Der Artikel ist Teil einer Blogreihe zum Verhältnis von Postwachstum und Kapitalismus. #PoWaKap

Postwachstumsökonomie als sozialer Prozess

Es ist vorbei. Die guten Zeiten, die nie für alle gut waren, und der geraubte Wohlstand – auch als „imperiale Lebensweise“ bezeichnet – neigen sich dem Ende zu. Dies zeichnete sich schon lange ab, der Club of Rome veröffentlichte vor 50 Jahren seinen Bericht „Die Grenzen des Wachstums“. Nun warnt er mit der globalen Initiative Earth4All erneut und legt zwei Szenarien vor: „Zu wenig, zu spät“ würde zu noch mehr Ungleichheit, sozialen Spannungen und einem Temperaturanstieg um weit mehr als 2 Grad Celsius führen, mit verheerenden Auswirkungen. Um dies zu vermeiden, sei ein sofortiger „Riesensprung“ erforderlich: Abschaffung von Armut und Ungleichheit, Ermächtigung von Frauen, Aufbau eines gesunden Nahrungsmittelsystems und Nutzung sauberer Energien.

Zukunftsforscher Jorgen Randers, der damals und heute die Studien mitverfasste, hält das „Zu wenig, zu spät“-Szenario für realistischer. Trotzdem, oder gerade deswegen, ruft Earth4All zur Neuprogrammierung der Wirtschaft auf.

Kapitalismus und Patriarchat

Auch mir fällt es zunehmend schwerer, mir eine Transformation zum Besseren vorzustellen. Vorschläge, was sich ändern müsse, gibt es immer wieder, aber wie können sie zu materieller Realität werden? Was sind die Ursachen der multiplen Krisen und Katastrophen, und welche Kräfte wären notwendig, um eine tiefgreifende Transformation anzustoßen?

Andreas Exner beschreibt die strukturellen Wachstumszwänge des Kapitalismus. Dies möchte ich ergänzen, denn alleine damit erklärt sich noch nicht die Gewalttätigkeit gegenüber Mensch und Natur, die der kapitalistischen Wirtschaftsweise kulturell eingeschrieben ist. Wie kommt es, dass Menschen bereit und in der Lage sind, sich Machtpositionen zu erkämpfen, aus denen heraus sie andere ausbeuten und unterdrücken, die Natur und mit ihr die Lebensgrundlagen anderer (und letztlich auch ihre eigenen) zu zerstören, bis hin zu deren Vernichtung? Warum setzen so viele bereitwillig ihre Kreativität und ihr Engagement darein, Waffen und militärisches Gerät zu entwickeln, das den einzigen Zweck hat, andere Menschen zu töten?

Die strukturell rücksichtslose kapitalistische Konkurrenz steht in Wechselwirkung mit mitmenschlicher Rücksichtslosigkeit, die ignorant ist gegenüber der Einbettung des Menschen in die Natur, und die tendenziell anderen ihr Menschsein abspricht. Patriarchale und koloniale Macht, Herrschaft und Gewalt sind älter als der Kapitalismus. Darum ist eine andere Wirtschaft zwar not-wendig, aber nicht hinreichend für eine umfassende Transformation zu einer Postwachstumsgesellschaft. Ohne eine kulturelle Verankerung grundlegend anderer Welt- und Menschenbilder, die von Gewaltfreiheit und Respekt, ja Demut gegenüber den Geheimnissen des Lebens geprägt sind, kann ich mir eine Transformation zu einem guten Leben für alle nicht vorstellen.

Technokratische Weltsicht und transhumanistische Irrwege

Zur Zerstörung von Menschen und Natur haben schon in den 1980er Jahren feministische Wissenschaftlerinnen wie Carolyn Merchant oder Maria Mies geforscht und deren Ursachen in patriarchalen Machtstrukturen gefunden. Fabian Scheidler hat 2021 in seinem Buch „Der Stoff, aus dem wir sind“ untersucht, wie ein mechanistisches Weltbild, das komplexe Zusammenhänge auf einfache Ursache-Wirkungs-Beziehungen reduziert, Subjektivität abwertet und sie dem vermeintlich höherwertigen, objektiv Messbaren unterordnet, zur Entfremdung vom Lebendigen und damit zu dessen Zerstörung führt.

Profitstreben, patriarchale Anmaßung und kalte Rationalität wirken zusammen bei der Ausplünderung von Bodenschätzen und Wasserraub, ebenso wie bei gentechnischen Eingriffen ins Erbgut, Wettermanipulationen mit Geo-Engineering oder der Vermüllung des Weltalls mit zigtausenden Satelliten. In letzter Konsequenz führt das technokratische Weltverständnis in den Transhumanismus, der mit dem Verschmelzen von Mensch und Maschine auch noch die letzte natürliche Lebendigkeit zerstört.

