In der Stichwahl in zweiter Runde am kommenden 11. April finden sich die Ecuadorianer*innen vor der Wahl, auf einen progressiven Kandidaten zu setzen oder vier Jahre lang eine Wirtschaftsregierung zu ertragen, die mit den Finanz- und Wirtschaftsmächten auf nationaler und internationaler Ebene verbunden ist.

Auch wenn eine binäre Ansicht normalerweise limitierend ist und als Erpressung aufgenommen werden kann, gibt es inzwischen keinen Zweifel, dass es sich jetzt um eine Schwarz-Weiß-Wahl handelt. Wortwörtlich, die schwarze Option, die rechte Fraktion, die Banken und den christlichen Sozialismus, repräsentiert von Guillermo Lasso, Mitglied des Opus Dei, sind diejenigen, die uns nicht ihre wahren Gesichter zeigen.

In dieser Region kennen wir schon die Künste von Jaime Durán Barba, Lassos Wahlkampfleiter, dessen  Dienstleistungsangebot klar darstellt, für welche Interessen er normalerweise eintritt. In den 90er Jahren hat er in Kolumbien die vom Drogenhändler Pablo Escobar Gaviria angeführte Partei „Alternativa Liberal“ beraten. Danach war er unter dem neoliberalen Präsidenten Jamil Mahuad Leiter der öffentlichen Verwaltung Ecuadors. Während Mahuads Regierung fand der dramatische „Bankenfeiertag“ statt, der zum Verlust der Ersparnisse von tausenden von ecuatorianischen Familien geführt hat. Guillermo Lasso war damals Gouverneur von Guayas, Stellung die er als Dank für die Wahlkampffinanzierungshilfe Mahuads erhielt. Durán Barva hat auch im Wahlkampf des rechts orientierten Unternehmers Álvaro Noboa mitgewirkt und hat in Argentinien die Kampagne für den Regierungschef und Präsidenten des ebenfalls Unternehmers Mauricio Macri geleitet, der in 2019 von einer breiten Volkskoalition besiegt wurde. Derzeit und im Angesicht des schlechten Ergebnisses Lassos in der ersten Wahlrunde, hat man ihm einen Job als Wahlkampfberater angeboten, um Lassos endgültiges Scheitern zu verhindern.

Die altbekannte Strategie, die auch diesmal angewendet wurde, verschleiert unbeliebte Einstellungen als beliebte und versteckt damit die wahren politischen Absichten ihrer Mandanten durch leere Slogans, Vorreiter des kompletten Abbaus öffentlicher Dienstleistungen, die sie zu verteidigen vorgeben. Die Wahrheit ist jedoch, hier geht es um das Schaf im Wolfspelz. Lasso als auch Macri stehen für eine Rückkehr um 30 Jahre in die 90er, indem das private Geschäft von der öffentlichen Verwaltung aus erweitert wird, indem Gemeingüter missbraucht werden.

Hinter den Kulissen und außerhalb des Rampenlichts verursachen die rechten Regierungen direkten Schaden für die großen Mehrheiten, weil sie in kurzer Zeit durch ihre Privatisierungsprogramme alles vernichten, was in langer Zeit erreicht wurde. Die Qualität und Quantität der Gesundheits-, Bildungs- und Kulturangebote werden reduziert, unter anderem um deren Kommerzialisierung zu ermöglichen.

Die Verfälschung Lassos echter politischer Identität geht Hand in Hand mit einem unehrlichen und entwürdigenden Wahlkampf. Zum Beispiel, hat er bettelnde Migranten benutzt, um anzudeuten, dass diese die Zukunft Ecuadors darstellen, sollte Andrés Aráuz, der Kandidat der „Unión por la Esperanza (UNES)”, die Präsidentschaftwahl gewinnen.

