der Fair-Earth-Shares eingebunden. Öffentliche Stellen erhalten Fair-Earth-Shares wie Betriebe beim Verkauf von kommunalen Dienstleistungen. Ein Großteil der staatlich verursachten Ressourcenverbrauchs für Bau und Betrieb von z.B. Straßen, Schulen, Krankenhäuser, etc. sowie staatliche Aufgaben von Parlament, Justiz, Polizei, Militär etc. lassen sich nicht individuell zuordnen. Daher wird dieser Verbrauch an Fair-Earth-Shares bei der Bezahlung der Steuern mit eingehoben. So sind nicht nur Betriebe, sondern auch der Staat in der Pflicht, möglichst ressourcenschonend zu handeln.

Wenn jetzt ein Mensch mehr verbrauchen will als am Fair-Earth-Share Konto vorhanden, dann muss er oder sie vorher andere Menschen finden, die bereit sind mit geringeren Fußabdruck zu leben und ihr oder ihm gegen lokale Staatswährung diese zusätzlichen Guthaben an Fair-Earth-Shares zu verkaufen. Somit zahlt indirekt der Teil der Menschheit, der früher auf Kosten der anderen Menschen die Natur über Gebühr ausgebeutet hat, nun einen Preis in Staatswährung, der immer höher wird, je größer das Ungleichgewicht wird und je näher wir weltweit an die planetaren Grenzen stoßen.

Wenn ein Unternehmen investiert und die Produktion vorfinanziert, dann benötigt es nicht nur ausreichend Geld, sondern auch die nötigen Fair-Earth-Shares. Diese können nicht wie im modernen Geldsystem als Buchgeld von Geschäftsbanken per Kreditvergabe geschöpft werden, denn die gesamte per Kredit geschöpfte Menge an Fair-Earth-Shares würde ein Vorgriff auf Ressourcen zukünftige Generationen darstellen. Unternehmen müssen daher vorab am Markt zum Handel angebotene Fair-Earth-Shares in Staatswährung zukaufen, bevor sie in der Produktion Ressourcen und damit Fair-Earth-Shares verbrauchen können.

Somit ist nur in der Wertschöpfungskette bei Unternehmen und öffentlichen Stellen der Ressourcenverbrauch festzulegen und zu kontrollieren. Natürliche Personen können anonym mit ihren Fair-Earth-Shares Guthaben bezahlen, genauso wie sie bisher schon mit Ihren Guthaben in Staatswährung zahlen. Der Unterschied zwischen Staatswährungen und den Fair-Earth-Shares liegt darin, dass die Menge an schöpfbarer Staatswährungen keiner fixen Begrenzung unterliegt, währen die Menge der durch tägliche Aufbuchung entstandenen Fair-Earth-Shares einer harten natürliche Obergrenze unterliegen.

Systemweit betrachtet kann dadurch die Wirtschaft nur in dem Maß wachsen und mehr produzieren, wie sie durch effizientere Ressourcennutzung (z.B. durch Kreislaufwirtschaft) pro Einheit weniger Fair-Earth-Shares benötigt. Damit entsteht ein starkes Preissignal, das Innovationen fördert und resourcenschonende Güter und Dienstleistungen am Markt immer stärker nachgefragt werden.

Wenn es zum Beispiel einem Betrieb gelingt, dasselbe Produkt oder dieselbe Dienstleistung mit einem um 10% geringeren Ressourcenverbrauch herzustellen, hat er am Fair-Earth-Share Markt einen größeren Wettbewerbsvorteil, als wenn es nur um 10% billiger produziert. Denn der Verkauf der Fair-Earth-Shares am freien Markt bringt dem Betrieb aufgrund der gegenüber dem Geldsystem verknappten Menge mehr Geld ein, als er durch den um 10% höheren Deckungsbeitrag verdienen würde. Somit ist es wirtschaftlicher, in Ressourcenschonung zu investieren als in Kostensenkung. Damit dreht sich die Lage, weil derzeit Schäden an der Umwelt sich so gut wie nie betriebswirtschaftlich auswirken. Mit der Einführung der Fair-Earth-Shares bekommt der Verbrauch von natürlichen Ressourcen ein Preissignal und das macht die grüne Transformation auch betriebswirtschaftlich sinnvoll.

Wie können die Fair-Earth-Shares eingeführt werden?

Die Einführung des dualen Preissystems erfolgt nach einer freiwilligen Erprobungsphase per Gesetz. Es beginnt mit den ressourcenintensivsten Produktgruppen bei denen auch eine ausreichend gute Datenlage und Messbarkeit gegeben ist. Laufend wird sich die Datenlage verbessern und über die Jahre kommen weitere Produktgruppen hinzu.

Die Gesellschaft und die Wirtschaft brauchen Zeit für die Umstellung auf ein duales Preissystem. Einerseits müssen Banken, Zahlungsdienstleister, Webshops, Kassensysteme und Buchhaltungsprogramme um eine zweite Parallelbuchung erweitert werden und andererseits muss die Wissenschaft Daten und Berechnungen vorlegen, auf Basis dessen die Parlamente entsprechende Gesetze beschließen sowie Richtlinien und Verordnungen erlassen.

Der Anteil vom Fair-Earth-Share Preis, der im dualen Preissystem bezahlt werden muss, steigt jährlich um 5%, sodass nach 20 Jahren das System zu 100% preiswirksam ist. Ebenso steigt über 20 Jahre in 5 Prozent Schritten der Anteil der gegen Staatswährung handelbaren Fair-Earth-Shares, die – falls nicht selbst genutzt – für den Weiterverkauf am freien Markt zu Verfügungen stehen.

Die Einführung kann länderweise erfolgen. Es bedarf dazu nur einer Regelung im Außenhandel mit Länder, die nicht am Fair-Earth-Share System teilnehmen, analog zur länderspezifischen Umsatzsteuer, die eine Einfuhrumsatzsteuer auf importierte Güter und eine Vorsteuerabzugsberechtigung für den Export vorsieht.

Warum braucht es Fair-Earth-Shares?

Das Fair-Earth-Share System führt dazu, dass Menschen, Unternehmen und auch Staaten bewusst mit den natürlichen Ressourcen umgehen, Kreislaufwirtschaft sich doppelt rechnet, Kriege um Ressourcen endgültig der Vergangenheit angehören, es zu einem finanziellen Ausgleich zwischen dem globalen Norden und Süden kommt, die Schere zwischen Arm und Reich wieder zugeht und alle Menschen ein gutes Leben in angemessenem Wohlstand und im Einklang mit den planetaren Grenzen führen können.

Wien, am 10. Dezember 2023

Friedrich Fessler

Dieses Werk steht unter der Creative-Commons-Lizenz BY-NC-SA 4.0 international

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Über den Autor:
Dipl.-Ing. Fritz Fessler ist Vorstand der Genossenschaft für Gemeinwohl und Mitglied des Gemeinwohl-Beirats. Sein Credo: „Wir brauchen ein Geld- und Finanzsystem, das wieder den Menschen dient. Wir brauchen einen echten Gewinn für alle. Dafür brenne und engagiere ich mich mit ganzer Kraft“.
Weitere Infos: https://www.gemeinwohl.coop/menschen/fritz-fessler