Seit Jahrzehnten herrscht ein andauernder, politischer Konflikt zwischen Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten, deren Lösung immer noch in weiter Ferne zu sein, scheint. Kann ein offener Dialog dieser Tragödie ein Ende setzen? Und überhaupt – wie realistisch ist ein Dialog zwischen den Bürgern beider Staaten in naher Zukunft?

„Leihst du, mir deinen Blick“ ist ein Jugendbuch von Valérie Zenatti, das die Thematik einer E-Mail- Freundschaft eines israelischen Mädchens und eines palästinensischen Jungens behandelt, in der sich beide Jugendliche über ihren Alltag austauschen, der auf beiden Seiten stets mit Bomben, Angst, Gewalt und stereotypischen Feindbildern gefüllt ist.

Sie kreieren somit einen offenen Dialog – ein Phänomen, das in der Realität, leider noch nicht umgesetzt werden konnte.

Denn Palästinenser und Israelis sind seit über 20 Jahren durch eine 708 km lange Mauer geteilt, die seitens Israels erbaut wurde mit der Argumentation eine zeitlich begrenzte Sicherheitsmaßnahme zu sein, um sich von palästinensischen Angriffen zu schützen. Die Mauer steht jedoch noch heute und repräsentiert somit eine politische Grenze, die 2.500 Palästinenser aus dem Westjordanland isoliert und den Austausch der Bürger der beiden Staaten nahezu unmöglich macht. Dies führt zur folgenden Frage: „Wie können Palästinenser und Israelis jemals Frieden schließen, wenn sie nie miteinander kommunizieren?“

Aktuelle Debatten

Im Zuge der „Palestine Exposition“ in London (Juli 2019) hatte der israelische Journalist, Gideon Levy, der sich gerne offen für Palästinenser ausspricht, argumentiert, dass es an der Zeit für einen neuen Lösungsansatz wäre, den Levy selbst in der Existenz eines einzigen Staates sieht: Palästina.

Er begründete seine Aussage mit der fehlenden Demokratie und Gerechtigkeit in der israelischen Regierung und erklärte „Wenn wir von der Existenz eines einzigen Staates sprechen, reden wir über den womöglich wichtigsten Wert der Welt – nämlich Gerechtigkeit – der bei uns leider komplett ausständig ist. Es gibt keinen Israeli, der einen Palästinenser als ein vollkommen gleichgestelltes Individuum betrachtet.“

Levy appellierte gleichzeitig an die israelische Regierung: „Ihr könnt nicht alles haben. Ihr könnt nicht palästinensische Gebiete besetzen und behaupten die einzige Demokratie im Nahen Osten zu sein und Frieden stiften zu wollen, wenn ihr alles in eurer Macht Stehende tut, um jede Form der Gerechtigkeit zu vermeiden.“

Jedoch was denken Israelis über die Diskussionen der Existenz eines einzigen Staates? Levy betonte dazu, dass er an einem Dialog mit Israelis, die den Staat Israel unterstützen, nicht interessiert ist, da er (wie bereits oben erwähnt), überzeugt davon ist, dass sie Palästinenser als nicht ebenbürtig sehen und somit keinen Platz in der Konfliktlösung haben.

Weitere Ablehnungen auf einen möglichen Dialog des pro-Palästina Lagers traten auf dem „Exist, Resist, Return – Palestine is the issue“-Event in London auf. Als ein israelischer Herr, der anonym bleiben möchte, sich in einer Fragerunde zu Wort meldete und für einen Dialog appellierte, wies der Leiter der Diskussion, Salim Alam (Direktor der West London Palestine Solidarity Campaign), eine mögliche Konversation in diesem Fall ab. Der kurze Dialog spielte sich folgendermaßen ab:

Israelischer Herr, der anonym bleiben möchte: „Ich bin fest davon überzeugt, dass die palästinensische Lobby und der Mainstream der israelische Gemeinschaft einen Dialog benötigen. Es ist sehr leicht in einem Publikum wie diesem hier zu sitzen, in dem jeder dieselbe Meinung vertritt – was ich jedoch nicht tue – aber ich bin hier, und ich denke, dass ein Dialog wichtig ist.“

