Nachdem die letzten internationalen Truppen am 30. August 2021 aus Afghanistan abgezogen waren und die Taliban offiziell die letzten Teile der Hauptstadt Kabul in Besitz genommen hatten, schien die restliche Welt fassungslos.

Nach gut zwei durch Krieg und anschließende Friedensbemühungen gekennzeichnete Jahrzehnte prophezeiten viele die Wiedereinsetzung des berüchtigt brutalen Talibanregimes der Jahre zwischen 1996 und 2001 und dass somit jegliche seitdem erreichte Errungenschaft zunichte gemacht würde.

Insbesondere die konservative Haltung gegenüber Frauen, welche die Taliban offen vertreten, gab auch während des G20-Gipfels in Rom gut sechs Wochen nach der Übernahme jeden Anlass zur Besorgnis. Auch wenn alle Mitgliedsstaaten sich darauf einigten, die Vereinten Nationen mit der Koordination einer weiteren Milliarde an Hilfsgeldern für Afghanistan zu beauftragen, so ließen sie geschlossen keinerlei Zweifel daran, dass die Taliban in jedem Fall Frauenrechte anerkennen müssen – allen voran das Recht von Frauen auf Bildung.[1] Das Versprechen der Taliban, Frauen weiterhin im Rahmen des Islamischen Rechts zu ehren, wirft Zweifel auf, da die “konkrete“ Auslegung hierzu nicht klar ist. In Anbetracht der neuesten Ereignisse fragen sich viele berechtigt, inwiefern die Forderung der G20-Mitglieder überhaupt als realistisch anzusehen ist, da sich die Situation von Frauen nicht einmal zwei Monate nach der Übernahme bereits deutlich verändert hat.

Auch wenn die Position des Talibanregimes bezüglich der Bildung von Frauen nicht derart radikal scheint, wie sie es in den 1990er Jahren war, in denen so gut wie keinerlei Bildung für Frauen gestattet war, so sieht die tatsächliche Realität seit der Übernahme dennoch nicht rosig aus. Universitäten ist es nun beispielsweise untersagt, Kurse für Studentinnen und Studenten zu erlauben, da „der gemeinsame Unterricht den Prinzipien des Islams wie auch den nationalen Werten, Bräuchen und Traditionen widerspricht“, so Abdul Baghi Hakkani, Minister für höhere Bildung. Sollte die Geschlechtertrennung oder eine provisorische Wand zwischen den Geschlechtern nicht möglich sein, so müssen Universitäten ab sofort separate Zeitfenster einrichten, um geschlechterübergreifenden Unterricht zu verhindern. Die Trennung gilt auch für Lehrpersonal, da weibliche Studenten überwiegend von weiblichen Professoren zu unterrichten sind und nur in Ausnahmefällen Männer in Abstimmung mit der Sharia auch Frauen lehren dürfen.[2],[3]

Die Pläne der Taliban hinsichtlich der Bildung von Frauen begrenzen sich jedoch nicht nur auf tertiäre Ausbildung. Seit der Machtübernahme wird Mädchen nur primäre Ausbildung erlaubt, während sie von der Sekundarstufe ganz ausgeschlossen werden.[4] Das bedeutete konkret, dass diese Mädchen in der Zukunft auch keine Universität besuchen werden können. Diese Schritte haben selbst einige Vertreter von überwiegend muslimischen Ländern, darunter auch der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu, dazu veranlasst, die Talibanvertreter persönlich in Kabul besuchen zu wollen, um von der hiermit verbundenen Falschauslegung des Islamischen Glaubens zu überzeugen.[5]

Insbesondere die Bildung von Mädchen gilt als eine der effektivsten Maßnahmen zur Bekämpfung von sozialen Missständen. Gebildete Mädchen leben generell länger und gesünder, werden weniger wahrscheinlich minderjährig verheiratet und unter häuslicher Gewalt leiden.[6] Die Entwicklung in Afghanistan stellt einen starken Einschnitt für die junge weibliche Generation dar, die laut eines UNESCO-Berichts besonders durch Bildungsinitiativen während der letzten 20 Jahre profitierte. Die weibliche Alphabetisierungsrate hat sich beispielsweise in nur einem Jahrzehnt auf fast 30% im Jahr 2018 verdoppelt. Des Weiteren hat sich die Zahl der Mädchen, die den Unterricht besuchten, von nahezu Null in 2001 auf gut 2,5 Millionen im Jahr 2018 erhöht, was gut 50% der Grundschüler ausmacht.[7]

Nach dem großen Knall: Die Situation von Frauen in Afghanistan

(Bild: David Mark auf Pixabay | CC0)

