Auf Veränderung ausgerichtete Bewegungen haben dann größere Erfolgsaussichten, wenn ihre Forderungen die neuralgischen Punkte des Gegners und die vordringlichen Aufgaben der Zeit treffen.

Wenn die Lage gefährlich ist und die Ursachen nicht so leicht zu durchschauen sind, ist es besonders wichtig, welche Prioritäten die Bewegungen setzen, die sich für ein Überleben in einer bedrohten Welt einsetzen. Ebenso entscheidend ist, mit welchen Forderungen und Parolen sie die Menschen gegen die Mächte des Alten und für ein repressionsfreies Leben gewinnen wollen.

Aktuell entscheiden schwerpunktmäßig drei Gefahren zwischen Krieg und Frieden: Gefahren der Nuklear-Rüstung, der Digitalisierung und der Hochrüstung, die immer deutlicher auf eine Kriegsvorbereitung hinausläuft. Forderungen, die erkennbar darauf abzielen, die größten Gefahren abzuwenden, haben die größte Chance auf Unterstützung aus der Bevölkerung und damit auf Verwirklichung.

Heute leben wir in einer Phase der Geschichte, die infolge menschlicher Aktivitäten gefährlicher für das Leben ist als alle Epochen zuvor. Diese Phase ist gekennzeichnet durch immer ausgefeiltere (Nuklear-)Rüstung, immer heißere internationale und auch wachsende innerstaatliche Spannungen sowie die um sich greifende Zerstörung des Lebensraums Erde. Viel wird davon abhängen, ob Friedens- und Umweltbewegung gemeinsam das Herzstück eines großen Bündnisses werden, die mit einem langen Atem die gemeinsame Vision einer Welt ohne Gewalt mit Leben füllen.

Die grundlegende Aufgabe, die Gesellschaft der Ausbeutung, also des Kapitalismus zu überwinden, können beide Bewegungen nach Lage der Dinge kaum in der Zeitspanne umsetzen, die die Menschheit aus ökologischen Gründen vielleicht noch zur Verfügung hat.

Niemand kann ausschließen, dass diejenigen Recht haben, die davor warnen, weiterhin auf jährlich mehr Wachstum zu setzen, so als hätte die Erde unbegrenzte Ressourcen für den „Konsum“ genannten Verbrauch. In der Medizin nennt man ein unbegrenztes Wachstum in einem begrenzten Körper „Krebs“. Der Kapitalismus baut auf Konkurrenz auf und auf einer Ökonomie des „Friss oder werde gefressen“. Kooperation ist ihm fremd, außer sie nutzt dem einzelnen Wettbewerber für eine Weile. Diese auf Konkurrenz aufgebaute Ökonomie birgt bei immer weiter anwachsender Spannung zwischen Konkurrenten die Gefahr von Kriegen in sich.

Zu den augenblicklichen Forderungen zählt dementsprechend, möglichst zeitnah die Überwindung des Kapitalismus anzustreben, sonst mangelt es ihnen an Nachhaltigkeit. Die Friedensbewegung wird deshalb immer wichtiger, weil das Tempo der Entwicklung und die zerstörerischen Kräfte ein Potenzial entfalten können, das das Ende der Zivilisation innerhalb sehr kurzer Zeit und dann für alle Zeit „heraufbeschwört“.

Die Konkurrenzgesetze des Kapitalismus gelten auch für die NATO-Politik, wenn es den Militärs um die Sicherung der Zugänge zu Rohstoffen, um Handelswege und um Zugriff auf weltweite Märkte geht.

Schon das Weißbuch der Bundeswehr von 2006 besagte:

„Verwerfungen im internationalen Beziehungsgefüge, Störungen der Rohstoff- und Warenströme, beispielsweise durch zunehmende Piraterie, und Unterbrechungen der weltweiten Kommunikation bleiben in einer interdependenten Welt nicht ohne Auswirkungen auf nationale Wirtschaftsstrukturen, Wohlstand und sozialen Frieden im Lande und damit auf unsere Sicherheit“ (1).

