Carla del Ponte hat ein sehr wichtiges Buch geschrieben, das sich mit Menschenrechten, Kriegsverbrechen und deren Ahndung vor dem Internationalen Strafgerichtshof beschäftigt.

Fast schon aus einer Verzweiflung heraus, schildert sie mehrere Fälle von Genoziden, deren Sichtbarmachung und Ermittlungen durch die unterschiedlichen Institutionen, die Formulierungen von Anklagen, wie manche Verfahren tendenziös abgewickelt wurden, wie wichtige Länder im UN-Sicherheitsrat gegen Ermittlungen und Anklagen durch Veto oder andere politische Intrigen intervenieren und Verfahren beeinflussen oder so verschleppen, dass nichts mehr dabei rauskommt. Sie erklärt sehr plastisch anhand von konkreten Beispielen, welche Institutionen Menschenrechte vertreten und durchfechten, wie diese Institutionen überhaupt funktionieren, wie sie formal auf Basis des Völkerrechts und der UN-Institutionen zusammenspielen, wie sie behindert werden können und wie auf sie finanzieller und politischer Druck von unterschiedlichen Ländern ausgeübt wird. Dabei prangert Del Ponte nicht nur Missstände an, sondern liefert sogar konstruktive Reformvorschläge. Eine Insiderin erklärt uns also sehr persönlich und auch emotional – was ich grandios finde – wie Menschenrecht gesprochen, aber auch verhindert wird.

So begeistert ich prinzipiell vom Inhalt bin, so mau finde ich leider die Ausführung. Carla del Ponte ist Juristin und Insiderin und sollte als nicht professionelle Autorin unbedingt von Verlag und Lektorat viel intensiver unterstützt werden. Das heißt für mich eben auch, dass die Profis hier viel mehr in die Gestaltung des Buches hätten eingreifen müssen, um die typischen schriftstellerischen Anfänger-Schnitzer zu verhindern. Ausufernde Redundanzen müssten beseitigt und der spröde in juristischem Fachsprech verfasste nicht gute Beginn vereinfacht werden.

Die Autorin beginnt mit einem historischen Abriss, wie das Völkerrecht aus der Beschränkung des Kriegsrechts entstanden ist und wie es sich weiterentwickelt hat: erste Bestrebungen nach dem 30jährigen Krieg, dann natürlich nach dem ersten Weltkrieg und dem 2. Weltkrieg, auch wie die Institutionen und wie der Gerichtshof in Den Haag gegründet wurden. Wie schon allgemein gesagt, der Beginn mit der Erklärung der Institutionen war spröde, juristisch langatmig und mühsam. Man muss nicht im Wortlaut Gründungsurkunden und Paragraphen zitieren, das geht auch zusammengefasst und knackiger erzählt.

In den konkreten Fallbeispielen zum Kriegsverbrechertribunal im Jugoslawienkrieg wird es dann sehr spannend. Hier kann Del Ponte mit ihrem Insiderwissen punkten und führt genau an, wie die Anklagen aufgebaut und Hürden überwunden wurden. Sie bezeichnet das gesamte Verfahren eigentlich als Erfolg mit einem kleinen Wehmutstropfen, denn nach den Serben auch noch die kroatischen und bosnischen Kriegsverbrechen zu ahnden, dafür war der politische Wille nicht mehr da und sie wurde dabei behindert.

Auch der Genozid in Ruanda, bei dem sie Chefanklägerin war, wird genau beschrieben. Wie die politische Situation eskalierte, welche Kriegsverbrechen von wem im Detail begangen wurden und wie sie versuchte, alle Taten anzuklagen und zu ahnden. Auch hier durfte Del Ponte nur die Verbrechen der Hutu aufklären und anklagen, aber nicht jene der Tutsi. In diesem Verfahren zeigte sie erstmals auf, wie sie systematisch behindert wurde und wie die politischen Grenzen des Völkerrechts von Staaten mit UN-Vetorecht gesetzt werden.

Die Eskalation in Syrien bezeichnet die Autorin resignierend als Triumph der Straflosigkeit. Wieder stellt sie die Entwicklungen wie es zum Konflikt kommen konnte, den Verlauf des Krieges und die begangenen Verbrechen sehr ausführlich und gut analysiert dar. Auch hier war Del Ponte direkt involviert, da sie, bereits in Pension befindlich, als Mitglied der Syrien-Kommission bestellt wurde. Außer einem detaillierten Bericht kam dabei aber nichts heraus, weil viele Staaten in diesem Konflikt, der sich zu einem internationalen Stellvertreterkrieg entwickelt hatte, keinen politischen Willen zur Ahndung von Kriegsverbrechen aufbringen wollten. Im Gegenteil, sie würgten mit ihrem Vetorecht alle weiterführenden Aktionen ab. Carla Del Ponte kämpfte gegen Windmühlen.

In einem weiteren Kapitel stellt die Autorin auch noch die Rolle der USA, die sich von einem aktiven Verteidiger der Menschenrechte, zwischendurch zu einem Bremser und letztendlich deutlich zu einem Verhinderer entwickelt hat, an den Pranger. Hier findet sie deutliche Worte. Durch die finanzielle Aushungerung der UNO unter Donald Trump und die Verhinderungstaktik von George W. Bush, um die Kriegsverbrechen von Amerikanern im Irak zu vertuschen, wurden die Menschenrechtsinstitutionen und die UN-Organisationen dauerhaft und nachhaltig beschädigt. Mittlerweile ist es ja schon so weit, dass Chefankläger*Innen in Den Haag von den USA nicht nur behindert, sondern auch direkt in den Staaten verfolgt werden, zum Beispiel mit Einreisesperren.

Wie schon gesagt, gibt es aber nicht nur Kritik, sondern die Autorin liefert auch konstruktive Vorschläge zur Reform der Institutionen, wenn denn der politische Wille der wichtigen Nationen und Player im UN-Sicherheitsrat wie USA Russland, China und Frankreich vorhanden wäre.

Fazit: Ein mitreißendes Plädoyer für Menschenrechte mit extrem spannenden Hintergrundinformationen über die Institutionen und wie sie arbeiten, bzw. auch nicht funktionieren und das anhand von konkreten Beispielen sehr gut von der zuständigen Fachfrau erklärt. Über die stilistischen Mängel im Aufbau und Inhaltsvermittlung, wie einige Redundanzen und zu viel spröde Juristensprache zu Beginn der Ausführungen, müssten die LeserInnen hinwegkommen. Für politisch interessierte Menschen lohnt es sich aber allemal, dieses Buch zu lesen. Ich habe sehr viel Wichtiges gelernt. Leseempfehlung!

Ich bin keine Heldin von Carla del Ponte ist 2021 im Westend Verlag brochiert erschienen. Nähere Infos zum Buch über einen Klick auf das Cover im Beitrag oder auf der Verlagsseite.

Rezension von

Der Originalartikel kann hier besucht werden