Das Gesicht des Progressismus ist ein junges Gesicht, es ist ein Symbol der Veränderung und Erneuerung des Prozesses, der der vom Ex-Präsidenten Rafael Correa angeführten Bürgerrevolution vorausging. Correa wurde seiner Zeit durch Verfolgung und eines unrechtlichen Gerichtsbeschlusses vertrieben, ähnlich wie die Inszenierung gegen den brasilianischen Ex-Präsidenten Lula da Silva. Diese Geschehen zählen auf die Unterstützung des US-Justizministeriums durch verschiedene Programme, deren Ziel es ist, die rechtmäßige Wahl von populären Führungsperson des Volkes zu unterbinden, die sich weigern, die neokolonialen Befehle aus dem Norden zu folgen.

Die Bedeutung der Optionen im Sinne der Außen – und Geopolitik

Über die Tatsache hinaus, dass das ecuadorianische Volk selbsverständlicherweise hauptsächlich an die direkten Konsequenzen des Regierungsprogramms auf ihr Schicksal interessiert ist, ist es in einer gänzlich vernetzten Welt nicht unbedeutend, in welche Richtung die Außenpolitik gelenkt wird.

Lasso steht für eine vollständige Unterwerfung gegenüber dem US-Herrschaftsplan, bedeutet Lima-Gruppe, systemische Aggression gegen Venezuela, gegen Cuba, Assoziierung mit der kriminellen, kolumbianischen Regierung, Entfernung von der eigenen Souveranität und der regionalen Integration mit sozialen Zielen. Seine politische Einstellung bringt Handfesseln im geopolitischen Kampf der Vereinigten Staaten gegen China und Rußland mit sich. Sie verkörpert die Rückkehr Ecuadors auf den Weg der Unterdrückung des Volkes und der Remilitarisierung, die bereits von Morenos angeführten derzeitigen, katastrophalen Regierung vorgenommen wird, einschließlich die sehr wahrscheinliche Stationierung von US oder israelischen Streitkräften auf nationalem Boden. Im schlimmsten Falle bedeutet diese strategische Ausrichtung die automatische Beteiligung an gefährlichen, militärischen Konfrontationen.

Im Gegenzug wird sich die Aráuz Regierung wahrscheinlich der progressiven Fraktion angliedern, in deren Mittelpunkt Alberto Fernández, Andrés Manuel López Obrador und auch Luis Arce stehen, die jeweiligen Präsidenten von Argentinien, Mexiko und Bolivien (der letzte als Verbindungsmitglied zu den Ländern des ALBA-TCP), mit dem Ziel, einen Friedensfaktor für die ganze Region darzustellen, um die Selbstbestimmung der Völker zu verteidigen, ganz im Gegenteil zur geopolitischen Einmischung durch die externen Mächte.

Zusätzlich könnte der Stichwahlsieg von Aráuz nicht nur eine fast sofortige erneute Bildung der UNASUR und die damit zusammenhängende, schrittweise zu erzielende Wiederherstellung der regionalen Integration unter Berücksichtigung des Souveranitätsprinzips ermöglichen, er könnte auch andere, progressive Akteure und Bewegungen in der Region stärken, wie z.B. Verónika Mendoza, eine andine Frau aus dem linken Lager, wenn sie die zweite Runde in Perú erreicht. Das Gleiche würde mit den unabhängigen Kandidierenden und Wahlkämpfen der links orientierten Parteien in Chile geschehen, wenn sie zu den jetzt zum 21. November verschobenen Wahlen für die vefassungsgebende Versammlung und die Präsidentschaft antreten, sowie mit der Riesengelegenheit für das Volk in Honduras, eine Woche später sich vom betrügerischen Regime vom Juan Orlando Hernández zu befreien.

Ein positives Ergebnis für die progressive Bewegung in dieser zweiten Runde in Ecuador würde ähnliche gegenwärtige Mobilisierungen des Volkes in Paraguay, Haiti und Guatemala fördern, die Hoffnung des „Pacto de Unidad“ in Kolumbien stärken, im Mai nächsten Jahres das Unternehmer- und Medienkartell zu besiegen, deren ausführendes Organ Álvaro Uribes politische Fraktion darstellt, und sogar zu der Vorstellung beitragen, dass eine breite Volkskoalition in Brasilien an die Macht zurückkehrt.

