Im Folgenden ist die Abschlusserklärung des österreichischen Außenministeriums vom 20. Juni 2022 anlässlich der Wiener Konferenz über die humanitären Auswirkungen eines Atomkriegs wiedergegeben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren,

wir haben heute sehr aufschlussreiche Vorträge und Diskussionen gehört. Jetzt ist es an der Zeit, über einige wichtige Punkte nachzudenken. Jeder von uns wird seine eigenen Schlüsse daraus ziehen. Lassen Sie mich in dieser Zusammenfassung jedoch darlegen, was Österreich aus dem heutigen Tag mitnimmt.

Die Wiener Konferenz über die humanitären Auswirkungen von Nuklearwaffen befasste sich mit den humanitären Folgen von Atomwaffen, einschließlich der Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, die Umwelt, die Landwirtschaft und die Ernährungssicherheit, die Migration, die Wirtschaft, sowie mit den Risiken und der Wahrscheinlichkeit genehmigter, unbefugter oder der versehentlichen Nutzung von Nuklearwaffen. Des Weiteren befasste sie sich auch mit den internationalen Reaktionsmöglichkeiten und dem anwendbaren normativen Rahmen und ermittelte Bereiche, in denen zusätzliche Forschung und Untersuchungen notwendig sind.

An der Konferenz nahmen mehr als 800 Delegierte teil, die 80 Staaten, die Vereinten Nationen, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung sowie andere relevante internationale Organisationen, Organisationen der Zivilgesellschaft und die akademische Welt vertraten.

Aus den Vorträgen und Diskussionen lassen sich die folgenden Kernpunkte zusammenfassen:

  • Es ist unmöglich, die unmittelbare humanitäre Notlage und die langfristigen Folgen der Nutzung von Atomwaffen in angemessener Weise abzuschätzen. Deshalb müssen wir das, worauf wir uns nicht vorbereiten und worauf wir nicht reagieren können, unbedingt verhindern.
  • Ein nuklearer Winter würde selbst nach einem regional begrenzten nuklearen Schlagabtausch wahrscheinlich den gesamten Planeten betreffen und zu einem dramatischen Temperaturabfall und einer jahrelangen Minderung des Sonnenlichts führen, was in vielen Teilen der Welt zu Nahrungsmittelknappheit und tödlichem Hungertod führen würde.
  • Je weiter wir in der Untersuchung der Auswirkungen von Atomwaffen fortschreiten, desto mehr lernen wir, dass die Nutzung von Atomwaffen weitreichendere, wahrhaft globale und länger andauernde Folgen hat, als wir bisher dachten.
  • Atomtests liegen zwar schon Jahrzehnte zurück, haben aber dennoch zu schwerwiegenden gesundheitlichen Auswirkungen und einer lang anhaltenden Schädigung der Umwelt geführt. Neue Analysen und Techniken ermöglichen eine bessere Erfassung der weltweiten radioaktiven Verseuchung, der betroffenen Bevölkerungsgruppen und der Auswirkungen auf die Ökosysteme aufgrund der Atomwaffentests.

Wir haben immer noch kein vollständiges Gesamtbild der Auswirkungen von Atomwaffen. Mehr interdisziplinäre Arbeit und weitere Forschung über das Zusammenspiel zwischen kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen sind erforderlich, um unser Wissen zu vertiefen. Nicht nur mehr Forschung, sondern auch mehr Diskussionen und Überlegungen sind notwendig, um mehr Klarheit und Erkenntnisse zu gewinnen, auf deren Grundlage eine faktenbasierte Politik entwickelt werden kann.

Die Risiken einer versehentlichen, irrtümlichen, unbefugten oder absichtlichen Zündung von Atomwaffen haben aus politischen, strategischen und technologischen Gründen ein noch nie dagewesenes Ausmaß erreicht.

Die Verbreitung kleinerer taktischer, besser einsetzbarer Atomwaffen ist beunruhigend. Selbst die Freisetzung einer einzigen so genannten kleinen Atomwaffe hätte verheerende und schwerwiegende Folgen und birgt darüber hinaus ein sehr hohes Risiko, eine Eskalation zu einem begrenzten oder totalen Atomkrieg auszulösen.