Alam dazu: „Ich bin bereit mit jedem zu sprechen, kein Problem. Aber persönlich habe ich einfach keine Lust mich mit jemandem zu unterhalten, der nicht für Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit ist. Wenn jemand die illegale Besetzung Israels nicht anerkennt ebenso wie das Recht der palästinensischen Flüchtlinge in ihre Heimat zurückzukehren, dann möchte ich mich mit diesen Menschen nicht auseinandersetzen.“

Voreingenommene Einstellungen

Versuche einer offenen Kommunikation außerhalb der Landesgrenzen scheinen somit fehlzuschlagen. Eine gewisse ablehnende/distanzierte Einstellung kommt nicht nur im pro-Palästina Lager vor, sondern lässt sich auch in der Einstellung der Unterstützer des Staates Israel beobachten.

Elliot Kleck, Communications Officer im BICOM (British Israel Communication and Research Centre) wies darauf hin, dass die fehlende Thematisierung des Holocausts im palästinensischen Bildungswesen ein großes Hindernis für einen Dialog der zwei Staaten darstellt.

Kleck dazu: „Die Idee den Holocaust zu unterrichten ist ein großes No-no, es scheint so, als würde es den Zionismus rechtfertigen. Deswegen wird im palästinensischen Autonomiegebiet der Holocaust nicht unterrichtet, was ein großes Problem ist.“

Ein ähnliches Argument kam von einem Lehrer aus Bethlehem, Palästina, der anonym bleiben möchte. Er wies darauf hin, dass das Bildungswesen in Israel die Schüler darauf hin drillt unter keinen Umständen mit Palästinensern in Kontakt zu treten und ihnen beibringt den Palästinensern gegenüber Hass aufzubauen.

Neben dem Schulwesen erwähnte der junge Lehrer auch die Ausdrucksweise und den Sprachgebrauch der Israelis. Der Lehrer dazu: „Wenn sie über uns (Palästinenser) diskutieren oder den Ort, in dem wir leben, verwenden sie die Bezeichnung „die andere Seite“ und nicht Palästina, oder Palästinenser. Das Westjordanland nennen sie auf Hebräisch „Eshtakhim“, was so viel bedeutet wie „Das Land“. Sie sehen es nicht als unser Land an. Sie tun also so, als hätten Palästinenser nie auf diesem Land gelebt, so als hätten wir nie existiert.“

Diese voreingenommenen Einstellungen bezüglich auf Ideologien, Bildung und Sprachgebrauch sind jedoch nicht das einzige Problem bzw. die einzige Hürde für den offenen Dialog. Die Mauer, die beide Staaten voneinander trennt, ist ohne Frage eines der Hauptprobleme, und die Tatsache, dass beide Bürger nicht frei über die Grenzen schreiten können.

Der fehlende Dialog zwischen Palästinensern und Israelis

Die Mauer in Bethlehem. Eine Mauer, zwei Perspektiven – während Israelis sie als Schutzmaßnahme bezeichnen, sprechen Palästinenser von einer „Apartheid“-Mauer. (Foto von Cagla Bulut)

Die Mauer, ein großes Hindernis für die offene Kommunikation

Das Westjordanland, das von Israel besetzt ist, unterteilt sich in drei Gebiete: A, B und C. Der Bereich A ist unter palästinensischer Polizei- und Zivilkontrolle, B unter israelisch-palästinensischer Autorität und das Gebiet C beinhaltet die israelischen Siedlungsgebiete, die unter internationalem Gesetz illegal sind, und steht exklusiv unter israelischer Kontrolle.

Israelis und Palästinensern ist es nicht vorgesehen die Grenzen zu überschreiten und das jeweils andere Gebiet zu betreten. Es gibt einige Ausnahmen, wie Arbeitserlaubnisse, Arztbesuche & Co., aber im Grunde genommen gibt es in den beiden Ländern keinen Ort der Begegnung, Raum für Austausch oder sonstige Möglichkeiten für eine interaktive Kommunikation.