Forderungen der Friedensbewegung haben ohne die antikapitalistische Perspektive demzufolge eine geringe Halbwertzeit.

Schon alleine das Tempo der Entwicklung führt dazu, dass sich Herausforderungen überstürzen, die die Gefahr des großen Krieges, der alles gefährdet, heraufbeschwören. Es reicht, wenn verantwortliche Führungskräfte in einer solchen Situation den Kopf verlieren und den roten Knopf auslösen.

Das Tempo der technischen Innovation in der Rüstung findet eine Parallele im Tempo des Zerfalls der internationalen Ordnung aufgrund von Kriegen und Wirtschaftskriegen.

  • Die Nuklearrüstung erhöht die Gefahr eines Atomkrieges aus Versehen. Sie wird so ausgefeilt produziert, dass es Präsidenten leichter fällt, sie einzusetzen: Er kann die Dosis der Sprengkraft beispielsweise passend absenken Zudem führt die Zielgenauigkeit dazu, dass ein Projektil nach Abschuss von einem NATO-Stützpunkt das Tor im Moskauer Stadion trifft.
  • Drohnen verwischen die Grenze zwischen Krieg und Nichtkrieg, da sie ohne Kriegserklärung in fremdem Gebiet zum Einsatz kommen können, wie bei einer Expedition: Rein, Feuer, raus. Danach Business as usual.
  • Die sprunghafte Zunahme katastrophaler Wetterphänomene mit ungeheurer Zerstörungskraft erhöht immer wieder Spannungen in direkt betroffenen Staaten und Regionen. Wie das Beispiel Syrien zeigt, können sich diese allzu leicht zum Flächenbrand entwickeln und am Ende sogar zum Atomkrieg führen (2). Der Cyberkrieg beschleunigt die militärischen Möglichkeiten, er verwischt die Grenzen zwischen Friedenszeiten und Krieg noch weiter und schneller (3).
  • Die NATO, die derzeit mehr als 15-Mal so viel in Rüstung und Krieg investiert als Russland (4), versucht, die Menschen noch weiter dafür zu gewinnen, dass jeder NATO-Staat 2 Prozent seiner Wirtschaftsleistung in den Militäretat steckt. Die einzige Erklärung für diesen Wahnsinn ist die Kriegsvorbereitung, sei es gegen Russland an dessen Westgrenze, am Golf oder direkt gegen China.

In diesem Szenario nimmt Deutschland eine globalstrategische Stellung ein und Ramstein im Besonderen. Alleine die USA verantworten circa zwei Drittel der NATO-Militärausgaben. Sie benutzen Ramstein nicht nur als Drehkreuz für ihren Drohnenkrieg, sondern auch als notwendigen Zwischenstopp auf dem Weg in den Krieg und als Materiallager für militärisches Gerät. Zusätzlich entsteht in Ramstein auch noch das weltgrößte US-Militär-Hospital außerhalb der USA. Es soll bis 2022 entsprechend ausgebaut werden. Eine solche Investition lässt sich am ehesten dann erklären, wenn sich der Investor auf einen Krieg vorbereitet (5).

Vor diesem Hintergrund lautet die Forderung, die US-Airbase Ramstein zu schließen und den Stationierungsvertrag des deutschen Staates mit den USA aufzukündigen:

„Die Air Base muss weg. … Dazu ist eine breite Bewegung der Bevölkerung nötig, um den notwendigen gesellschaftlichen Druck auf die Verantwortlichen auszuüben“ (6).

