Erklärung 2023 zum Stand der Doomsday Clock (Weltuntergangsuhr) vom Wissenschafts- und Sicherheitsrat Bulletin of the Atomic Scientists.

In diesem Jahr stellt der Wissenschafts- und Sicherheitsrat des Bulletin of the Atomic Scientists die Zeiger der Weltuntergangsuhr nach vorne. Das geschieht zum größten Teil, wenn auch nicht ausschließlich, wegen der wachsenden Gefahren durch den Krieg in der Ukraine. Die Uhr steht jetzt auf 90 Sekunden vor 12 – so dicht an der globalen Katastrophe wie noch nie zuvor.

Der Krieg in der Ukraine scheint in ein zweites schreckliches Jahr einzutreten, bei dem beide Seiten von ihrem Sieg überzeugt sind. Die Souveränität der Ukraine und die breitgefassten europäischen Sicherheitsvereinbarungen, die seit dem Ende des 2. Weltkriegs in weiten Teilen von Bestand waren, stehen auf dem Spiel. Darüber hinaus wirft Russlands Krieg gegen die Ukraine tiefgehende Fragen darüber auf, wie Staaten miteinander umgehen, denn er unterminiert Normen internationaler Verhaltensweisen, die ein Garant für erfolgreiche Reaktionen auf eine Vielzahl globaler Risiken waren und sind.

Und was das Schlimmste ist – Russlands nur schwach verhohlene Drohungen eines Einsatzes nuklearer Waffen erinnern die Welt daran, dass eine Eskalation des Konfliktes, sei es durch einen Unfall, mit Absicht oder durch Fehleinschätzung, ein furchtbares Risiko darstellt. Die Gefahr, dass der Konflikt komplett außer Kontrolle gerät, bleibt hoch.

Die jüngsten Handlungen Russlands verstoßen gegen jahrzehntelange Verpflichtungen, die Moskau eingegangen ist. 1994 erklärte Russland in Budapest gemeinsam mit den USA und Großbritannien feierlich, dass es „die Unabhängigkeit und Souveränität sowie die bestehenden Grenzen der Ukraine respektieren werde“ und „die Bedrohung oder die Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Integrität oder die politische Unabhängigkeit der Ukraine unterlassen werde“. Diese Sicherheit wurde ausdrücklich auf Basis der Vereinbarung gegeben, dass die Ukraine Atomwaffen auf ihrem Gebiet abschafft und den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet – was die Ukraine beides erfüllt hat.

Russland hat seinen Krieg auch auf die Gelände der Atomkraftwerke von Tschernobyl und Saporischschja getragen und damit internationale Protokolle verletzt und riskiert den Austritt und die Verbreitung radioaktiven Materials. Bemühungen der Internationalen Atomenergiebehörde, diese Anlagen zu sichern, wurden bisher zurückgewiesen.

Mit dem fortdauernden Krieg Russlands gegen die Ukraine ist der letzte noch verbliebene Atomwaffenvertrag zwischen Russland und den USA, New START, in Gefahr. Nehmen beide Parteien nicht die Verhandlungen wieder auf und finden eine Grundlage für eine weitere Reduzierung nuklearer Waffen, wird der Vertrag im Februar 2026 auslaufen. Das wäre das Ende für die gegenseitigen Inspektionen, es würde das Misstrauen verschärfen, einen Atomwaffen-Wettlauf anreizen und die Gefahr eines nuklearen Schlagabtauschs erhöhen.

Wie UN-Generalsekretär Antonio Guterres im August gewarnt hat, ist die Welt „in eine Phase nuklearer Gefahr eingetreten, wie sie seit dem Höhepunkt des Kalten Krieges nicht bestanden hat“.

