Interview mit Rupert Kroesen, der sich seit über 30 Jahren aktiv in Humanistischen Projekten in Deutschland, Österreich und Afrika engagiert. Derzeit ist er am Aufbau des Studien- und Reflexionspark Schlamau in der Nähe von Berlin beteiligt. Außerdem initiiert er das Projekt Silos Botschaft Wien (www.silos-botschaft-wien.at).

Pressenza: Woher kommt Dein Interesse, deine Motivation?

Ich hab seit Anfang der 90er in vielen verschiedenen Projekten der Humanistischen Bewegung mitgearbeitet. Alle diese Projekte hatten für mich zum Ziel eine menschliche Umgebung zu gestalten, die nicht auf den Wert Geld aufbaut, sondern auf menschliche Werte, wie Respekt, Freundschaft, Nichtdiskriminierung, Vielfalt, Offenheit und vor allem auf Gewaltfreiheit.

Diese Werte klingen vielleicht im ersten Moment wie Schlagwörter, wenn ich sie aber probiere tiefer zu verstehen, dann gehen Sie bis ins Persönliche – bis zum sogenannten „Eingemachten“.

Projekte, in denen ich probiert habe das umzusetzen waren Nachbarschaftszentren in verschiedenen Stadtteilen in Wien, die Idee eines Zentrums der Kulturen Ende der 90er, um die Vielfalt der Kulturen zu unterstreichen und auch wieder die oben genannten Werte zu leben. Zu Beginn des neuen Jahrtausends war ich für mehrere Jahre in Projekten in Zambia aktiv, wo es immer sehr schwierig war klarzumachen, dass wir keine humanitäre Organisation sind, sondern von einer humanistischen Welt sprechen etc.

In den letzten 10 Jahren hab ich mich vor allem darauf konzentriert beim Aufbau eines Studien- und Reflexionsparks in der Nähe von Berlin zu beteiligen. Das macht für mich deshalb Sinn, weil dort eine Art Rückzugspunkt und eine Art Heimat für Humanisten am Entstehen ist, die hoffentlich die Generation überdauern wird. Dieser Park ist auch der Studienort für die Siloistische Schule – einer mystischen Schule, die sich mit altem Wissen beschäftigt und Impulse gibt, um zu lernen sich in die heiligen Räume des Bewusstseins zu begeben. Diese mystische Schule lässt sich vergleichen mit den Schulen, die zu verschiedenen Zeiten in der Entwicklung der Menschheit an unterschiedlichen Orten entstanden sind, um Antworten auf die wichtigsten Fragen des Menschen zu finden.

Meine Motivation dies zu tun ist der Wunsch einen Beitrag zu leisten, der über meine persönlichen Interessen hinaus geht. Im Wesentlichen möchte ich helfen, dass es weniger Leiden gibt auf der Welt.

Pressenza: Was sagst du über die Zeit, in der wir jetzt leben, die gekennzeichnet ist von einer wachsenden Gewalt in all ihren Aspekten?

Mich verunsichert diese Zeit, ich bin erschüttert von der Gewalt, die an vielen Punkten der Welt eskaliert, nicht nur in der Ukraine, sondern auch im Jemen, an verschiedenen Orten in Afrika, in China und an verschiedenen Stellen in Asien. Es scheint, dass viele Bemühungen um Gewaltfreiheit und Frieden der letzten Jahrzehnte wie weggewischt sind. Und doch ist es eine Entwicklung, die wir immer befürchtet haben, wir haben gewusst, dass unser weltweites Wirtschaftssystem unmenschlich, gewalttätig und vor allem total ungerecht ist. Wir wussten, dass sich unsere Entwicklung in Richtung einer Sackgasse bewegt. Es gab viel kluge Leute, die das schon lange im Vorhinein befürchtet haben wie z.B. die Mitglieder des Club of Rome (Zusammenschluss von Friedensnobelpreisträgern), aber auch andere fortschrittliche Kräfte.

Der Begründer der Humanistischen Bewegung Silo hat dies schon in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts immer wieder gesagt: Wie kann ein System auf grenzenlosem Wachstum aufbauen? Es muss in Krise geraten, es wird an den Punkt kommen, an dem es auseinanderbricht. Es wird ein Moment von Chaos entstehen und alle haben damals schon befürchtet, dass das mit einer Eskalation von Gewalt passieren wird. Und hier stehen wir nun. Leider konnten wir Humanisten diese Entwicklung nicht maßgeblich beeinflussen, um ihre Richtung zu ändern. Wir haben es ernsthaft versucht, wir waren mit Ende des letzten Jahrtausends mehrere hunderttausend organisierte Menschen  und haben es nicht geschafft eine Veränderung in Richtung der humanistischen Werte zu erzeugen.