Der sehr wahrscheinliche Sieg von Andrés Aráuz würde, ohne Zweifel, einen starken Umkehrschub für die zweite, neoliberale Welle bedeuten, die aus dem Verschleiß gewachsen ist, der aufgrund und innerhalb der populären Projekte des ersten Jahrzehnts in diesem Jahrhundert enstand.

Im Sinne der internationalen Beziehungen, wird eine Wiederherstellung einer progressiven Linkskoalition ein deutlicher Schritt in Richtung multilateraler Beziehungen sein, bei dem Platz für die untergeordneten Länder geschaffen und einen Austritt aus der konfrontativen Bipolarität ermöglicht wird. Das Paradoxe ist jedoch, dass die „schwarz-weiß“ Wahlen, bei denen die Völker entweder heterogene Volksvereinigungen oder unternehmensfreundliche Sektoren wählen, die Geopolitik verändern können, indem sie dazu führen, dass im Falle einer Niederlage der Letzteren, die Logik des Kalten Krieges zwischen zwei Seiten aufgegeben werden kann.

Von der Ablehnung zur Konstruktion der anderen möglichen Welt

Das Ausmaß der Proteststimmen in der ersten Wahlrunde in Ecuador kam in Form der Enthaltung zum Ausdruck. Es gab einen hohen Prozentanteil an ungültigen oder leeren Wahlzetteln und eine hohe Streuung in der Hälfte der gültigen Stimmen. Zweifellos und jenseits jeder Wahlstrategie bedarf dieses Phänomen Verständnis, Reflektion, Aktualisierung und Vertiefung bezüglich der humanistischen Dimension der links orientierten, progressiven Bewegungen in userer Region.

Diese Tendenz, die ebenfalls in den Wahlen anderer Länder zu finden ist, ist ein Aufschrei gegen die Entfremdung der politischen Strukturen von den echten Sorgen der Völker, ein Aufstand gegen die häufige Unfähigkeit der Regierungen zuzuhören und miteinander zu reden, Herz und Seele zu öffnen für die neuen Zeiten, die neuen Rechte, die neue Art Politik zu machen, die von den jungen Menschen gefordert wird, die Frauen, die indigene oder von afrostämmigen Gemeinschaften, Hauptopfer der Diskriminierung in dieser Region, die es nicht schafft, sich von ihrem kolonialen Gefüge zu befreien.

Die Bezeichnung, „besser denn je zurückkommen“ soll die Verwandlung durch eine progressistische Bewegung ansprechen, d.h. neue Ziele setzen und Veränderungen einleiten, die eine Periode des Fortschritts einleutet, so dass die Regierung das Beste aus der vorangegangenen Periode ernten kann und damit eine Aufwärtsspirale baut.

Wie schon gezeigt, werden gute Absichten oder Versprechungen nicht reichen. Es ist unabdingbar, dass den Volksgruppen mit aktiver, beteiligender und kritischer Begleitung unter die Arme gegriffen wird.

Andrés Aráuz ist mit seinen gerade 36 Jahren Mitglied einer Generation, die einen Wechsel darstellt. Nicht nur durch sein Alter, sondern auch aufgrund der Situation, die rechtliche und Medienverfolgung, antidemokratische Ächtung und in manchen Fällen der biologische Tod frühere lateinamerikanische Führungspersönlichkeiten gebracht hat. Dieses, verbunden mit der Kritik durch zuvor verbündete Sektoren hat progressive Kräfte und linke Bewegungen gezwungen, sich zu erneuern, und zwar nicht nur im Bereich der wählbaren Gesichter, sondern im inhaltlichen Bereich Ihrer Programme, die heute Teil des neuen, weltweiten Empfindes sind.

Themen wie die Geschlechtergerechtigkeit, Feminismus, das Recht der Frauen nicht als Gebärmaschinen behandelt zu werden; die konsequente Umstellung auf umweltschonende Politik; die Aufwertung der kulturellen Vielfalt und der beabsichtigte Aufbau der Plurinationalität; die Akzeptanz der diversen, sexuellen Orientierungen und den neuen Familienformen; die partizipatorische und echte Demokratie; die Dezentralisierung der Macht; das Engagement für neue souveräne Technologien und kritische digitale Kompetenz; die volle Einbeziehung der neuen Generationen oder die Gewaltfreiheit als staatliche Politik, sind anstehende Themen, die in unterschiedlichem Maße existieren und auf der Agenda aller progressiven Regierungen immer wichtiger werden.