Die Folgen des Krieges beschränken sich nicht auf einen Anstieg der nuklearen Gefahr; sie torpedieren auch die globalen Anstrengungen im Kampf gegen den Klimawandel. Länder, die von russischem Öl und Gas abhängig waren, sind auf der Suche nach Diversifizierung ihrer Lieferungen und Lieferanten. Das führt zu vermehrten Investitionen in Erdgas genau zu der Zeit, in der solche Investitionen eigentlich verringert werden sollten.

Zusammen mit einem heißen Krieg und vor dem Hintergrund nuklearer Bedrohungen, erlangen die falschen Anschuldigungen Russlands, die Ukraine plane den Einsatz radiologischer, chemischer und biologischer Waffen, ebenfalls eine neue Bedeutung. Denn der anhaltende Strom an Falschinformationen über Biowaffenlabore in der Ukraine lässt zunehmend befürchten, dass Russland selber möglicherweise den Einsatz dieser Waffen, die es nach Ansicht zahlreicher Experten weiter entwickelt, in Erwägung zieht.

Die russische Invasion in der Ukraine hat die Gefahr des Einsatzes von Nuklearwaffen erhöht, den Schrecken der Verwendung biologischer und chemischer Waffen heraufbeschworen, den Kampf der Welt gegen den Klimawandel gelähmt und internationale Anstrengungen bei der Lösung weiterer globaler Probleme erschwert. Die Invasion und Annexion ukrainischen Territoriums haben außerdem internationale Normen verletzt, was wiederum andere zu Handlungen verführen könnte, die den bisherigen Konsens in Frage stellen und die Stabilität gefährden.

Es gibt keinen direkten Weg zum Erreichen eines gerechten Friedens, durch den künftige Aggressionen im Schatten nuklearer Waffen verhindert werden können. Mindestens jedoch müssen die Vereinigten Staaten die Tür für prinzipiengeleitete Verhandlungen mit Moskau geöffnet lassen, um so die gefährliche Zunahme des nuklearen Risikos zu mindern, die dieser Krieg mit sich gebracht hat. Ein Element der Risikominderung könnten dabei dauerhafte und hochangebundene Kontakte zwischen den Militärs der USA und Russland sein, um die Gefahr einer Fehleinschätzung zu verringern. Die US-Regierung, ihre NATO-Partner und die Ukraine verfügen über zahlreiche Gesprächskanäle, die alle ausgeschöpft werden sollten. Kann ein Weg zu ernsthaften Friedensverhandlungen gefunden werden, so kann das letztlich das Risiko einer Eskalation verringern. In dieser Zeit einer nie dagewesenen globalen Bedrohung sind konzertierte Aktionen notwendig, und dabei zählt jede Sekunde.

Anmerkung des Herausgebers: Weitere Informationen zu den Bedrohungen durch Nuklearwaffen, Klimawandel, biologische Vorgänge und den Missbrauch anderer schädlicher Technologien können an anderen Stellen dieses Artikels sowie in der vollständigen PDF/Druckversion der Erklärung zur Weltuntergangsuhr gefunden werden.

Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Silvia Sander vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!


Die Fachzeitschrift Bulletin of the Atomic Scientists wurde 1945 von Albert Einstein und Wissenschaftlern der University of Chicago gegründet, die im Rahmen des Manhattan Projects an der Entwicklung der ersten Nuklearwaffen beteiligt waren. Zwei Jahre später schufen sie die Weltuntergangsuhr, mit der sie unter Verknüpfung der Vorstellung von der Apokalypse (Mitternacht) und dem geläufigen Symbol für eine Atomexplosion (Zählen eines Countdowns) die Bedrohungen für die Menschheit und den Planeten verdeutlichten. Jedes Jahr wird die Uhr vom Wissenschafts- und Sicherheitsrat des Bulletin nach Absprache mit seinem Stifterbeirat, zu dem 10 Nobelpreisträger gehören, neu eingestellt. Sie ist zum weltweit anerkannten Indikator für die Gefährdung der Welt angesichts globaler, durch menschengemachte Technologien verursachte Katastrophen geworden.

Der Originalartikel kann hier besucht werden