Pressenza: Wie siehst du die momentane gesellschaftliche Situation?

Wie ich oben bereits gesagt habe, stehen wir an einem Punkt, an dem ein altes System zerbricht. Dieser Moment ist von vielen Phänomenen begleitet, wie z.B. die eskalierende Gewalt, die Zunahme an Menschen mit psychischen Problemen, etc.

Nachdem man ja nur die Zeitung aufschlagen muss, um zu wissen, was ich meine, möchte ich da gar nicht weiter darauf eingehen.

Viel wichtiger als den Fokus auf das Drama zu legen ist es, die vielen positiven Entwicklungen zu sehen und zu fördern. Ich hab z.B. im letzten Sommer eine Ausstellung in Amsterdam besucht, bei der es um innovative Projekte ging, wo z.B. Baustoffe vorgestellt wurden, die auf natürliche Weise wachsen. Oder Dämmstoffe, die bei ihrer Produktion CO2 binden anstatt freisetzen.

Es gibt auch im technologischen Bereich super interessante Projekte, wie z.B. den schnellen Transport von Blutkonserven mittels Drohnen in Uganda, mit dessen Hilfe es gelingt Menschenleben zu retten. Oder junge, gut qualifizierten ITler:innen aus Uganda, die in Prozesse deutscher IT-Unternehmen eingebunden werden.

Wenn ich meinen Fokus darauf lege, entsteht in mir die Hoffnung, dass wir diesen Niedergang des Systems bald hinter uns haben und etwas entstehen wird, dass heute schon beginnt und das hoffentlich dann den Menschen in seiner ganzen Größe entspricht. Es gibt Leute, die sagen, dass ein neuer Mensch am Entstehen ist – ich hoffe, dass dieser neue Mensch die humanistischen Werte in sich trägt. Wenn ich mir meine Kinder und deren Freunde ansehe, dann glaube ich oft diese neue Haltung zu erkennen. Es sind Leute, die ihren Sinn nicht mehr in einer Karriere sehen oder im Leistungswettbewerb, sondern Leute, die ihren Beitrag leisten, und dabei sich und ihr Umfeld nicht vergessen. Das fühlt sich gut an.

Pressenza: In welcher Welt möchtest du leben? Wie beginnt eine Kultur des Friedens und der Toleranz im Umkreis von jedem von uns?

Wie ich oben schon beschrieben habe, glaube ich, dass ein wachsendes Netz an Freundschaften und Beziehungen ohne finanzielles Interessen mit den Werten Toleranz, Nichtdiskriminierung und Gewaltfreiheit ein guter Anfang wäre, um in Richtung einer neuen Welt voranzugehen.

Ich hab schon lange vor, hier in Wien eine Gemeinschaft von Silos Botschaft in Gang zu bringen. Das wäre so ein Ansatz.

Ich wünsche mir eine Welt mit viel Offenheit, mit einer angstfreien Umgebung, vielfältig in ihrer Ausdrucksform, fröhlich, mit Menschen, die in sich platziert sind, andere so lassen können, wie sie sein wollen.

Wirtschaftlich halte ich den Vorschlag des bedingungslosen Grundeinkommens für zukunftsfähig, politisch ist sicher die direkte Demokratie mit viel Beteiligung und Konsenssuche der richtige Weg, kulturell ist die Verständigung zwischen Kulturen, ohne Aufgabe ihrer Besonderheiten, ein sehr interessanter Weg. Zwischenmenschlich glaube ich, dass wir lernen müssen offen zu kommunizieren, ohne Vorbehalte und der Angst nicht verstanden zu werden.

Pressenza: Welchen Rat hast du für die Menschen als Humanist? Wie siehst du die Zukunft? Glaubst du, es gibt einen Ausweg aus der Gewalt und was ist dein Vorschlag?

Mein Rat ist, sich den eigenen Ängsten zu stellen, den Einfluss von Medien zu reduzieren, sich mit seinem Inneren zu verbinden, und an den Beziehungen zu seinem Umfeld zu arbeiten. Es gibt Hoffnung, wir müssen sie in unseren Herzen und in den Beziehungen zu unseren Freunden wachsen lassen.