Ein offener Dialog innerhalb der Staaten und der jeweiligen Bürger ist deswegen so wichtig, weil er Raum für Fragen und Antworten in Hinblick auf die individuellen Schwierigkeiten und das gemeinsame Leiden – verursacht durch die gegenwärtigen Umstände – bieten würde. Und im Idealfall würde diese offene Kommunikation auch einen Lösungsweg mit sich bringen.

Auch wenn voreingenommene Einstellungen auf beiden Seiten präsent sind, gibt es auch viele Stimmen, die sich für einen Dialog einsetzen und sich für eine Lösung für beide Staaten aussprechen. Der palästinensische Lehrer, der anonym bleiben möchte, erklärte im Interview, er sei schon immer bereit gewesen einen offenen Dialog mit Israelis zu führen. Er habe auch in unterschiedlichen Organisationen und Projekten international mitgewirkt, jedoch bedauert er, dass sobald er zurück nach Hause (Bethlehem) kehrt, alles nach alter Tradition weitergeht und keine Änderungen, geschweige denn Verbesserungen, stattfinden.

Doron Blumshtein, ein israelischer Ingenieur in Tel Aviv, betont wie seine Vorgänger in diesem Artikel, dass damit ein Dialog stattfinden kann, sich zuerst etwas in der Bildung ändern muss. Er ist ein großer Hoffnungsträger und wirbt für Events und Festivals für Bürger beider Seiten und erklärt, dass er die Lösung nicht in der Politik und in Politikern sieht, sondern in Künstlern, Musikern, Ärzten, Ingenieuren und Athleten.

Festivals und Events könnten der Beginn für einen Austausch sein, besonders, wenn sie sich in erster Linie nicht um Politik und Grenzen drehen, sondern um Dinge, die, die Bürger beider Seiten gemeinsam haben und amüsant finden wie zum Beispiel Kunst und Unterhaltung.

Der fehlende Dialog zwischen Palästinensern und Israelis

Rotes Schild, das den Beginn des Gebietes A ankündigt, welches unter palästinensischer Autorität ist. (Foto von Cagla Bulut)

Ein offener Dialog muss nicht auf politischer Ebene stattfinden, er muss sich nicht um brennende politische Debatten drehen oder Lösungen auf jahrzehntelang ungelöste Probleme bringen. Ein offener Dialog zwischen den Bürgern kann Brücken bauen, Verständnis auf beiden Seiten aufbringen und ein Wegbereiter für eine friedlichere, gemeinsame Zukunft sein.

Am Ende seines Interviews fügte Blumshtein hoffnungsvoll hinzu: „Wir wünschen uns alle eine bessere Zukunft für uns und unsere Kinder. Auf der einen oder anderen Seite geboren zu werden, ist nichts anderes als ein blöder Zufall. Wenn man das verstanden hat, wird man damit aufhören sich eine Seite auszusuchen, sondern sich auf eine gemeinsame, bessere Zukunft fokussieren. Ein offener Dialog wird sicherlich eine tiefere Verbundenheit zwischen den Menschen auf beiden Seiten sorgen.“

Abgesehen von der großen, gigantischen, grauen Mauer und voreingenommenen Einstellungen, appellieren insbesondere junge Leute, die in den beiden Staaten leben, für einen offenen Dialog und erklären sich bereit mit der „anderen Seite“ einen gemeinsamen Lösungsweg zu suchen.

Entscheidungen, die Palästina und Israel unmittelbar betreffen, werden seit jeher außerhalb der Landesgrenzen diskutiert und getroffen, siehe hier das Osloer Abkommen 1993 und den „ultimativen Deal“ zwischen Netanyahu und Trump 2020. Um für Frieden in den zwei Staaten zu sorgen, sollten lokale Politiker in Zukunft Entscheidungsprozesse zurück in die Landesgrenzen holen und versuchen einen Dialog mit der „anderen Seite“ zu beginnen. Und wer weiß, vielleicht sollten sie offen für neue Wege sein und die Friedensprozesse künftig mehr der jüngeren Generation überlassen, denn die alten Wege scheinen bis dato nicht funktioniert zu haben.