Ukrainische Flüchtlinge nimmt Europa zu Recht grosszügig auf, anders als Afghanen, Jemeniten oder Syrer. Auch rassistische Motive?

Urs P. Gasche für die Online-Zeitung INFOsperber

Diesen Vorwurf jedenfalls erhebt ein grosser indischer TV-Sender und untermauert ihn mit einigen heiklen Aussagen von westlichen TV-Sendern und des bulgarischen Premierministers.

Es ist nachvollziehbar, dass die Hilfsbereitschaft gegenüber Menschen aus Nachbarländern grösser ist als diejenige gegenüber Menschen aus fernen Ländern. Doch die Strenge und Skepsis gegenüber Kriegsflüchtlingen aus ferneren Ländern beruht zuweilen auch darauf, dass man Nicht-Christen, Nicht-Weisse und Weniger-Gebildete als eine zweitklassige Art von Menschen betrachtet und behandelt. Besonders bedenklich ist es, wenn Medienleute oder sogar ein Premierminister ein solches Menschenbild verbreiten.

Der private indische TV-Sender WION1 hat einige aktuelle Zitate über die ukrainischen Flüchtlinge sowie über Opfer in der Ukraine in einem Video zusammengestellt:

Kiril Petkov, Premierminister von Bulgarien:

«Diese Leute sind intelligent, gebildet. Das ist nicht die Flüchtlingswelle vom letzten Mal, wo wir nicht wussten, wer sie sind, und ob sie Terroristen waren.»

Ein Reporter in den CBS-News:

«Das sind keine Flüchtlinge aus Syrien, das sind Christen, Weisse, sehr ähnlich mit uns selber.»

Peter Dobbie, Moderator der englischen Ausgabe des TV-Senders Al Jazeera:

«Das sind nicht typischen Flüchtlinge, die sind gut angezogen, Mittelklasse, nicht Flüchtlinge, die versuchen, aus dem Mittleren Osten oder Nordafrika zu fliehen, die sehen aus wie eine Familie von nebenan.»

(Am Abend des 27. Februars entschuldigte sich Al Jazeera in einem Communiqué: «The presenter’s comments were insensitive and irresponsible. We apologize to our audiences worldwide and the breach of professionalism is being dealt with.»)

BBC zitierte David Sakvarelidze, Vize-Generalstaatsanwalt der Ukraine, zu den Bombardierungen – der Reporter liess die Aussage unkommentiert:

«Es ist wirklich emotional für mich, denn ich sehe, wie Europäer mit blauen Augen und blondem Haar getötet werden.»

Weiteres Zitat der Auslandkorrespondentin der CBS News, Charlie D’Agata, über Bombardierungen:

«Das ist nicht Irak oder Afghanistan, das ist eine relativ zivilisierte, relativ europäische Stadt, wo du das nicht erwarten oder erhoffen würdest.»

Hinter diesen Zitaten vermutet der indische TV-Sender WIONeine rassistische Gesinnung.

Wenigstens einer der Sender hat sich öffentlich entschuldigt. Es folgt der TV-Beitrag von WION mit den eingespielten Zitaten:

1 WION  (World Is One News) ist ein privates englischsprachiges indisches News-Netzwerk mit Sitz in New Delhi. Es gehört zur «Essel Group», die dem indischen Milliardär Subhash Chandra gehört, der wiederum für die Bharatiya Janata-Partei BJP von Premierminister Narendra Modi im indischen Parlament sitzt. Diese regierende Partei ist angesichts ihrer aggressiven nationalistischen Hindupolitik nicht unbedingt ein Vorbild.

«The racist coverage of Ukraine: They are ‘civilised’ and ‘look like us’»

Unter diesem Titel schrieb Moustafa Bayoumi am 2. März über die oben erwähnten Zitate im britischen Guardian: «Verdienen die Ukrainer mehr Mitgefühl als Afghanen und Iraker? Viele scheinen so zu denken.»

Justizministerin Karin Keller-Sutter: «In Syrien handelte es sich um einen Bürgerkrieg und in Afghanistan war es ähnlich.»

In einem Interview vom 6. März fragte die «NZZ am Sonntag» die Schweizer Justizministerin Karin Keller-Sutter:
«Bei Fluchtbewegungen aus Syrien oder Afghanistan schien die Solidarität nicht so gross. Gibt es für uns Flüchtlinge erster und zweiter Klasse?»

Antwort der Bundesrätin:
«Das glaube ich nicht … In Syrien war es ein Bürgerkrieg im Inneren des Landes, das dann doch weiter weg ist. In Afghanistan war es mit der Machtergreifung der Taliban ähnlich.»

Die vielen afghanischen Flüchtlinge, die während der zwanzigjährigen Bombardierungen der Nato geflüchtet waren und in die Schweiz kommen wollten, erwähnte Keller-Sutter nicht.