Im Rahmen der „humanistischen Sommeruniversitäten“ legt Abida Aïda Zeugnis ab von ihrem Glauben als muslimische Frau. Sie beschreibt ihren Lebensweg, der sie dazu geführt hat, ihren Standpunkt für die Gewaltlosigkeit (gewaltfreies Handeln) einzunehmen. Ihr Buch ist eine Einladung an die Leser:innen, sich auf den Diskurs zur Frage „Gewaltfreiheit im Islam“ einzulassen. Das Buch ist 2019 in den Editions Koune erschienen und wird demnächst im Verlag Fiat Lux (Marseille) neu aufgelegt werden.

Abida Aïda ist in den Hochebenen Algeriens während des Krieges, geboren worden. Von Beginn ihres Lebens an war Gewalt Teil ihres Lebens. Nach dem Krieg finden sich ihre Eltern in Frankreich wieder, wo sie unter ärmlichen Bedingungen ihr Leben fristen. Im Rahmen der Familienzusammenführung findet sie zu ihrer Familie. Sie erzählt von der ‚Schule der Republik‘ und die tiefe Integration durch die französische Sprache. Erst später entdeckt sie die arabische Sprache und die mögliche Manipulation von Wörtern, die „gefoltert, ihrer Vitalität beraubt“ werden können. Das Arabische hat eine andere Semantik: Ausgehend von der Wurzel aus drei Buchstaben, verändern die Wörter ihre Bedeutung, werden zu Verben, Substantiven, Adjektiven, Handlungen. Im Ursprung ist auch das Verständnis der Zeit anders: Es gibt keine Gegenwart. Eine Handlung wird entweder vollzogen oder nicht. In der Folge hat sich die arabische Sprache weiter entwickelt und die Zeit(en) integriert. Diese sprachlichen Überlegungen entdeckte sie im Studium des Arabischen und des Korans, und konnte dabei zahlreiche Übersetzungsfehler, Gedanken- und Bedeutungsmanipulationen feststellen.

Nach ihrem Abitur in Frankreich 1979 beschloss sie, nach Algerien zurückzukehren, um dort Psychologie und deutsche Literatur zu studieren. Anschließend arbeitet sie als Journalistin und Französischlehrerin. Mit 20 Jahren sieht sie sich mit Gewalt in der Familie, in der Partnerschaft und in der Gesellschaft konfrontiert. Die 1990er Jahren sind die Zeit des Terrorismus „im Namen Allahs“. Diese Gewalt und die Inkohärenzen versteht sie nicht.

Die Wüste wird zu ihrem „ersten Lehrmeister“. In dieser großen Leere drängt sich ihr das Bedürfnis nach Meditation auf, und sie praktiziert transzendentale Meditation.

1994 wird die Situation in Algerien für die Journalistin zu gefährlich und sie findet sich in Belgien als Geflüchtete.

In den 2000er Jahren beschließt sie, das muslimische Erbe gründlich zu studieren und entdeckt darin eine Quelle des Verständnisses, des Staunens und … der Gewaltfreiheit!

Im Juli 2016, nach der Ermordung von Pater Jacques Hamel, beschließt sie zu sprechen und Zeugnis abzulegen. „Da bin ich auf die andere Seite der Angst gegangen“. So entstand ihr erstes Buch, das sie im Selbstverlag herausgibt.

Im ersten Teil des Buches geht es um Gewalt, den historischen Kontext des Osmanischen Reiches, die Dekadenz, die die Kolonialisierung ermöglichte. Dann der Krieg, die Unabhängigkeit und die Entstehung von Gruppierungen wie den Wahhabiten und der Muslimbruderschaft. „Seit dem 18. Jahrhundert wird der Islam von einer tödlichen Ideologie des Hasses und des Todes beherrscht, die auf globaler Ebene von Saudi-Arabien und dem Westen unterstützt wird“, so Abida.

Sie erinnert daran, dass es im Islam keine starre Repräsentation gibt. Es gibt „Gelehrte“ und Schulen, eine Vielfalt von Standpunkten in Bezug auf unterschiedliche Postulate. Man zählt 124.000 Propheten, größtenteils sind sie unbekannt.

Der Prophet Mohamed war ein Mensch, auch ein Staatsoberhaupt. Die Samen der Gewaltlosigkeit sind in seinem Leben zu finden. Während seiner gesamten Regierungszeit versuchte er, zu verhandeln und Friedensverträge zu schließen. Auf erlebte Gewalt – in Mekka wurden er und seine Familie boykottiert – antwortete er niemals mit Gewalt. Diese „Ur-Tradition“, geht davon aus, dass der Prophet dazu da ist, „den Charakter der Menschen zu veredeln“ und nicht, um eine Religion zu entwickeln.

Abida stellt dann drei Akteure muslimischer Gewaltfreiheit – in der Türkei, in Pakistan und in Syrien – vor. Ein Kapitel widmet sie Jawdat Said, der als „Theoretiker der islamischen Gewaltfreiheit“ vorgestellt wird.

Abida teilt im Buch ihren Wunsch, diese gewaltfreie Perspektive auch unter ihren Brüdern und Schwestern in der muslimischen Welt zu fördern. Unter den Muslimen gebe es viel Unwissenheit und Vermischung. Auch wenn man manchmal kämpfen müsse, herrsche „Ritterlichkeit“ vor, d.h. man kämpfe im Namen von Werten und nicht aus Wut oder aus dem Ego heraus.

Sie fordert entschieden dazu auf, den Islam als ein Erbe zu sehen, dem das das Konzept der Resilienz eingeschrieben ist. Angesichts von Schwierigkeiten, sollte man nach etwas Neuem in uns und um uns herum suchen, und uns ihm stellen. Sie lädt ein, ausgehend vom Glauben gemeinsam über die Antworten nachzudenken, die wir auf die heutigen Herausforderungen geben können: Transhumanismus, künstliche Intelligenz, Klonen …

„Du bist verantwortlich, du bist khalifa oullah (= Ort, der Gott auf Erden hält)“.

Das Buch „Gewaltfreiheit im Islam auf Französisch“: «Islam & pensée de la non-violence» (Abdessamad Belhaj, Aïda Abida Allouache et Michaël Privot)

Die Übersetzung aus dem Französischen wurde von Walter L. Buder vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!