Die internationale Kampagne „16 Tage gegen Gewalt an Frauen und Mädchen“ zwischen 25. November und 10. Dezember soll jedes Jahr im gleichen Zeitraum auf die erschreckende Gewaltbereitschaft gegenüber Frauen, weil sie Frauen sind, aufmerksam machen. Diese Gewalt findet zumeist dort statt, wo frau sich eigentlich in Sicherheit wiegen will: zu Hause. Fälle aus der Beratung der Arbeiterkammer OÖ zeigen, dass auch der Arbeitsplatz zum Ort des Martyriums werden kann und Frauen Opfer von sexueller Belästigung und (sexualisierter) Gewalt werden.

von Viktoria Reisinger und Erika Rippatha für A&W blog

Gewalt gegen Frauen: Mehr als jede 4. Frau am Arbeitsplatz betroffen!

25 Femizide mussten in Österreich allein bis zum 8. November 2023 registriert werden. Femizide beschreiben Morde an Frauen, weil sie Frauen sind. Femizide sind Hassverbrechen. Dem Femizid gehen meist lange Phasen von Gewalt voran. Laut Statistik Austria (2021) haben rund 23,5 Prozent der Frauen in Österreich zwischen 18 und 74 Jahren bereits körperliche Gewalt (ab dem Alter von 15 Jahren) erlebt. Noch etwas mehr, nämlich rund 23,8 Prozent, haben bereits Erfahrungen mit sexueller Gewalt gemacht. Noch häufiger erleben Frauen (rund 26,6 Prozent) sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz oder anders ausgedrückt: Mehr als jede vierte Frau ist betroffen!

Sexuelle Belästigung: Mittel zum Zweck der Machtdemonstration

Sexuelle Belästigung ist eine Form von Gewalt und ist all das, was als solche beim Opfer unter anderem als Belästigung, unangenehm, unerwünscht wahrgenommen wird. In jedem Fall wird die Würde der betroffenen Person, aber auch die sexuelle Integrität und Intimität verletzt. Es geht hier nicht um die Absichten der Täter:innen, die ohnehin – konfrontiert mit ihrem Verhalten – Belästigung meist als harmlosen „Scherz“ abtun oder beharren, „es nicht so gemeint zu haben“. Ausschlaggebend ist das subjektive Empfinden des Opfers. Sexuelle Belästigung muss vor diesem Hintergrund nicht zwangsläufig alleine körperliche Übergriffe meinen, auch verbale Belästigungen oder obszöne Chat-Nachrichten sind nicht zu tolerieren, wenn sie nicht erwünscht sind. In den allermeisten Fällen geht es im Zusammenhang mit sexueller Belästigung nicht um die sexuelle Befriedigung. Die Sexualität dient als Mittel zum Zweck der Machtdemonstration, um das Gegenüber abzuwerten, klein zu machen oder klein zu halten.

Nur die Spitze des Eisberges wird sichtbar

Unverändert melden sich die wenigsten Opfer, wenn ihnen sexuelle Belästigung oder (sexualisierte) Gewalt am Arbeitsplatz widerfahren ist. Es ist leider so, dass nur die Spitze des Eisberges sichtbar wird und die wenigsten Vorkommnisse als Beratungsfälle in der Arbeiterkammer aufschlagen. Unbestritten ist, dass es viel Mut von Betroffenen braucht, sich zu wehren. Sie sind traumatisiert, fürchten um ihren Job, haben Angst vor dem Getuschel im beruflichen, aber auch privaten Umfeld. Häufig wird ihnen unterstellt, Anschuldigungen lediglich zu erheben, um berufliche Vorteile daraus zu erzielen. Insbesondere die sozialen Kosten durch gängige „Täter-Opfer-Umkehr“ sind meist so hoch, dass solche Anschuldigungen nicht nachvollziehbar sind. Hinzu kommt, dass die Opfer die Belästigung „glaubhaft“ machen müssen. Das klingt einfach. In der Praxis aber erweist sich das oft als schwierig, denn in den allermeisten Fällen spielt sich die Belästigung nicht vor Publikum ab, die die Vorkommnisse bezeugen könnten. Es gibt aber auch selten Beweismittel wie beispielsweise Bilder, E-Mails usw. Es ist also alles andere als ein Spaziergang für Betroffene, zu ihrem Recht zu kommen.

Durch Beratung Unterstützung gegen Gewalt

Die folgenden Fälle aus der Beratungspraxis der AK Oberösterreich beschreiben exemplarisch, wie Betroffene Unterstützung erhalten haben:

Fall 1: Berufliche Nachteile, wenn sich Arbeitnehmerin nicht zum Sex bereit erklärt

Eine Arbeitnehmerin in einer oberösterreichischen Produktionsfirma hatte genug. Nachdem sie bereits bei ihrem Arbeitgeber urgiert hatte, seine Fürsorgepflicht ernst zu nehmen, und dieser aber untätig blieb, wandte sich die Frau an die AK-Gleichbehandlungsberatung. Dort schilderte sie, dass sie von ihrem Kollegen anzügliche, obszöne Nachrichten sowie Nachrichten mit pornografischen Inhalten erhalten hat. Aber auch verbal belästigte der Kollege sie. Ungefragt erörterte er ihr immer wieder seine persönlichen sexuellen Vorlieben. Dabei blieb es aber nicht! Der Kollege fing auch an, deutlich Druck zu machen. Wenn die Frau nicht bereit wäre, mit ihm Sex zu haben, so würde er für berufliche Nachteile sorgen. Die Arbeitnehmerin setzte ihren Vorgesetzten in Kenntnis. Die anfänglich zugesicherte Bereitschaft, für Abhilfe zu sorgen, mündete in einer halbherzigen Entschuldigung für die zugesandten pornografischen Bilder. Die AK OÖ konnte für die Betroffene etwas mehr als 12.000 Euro erwirken.