Sport stellt einen weiteren Aspekt des Lebens einer Frau in Afghanistan dar, welcher von der Machtübernahme der Taliban betroffen ist. Die Haltung gegenüber Frauen im Sport, so Ahmadullah Wasiq, der stellvertretende Chef des Kulturausschusses der Taliban in einem Interview mit dem australischen Broadcaster SBS, steht klar fest: „Der Islam und die Islamischen Emirate [Afghanistan] gestatten es Frauen nicht, Cricket zu spielen oder einer anderen Sportart nachzugehen, bei der sie entblößt werden“. Dabei geht regelmäßiger Sport neben Vorteilen wie körperlicher Fitness oder Vorbeugung von zahlreichen Krankheiten gerade für Frauen mit vielen anderen positiven Aspekten einher. Sport kann zum Beispiel dazu beitragen, dass Mädchen ein gesundes Selbstbewusstsein und Selbstbild entwickeln, was auch an deren Kinder weitergegeben wird.[8]

Auch wenn Talibanvertreter hinsichtlich der Frau in der Arbeitswelt ähnlich wie im Bereich Bildung darauf verweisen, dass es Frauen im Rahmen der Sharia erlaubt sei, einer Tätigkeit nachzugehen, so spricht zum Beispiel die Entlassung vieler weiblicher Mitarbeiter in der Kabuler Regierung oder eine rein männliche Regierungsmannschaft eine klare Sprache bezüglich deren Auslegung.[9] Es erstaunt daher nicht unbedingt, dass ehemalige Richterinnen aus Angst vor Racheakten freigelassener Gefangener untertauchen mussten[10] oder dass Journalistinnen wie Beheshta Arghand aus Sicherheitsgründen das Land verlassen. „Wenn eine Gruppe von Leuten dich nicht als Mensch akzeptiert, dann haben sie ein gewisses Bild von dir in ihrem Kopf. Es ist sehr schwer“, schildert sie in einem Interview mit Reuters.

In Anbetracht dieser rasanten Entwicklung lediglich ein paar Wochen nach der Machtübernahme fragen sich viele, ob die Mission in Afghanistan ihr Ziel denn vollends verfehlt habe. Einige Proteste von Afghaninnen könnten ein Grund zur Hoffnung sein, wie Monika Hauser, Gründerin der Frauenrechtsorganisation Medica Mondale und selbst gut 20 Jahre in diesem Land aktiv, in einem Interview mit Tagesschau anführt. Sie argumentiert, dass das soziale Bewusstsein unter Männern wie Frauen, welches durch die Bemühungen der letzten 20 Jahre von Richterinnen, Ärztinnen oder Studentinnen geschaffen wurde, nicht einfach in einer Zeit, in der das Internet dies schlichtweg nicht erlaubt, zerstört werden kann. Die Zeit wird zeigen, ob ihre Aussage sich bewahrheiten wird.


[1] Seisselberg, J., (2021). Eine Milliarde für Afghanistan, (online). Available at : https://www.tagesschau.de/ausland/europa/afghanistan-konferenz-rom-101.html, [accessed: 21Okt2021].
[2] Ellis-Petersen, H., (2021). Afghan women at university must study in female-only classrooms, Taliban say, (online). Available at : https://www.theguardian.com/world/2021/sep/12/afghan-women-university-female-only-classrooms-taliban-say, [accessed: 21Okt2021].
[3] Lister, T. and Gigova, R., (2021). Curtains separate male and female Afghan students as new term begins under Taliban rule, (online). Available at: https://edition.cnn.com/2021/09/07/asia/afghan-university-male-female-segregation-curtain-intl/index.html, [accessed: 21Okt2021].
[4] Graham-Harrison, E., (2021). Taliban ban girls from secondary education in Afghanistan, (online). Available at: https://www.theguardian.com/world/2021/sep/17/taliban-ban-girls-from-secondary-education-in-afghanistan, [accessed: 21Okt2021].
[5] Wintour, P., (2021). Muslim Foreign ministers to make women´s rights plea to Taliban, (online). Available at: https://www.theguardian.com/world/2021/oct/13/muslim-foreign-ministers-make-women-rights-plea-taliban-afghanistan,  [accessed: 21Okt2021].
[6] Author unknown, (2021). Why educating girls is even more important than people realise, (online). Available at: https://www.economist.com/the-economist-explains/2021/08/19/why-educating-girls-is-even-more-important-than-people-realise?gclid=EAIaIQobChMIjZublLHb8wIVJO7mCh0SfQ7qEAAYASAAEgLBJ_D_BwE&gclsrc=aw.ds, [accessed: 21Okt2021].
[7] United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization [UNESCO], (2021). The right to education: What´s at stake in Afghanistan?. (PDF) Paris, France: UNESCO. Available at : https://en.unesco.org/sites/default/files/afghanistan_v11.pdf.
[8] Brady, M., (1998). Laying the foundation for girls‘ healthy futures: Can sports play a role?. Studies in Family Planning, 29(1), pp.79-82.
[9] Autor unknown, (2021). Kabul government´s female workers told to stay at home by Taliban, (online). Available at: https://www.theguardian.com/world/2021/sep/19/kabul-governments-female-workers-told-to-stay-at-home-by-taliban, [accessed: 21Okt2021].
[10] Licht, S., (2021). “Diese Männer versuchen, sich zu rächen“, (online). Available at: https://www.tagesschau.de/ausland/asien/afghanistan-richterinnen-101.html, [accessed: 21Okt2021].