Die von führenden russischen Politikern ausgesprochene Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen zeigt, wie real dieses Risiko heute ist und unterstreicht die Anfälligkeit eines Sicherheitsparadigmas, das auf der Theorie der atomaren Abschreckung beruht. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine unterstreicht die Tatsache, dass Atomwaffen größere Kriege nicht verhindern, sondern nuklear bewaffnete Staaten eher dazu ermutigen, Kriege zu beginnen.

In der heutigen Welt, in der es kein gemeinsames Verständnis grundlegender Regeln, Normen und Standards mehr gibt, verstärken Atomwaffen die Ungewissheit und Unsicherheit zusätzlich.

Kurzfristig sind sicherlich umfangreiche Maßnahmen zur Risikominderung erforderlich, aber nur die Abschaffung von Atomwaffen bietet eine wirksame Prävention.

In Anbetracht des heutigen Wissenstandes ist eine umfassendere Ausrichtung auf die Risikominderung erforderlich. Es ist schwierig die heutigen Risiken vollständig zu verstehen und noch schwieriger, künftige Risiken zu berücksichtigen, die sich aus dem technologischen Wandel ergeben.

Die Theorie, dass nukleare Abschreckung einen Atomkrieg verhindern kann, wird durch die Auswirkungen des technologischen Fortschritts und die Integration neuer Technologien in Kernwaffensysteme und Entscheidungsstrukturen weiter in Frage gestellt.

Sicherheit auf nuklearer Abschreckung aufzubauen, ist nicht nachhaltig. Wenn die nukleare Abschreckung versagt, wird sie katastrophale Auswirkungen haben. Viele sehen berechtigterweise ein logisches Problem darin, wie eine Waffe, die den Fortbestand der Zivilisation bedroht, als Grundlage für die Sicherheit dienen kann.

Die kombinierte Betrachtung der humanitären Folgen und der Risiken von Atomwaffen würde es uns ermöglichen, die Frage nach dem Nutzen von Atomwaffen und dem Realitätsgehalt der Theorie der atomaren Abschreckung auf einer faktenbasierten Grundlage zu behandeln.

Nur ein Ansatz, der sich auf wissenschaftliche Ergebnisse und die Einbeziehung der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und der betroffenen Gemeinschaften, insbesondere der Hibakusha (Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki) und der Opfer von Atomtests, stützt, kann eine offene, sinnvolle Abrüstungsdebatte ermöglichen, die zu konkreten Ergebnissen führt. Ein solcher inklusiver Ansatz ist auch erforderlich, um ein breites Spektrum von Ergebnissen zu erzielen, wie z.B. über die unverhältnismäßigen Schäden, die atomare Strahlung für Mädchen und Frauen mit sich bringt.

Die relevanten Gremien für atomare Abrüstung müssen sich daher mit den bestehenden und zukünftigen Forschungsergebnissen zu den humanitären Folgen und Risiken von Atomwaffen auseinandersetzen.

Die humanitäre Dimension hat ein transformatives und vereinigendes Potenzial für die dringend notwendige Wiederbelebung der nuklearen Abrüstung.

Sowohl die Erkenntnisse über die humanitären Folgen als auch die Risiken von Atomwaffen unterstreichen die Notwendigkeit, die katastrophalen humanitären Auswirkungen von Atomwaffen stets in den Mittelpunkt unserer Arbeit zu stellen, solange es diese Waffen gibt. Daher muss dieses Thema alle Diskussionen über Atomwaffenfragen untermauern.

Ich möchte diese Zusammenfassung abschließen, indem ich allen Vortragenden und teilnehmenden danke und meiner Hoffnung Ausdruck gebe, dass wir alle das, was wir von der heutigen Konferenz mitnehmen, in unserem gemeinsamen Streben nach einer atomwaffenfreien Welt nutzen können.

Übersetzung aus dem Englischen von Jens Hellstern vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam. Wir suchen Freiwillige!