Fall 2: Arbeitgeber griff Angestellter auf Brüste und zwischen die Beine

Eine Handelsangestellte kam zur Beratung in die AK OÖ, da sie von ihrem Arbeitgeber sexuell belästigt wurde. Neben aggressivem Verhalten während der Arbeitszeit kam es auch zu massiven verbalen und körperlichen Übergriffen. Der Arbeitgeber griff seiner Mitarbeiterin auf die Brust und zwischen die Beine. Er nannte sie unter anderem „Hure“ und „geiles Luder“. Die Arbeiterkammer konnte für die Frau einen Betrag in Höhe von rund 3.300 Euro erkämpfen.

Es kann jede treffen!

Aus der Beratung wird ersichtlich: Egal welche Branche, egal welches Alter und welche Position. Niemand ist davor gefeit, Opfer von sexueller Gewalt am Arbeitsplatz zu werden. Genauso vielfältig ist die Täterschaft: Täter:innen können etwa Arbeitgeber, Vorgesetzte, Kolleg:innen oder Dritte sein (wie etwa Klient:innen oder Kund:innen). Eines haben die Täter:innen jedoch meist gemein: In den allermeisten Fällen handelt es sich um Männer. Das darf und muss ausgesprochen werden. Zumeist gibt es auch ein Machtgefälle zwischen Belästiger und Belästigten – wie auch die Fälle zeigen: Arbeitgeber und Arbeitnehmerin –, oft genügt aber auch einfach nur das gesellschaftliche Machtgefälle zwischen Frau und Mann. Wichtig ist zu wissen, dass sexuelle Belästigung gemäß dem Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) verboten ist und niemand sich so ein Verhalten gefallen lassen muss!

#respect: vier Schritte gegen sexuelle Belästigung

Sensibilisierungsmaßnahmen, wie die AK-OÖ-Kampagne #respect – FIGHT SEXISM (siehe dazu Video-Clip für Vorträge und Workshops), können Betroffene bestärken, sich sexuelle Belästigung nicht gefallen zu lassen. Vier Schritte werden Betroffenen empfohlen:

  1. Betroffene sollten in einem ersten Schritt den bzw. die Belästiger:in darauf aufmerksam machen, dass das Verhalten der belästigenden Person nicht erwünscht ist.
  2. Vorfälle sollten immer ausführlich dokumentiert werden und potenzielle Beweise gesichert werden. Daher gilt es, Chat-Verläufe zu sichern und aufzuheben, Gedächtnisprotokolle über Ort, Zeit und Art der Belästigung zu erstellen und mögliche Zeug:innen anzureden.
  3. Die belästigte Person sollte dem Arbeitgeber (sofern dieser nicht der Belästiger ist) die Vorfälle melden. Er hat eine Fürsorgepflicht für die Arbeitnehmer:innen im Betrieb und muss für ein sicheres, diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld sorgen.
  4. Außerdem können potenzielle Ansprechpartner:innen auch andere Vertrauenspersonen sein, wie Mitglieder des Betriebsrates, Betriebsärzt:innen, Lehrlingsbeauftragte, Jugendvertrauenspersonen oder Gleichstellungsbeauftragte.

Null Toleranz für (sexualisierte) Gewalt am Arbeitsplatz!

Ein sicherer, diskriminierungsfreier Arbeitsplatz muss jeder bzw. jedem Arbeitnehmer:in im Rahmen der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gewährleistet sein. Betriebe haben hier Handlungsdruck – aber auch die Politik ist gefordert, Diskriminierung am Arbeitsplatz aktiv zu bekämpfen!Dazu braucht es:

  • Einen abschreckenden Schadensersatz bei allen Formen der Diskriminierung im Beruf.
  • Die Beweislastregel muss unmissverständlich so formuliert werden, dass die beklagte Person den vollen Beweis dafür antreten muss, dass eine Entscheidung nicht auf diskriminierenden Motiven beruht (so wie EU-Richtlinien dies vorschreiben).
  • Gewaltfreie Arbeitsplätze, indem klare gesetzliche Vorgaben jede Form von Gewalt am Arbeitsplatz bestmöglich verhindern.
  • Es braucht kompetente Führungskräfte, die durch Aus- und Weiterbildung Kompetenzen im Umgang mit Gewalt am Arbeitsplatz erlangen.
  • Ebenso müssen bereits bei Onboarding-Prozessen von Mitarbeiter:innen die „Spielregeln“ klar definiert werden und null Toleranz gegenüber Gewalt und Diskriminierung im Betrieb kommuniziert werden.
  • Die Liste der erzwingbaren Betriebsvereinbarungen ist um den Aspekt „Schutz vor Gewalt und Aggressionen“ zu erweitern, um den Betriebsrat zu stärken.
  • Darüber hinaus braucht es klare Vereinbarungen und Informationen, wie Beschäftigte in schwierigen Situationen handeln können. Wenn diese Gewalt erfahren haben, liegt es in der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, Unterstützung und Schutz anzubieten.
  • Dazu braucht es auch eine personelle Stärkung der Gleichbehandlungsanwaltschaft in jedem Bundesland und eine hauptamtliche Vorsitzführung der Gleichbehandlungskommission.

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