Der wissenschaftlich verbrämte Glaube an eine vermeintlich unbegrenzte technische Machbarkeit bringt gefährliche Klimascheinlösungen hervor, die von Finanzgiganten wie Blackrock im eigenen Profitinteresse politisch vermarktet werden. Die ökologischen Verheißungen der Digitalisierung – die von den Anfängen bis heute auch eine große militärische Bedeutung hat – sind typische Scheinlösungen.

Wirtschaft anders denken und anders machen

Eine andere Wirtschaftsweise wird andere Technologien brauchen, die anderen Logiken folgen. Ivan Illich (1926 – 2002) prägte den Begriff „konvivial“ für eine Gesellschaft, „die ihren Werkzeugen (dies können Techniken, aber auch Institutionen sein) vernünftige Wachstumsbegrenzungen auferlegt“. Da der kapitalistischen Wirtschaft der Wachstumszwang eingeschrieben ist, was durch die Finanzmärkte noch verschärft wird, lässt sich diese herrschende Ökonomie – die meines Erachtens ein verbrecherisches und rassistisches System ist – weder einbetten noch bändigen. Machtvolle Wirtschaftsakteure und Vermögensmassen haben keine Existenzberechtigung.

Nachhaltiges Wirtschaften braucht grundlegend andere Funktionsprinzipien, vor allem eine umfassende Demokratisierung wirtschaftlicher Prozesse. Wie diese vonstatten geht, entscheiden die jeweils Handelnden. Wünschenswert wäre eine Regionalisierung durch behutsame Deglobalisierung von unten (anstelle der derzeit disruptiven Deglobalisierung von oben) und der weltweit verstärkte Aufbau autonomer Versorgungsstrukturen. Insofern stimme ich Andreas Exner zu, dass die gesellschaftliche Reproduktion der Ausgangspunkt wäre. Eine wichtige Rolle spielt darin die Solidarische Care Ökonomie (Gabriele Winker). Jedoch fällt es mir schwer mir vorzustellen, dass sich der machtvolle und waffenstarrende kapitalistische Sektor kampflos austrocknen ließe.

Fragend voran

Trotzdem die Hoffnung nicht aufgebend, sehe ich eine Vielfalt an Alternativen. Ob mit oder ohne Planwirtschaft, Äquivalenttausch, Geld oder Markt – das halte ich für nachrangig gegenüber der demokratischen Selbstorganisation, die das Wirtschaften als sozialen Prozess begreift, in dem die Arbeit und die Würde der Arbeitenden eine bedeutende Stellung einnehmen. Schon heute gibt es weltweit vielfältige Keimformen zukünftigen Wirtschaftens, von meist kleinteiliger gemeinschaftlicher wirtschaftliche Selbsthilfe, die Luis Razeto als Solidarische Ökonomie beschrieben hat, bis zu großflächiger gesellschaftlicher Grundversorgung für alle, beispielsweise in den Transformative Cities-Initiativen. Wenn es eine gute Zukunft geben sollte, wird wohl die öffentliche (nicht staatliche!) Versorgung durch demokratisch gesteuerte Unternehmungen die wesentlichste Rolle spielen, im Sinne der Foundational-Economy. Untrennbar damit verbunden sind die Kämpfe gegen Privatisierungen und Sozialabbau durch Streiks, Besetzungen, Blockaden etc., die für mich ebenfalls zur Solidarischen Ökonomie gehören, genauso wie eine globale Perspektive.

In diesen Überlegungen und Diskussionen aus privilegierter Perspektive versuche ich, auf die Behauptung von Alternativlosigkeit zu verzichten und denke die Möglichkeit mit, dass ich mich irren könnte. Dem zapatistischen „Fragend voran“ fühle ich mich ebenso verbunden wie einem „Feminismus für die 99%“ (Cinzia Arruzza, Tithi Bhattacharya, Nancy Fraser).

Zum Weiterlesen:

Elisabeth Voß: Nachhaltig Wirtschaften – aber wie? (5-teilige Artikelserie HIER) und: Wegweiser Solidarische Ökonomie ¡Anders Wirtschaften ist möglich!, 2. aktualisierte und wesentlich erweiterte Auflage 2015, AG SPAK Bücher, Neu-Ulm.

Der Artikel von Elisabeth Voß wurde im Blog Postwachstum erstveröffentlicht.

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