Zweifellos sind heute die Forderungen nach Veränderungen aufgrund der durch die Pandemie aufgezeigten gesundheitlichen Notsituation größer geworden. In dieser neuen Phase verlangt die Bevölkerung von den progressistischen Regierungen nicht nur die Kontinuität, sondern auch die schnelle Vertärkung der Tendenz zur Gleichberechtigung und Öffnung von Möglichkeiten in der Bildung, der Gesundheit und einem wachsenden, gemeinsamen Wohlstand. Für den angetrebten Wohlstand wird im heutigen Kontext die eher verhaltene Umverteilung des Bruttosozialproduktes nicht reichen, da sie zu sehr nach den Regeln des ungerechten „status quo“ im Extrem-Kapitalismus spielt.

Sollten zukünftige Volksregierungen dem Mandat des Volkes gerecht werden wollen, müssen sie sowohl strukturelle Reformen im Finanz- und Steuersystem als auch Veränderungen in der ausbeuterischen Exportmatrix ohne Wertschöpfung durchführen, so dass ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt werden kann. Damit werden Abhängigkeiten aufgelöst, Löhne unterm Existenzminimum abgeschafft und Tätigkeiten zur Förderung von Fähigkeiten und Potentialen eingeführt, die unterm gültigen merkantilistischen Verständnis nicht anerkannt sind.

Das Gleiche sollte mit einer entscheidenden Demokratisierung der Kommunikationsmedien geschehen, was von einigen Volksregierungen angestoßen wurde, aber an den Hindernissen der mächtigen, monopolistischen Medien gescheitert ist. Zudem kommt jetzt die Herausforderung, mit der Gefahr umgehen zu können, dass jede soziale Aktivität durch diese monopolistischen, digitalen Unternehmen festgehalten werden kann.

Es ist notwendig, uns nicht nur nach außen zu dekolonisieren, sondern auch in den Ländern selbst. Wir müssen die Lebenskraft und die Fülle unserer Kulturen wiederherstellen und ihre unterschiedlichen Streben in einer kreativen und dynamischen Art und Weise zusammefügen.

Ebenso ist es eine moralische, unabdingbare Voraussetzung, den vollständigen Abbau der patriarchalischen Strukturen in Führungs- und politischen Positionen voranzutreiben und vor allem der alltäglichen gewalttätigen Verhaltensmuster gegenüber unserer Mitbürgerinnen zu realisieren.

Im Einklang mit diesen politischen Zielen muß ein persönliches und soziales Gewissen entstehen, dessen entscheidendes Bestreben nicht der Konsum, nicht das Besitzen von Objekten, nicht der Individualismus oder der Wettbewerb sind, sondern die Brüderschaft, die Solidarität, die Kollaboration und die Hilfestellung.

Nach und nach wird die Notwendigkeit sichtbarer werden, den Aufbau eines die Vielfalt einschließenden Gemeinschaftssinns anzustreben, der sich nicht auf Unterschiede gründet, der in der Lage ist, den Grundstein für eine harmonischere Zukunft auf diesem Planeten zu legen, auf dem alle Kulturen miteinander vernetzt sind. Dieses Prinzip ist die Anerkennung unserer gemeinsamen Menschlichkeit.

Das Ergebnis der zweiten Runde in Ecuador kann die Türen für eine Erneuerung und Erweiterung der Träume öffnen, aber es kann sich auch in einen Rücktritt und in eine Legitimation eines wiederkehrenden Alptraums verwandeln. Wir vertrauen darauf, dass das gute Wissen, das was das Herz mit dem Kopf verbindet, den ecuadorianischen Mitbürger*Innen helfen wird, vorangegangene Fehler zu überwinden und den besten Weg vorwärts zu finden.

Übersetzung aus dem Spanischen von Nadia Miranda vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam. Wir suchen Freiwillige!