Diese Forderung eignet sich regional durchaus als Bindeglied vieler Aktivitäten der Friedensbewegung vor Ort und im Umfeld von Ramstein. Die überregionale Friedensbewegung sollte im Zusammenhang mit dem Aufruf „Abrüsten statt aufrüsten!“, mit der ICAN-Kampagne zum Nuklearverbotsvertrag der UNO und mit den Forderungen der Anti-Drohnen-Kampagne auf die aktuell gefährlichsten Elemente der NATO-Strategie eingehen:

  • Der bundesweite Schwerpunkt gegen die Ausweitung des Militäretats sollte zumindest bis zur Verabschiedung des Bundeshaushaltes 2020 unter dem Motto ‚Abrüsten statt aufrüsten!‘ weiter geführt werden. Bislang sind laut Website https://abruesten.jetzt 140.000 Unterschriften zusammengekommen.
  • Die Kampagne gegen die Atomrüstung gewinnt deshalb an Bedeutung, weil die NATO plant, ab 2022 mit der Stationierung völlig neuartiger und noch ausgefeilterer Nuklear-Systeme unter anderem in Büchel zu beginnen. „Friedensforscher wie Hans Kristensen und Otfried Nassauer, Direktor des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit, fürchten die Fähigkeiten der neuen Bombengeneration B.61-12. Denn statt ‚dumm‘ – also frei fallend – werde sie präziser lenkbar sein als die alten B.61-3 und die B.61-4. So sind die Bomben nicht nur besser für die Zerstörung einzelner Ziele geeignet. Sie richten auch weniger ungewollten Schaden an. „Damit könnte die Hemmschwelle sinken, sie zu verwenden“, fürchtet Nassauer. Laut Kristensen sollen die ersten Exemplare 2020 fertig werden. Ab 2022 könnte der Austausch beginnen“ (7).
  • Die Anti-Drohnen-Kampagne ist dringend auszubauen, auch da es in der Koalition in Berlin dazu unterschiedliche Positionen gibt: Der Koalitionsvertrag spricht von der Anschaffung „bewaffnungsfertiger“ Drohnen, deren rechtliche Seite allerdings umstritten ist. Zitat:„Vor einer zukünftigen Beschaffung von bewaffnungsfertigen Drohnen sind die konzeptionellen Grundlagen für deren Einsatz zu schaffen. Völkerrechtswidrige Tötungen lehnen wir kategorisch ab, auch durch Drohnen.“ Diese Schaffung „konzeptioneller Grundlagen“ sollte die Friedensbewegung zum Anlass heftiger Kritik und massiver Aufklärung nehmen. Denn Drohnen sind Geräte zum Bruch des Völkerrechts.

Folgende zentrale Forderungen zu diesen neuralgischen Punkten der Auseinandersetzungen um die Rüstung sind überregional:

  • Abrüsten statt aufrüsten
  • Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag und Verschrottung der letzten Sprengköpfe von deutschem Boden!
  • Ächtung von Drohnen
  • Verbot von Tötungsautomaten und Programmen, die über Krieg und Frieden entscheiden, auch im Cyberspace.
  • Verbot jeglichen Waffenexports

Diese Forderungen mit der nach der Schließung von Ramstein zu verbinden, kann regional Rückenwind für einen bundesweiten Erfolg bedeuten. In diesem Kontext sehe ich die Forderungen nach einer Kündigung des Stationierungsvertrages als sinnvoll an.

Der gemeinsame Erfolg hängt aus meiner Erfahrung zentral davon ab, wie die Friedensbewegung die Umweltbewegung unterstützt und ergänzt sowie wie umgekehrt die Umweltbewegung den Frieden stärker in ihre Forderungen einbezieht.

In Ramstein findet am 29. Juni 2019 eine große Manifestation der Friedensbewegung gegen die Airbase statt:

In Büchel laufen derzeit die 20 Aktionswochen gegen die Atombomben vor Ort und für den Atomwaffenverbotsvertrag +, der Initiativkreis gegen Atomwaffen in Büchel erhält den diesjährigen Aachener Friedenspreis!

Dieser Beitrag erschien erstmalig unter dem Titel Gemeinsam für eine bessere Welt! bei Rubikon – Magazin für die kritische Masse unter CC BY 4.0.

Quellen und Anmerkungen:

Hier noch einmal die Website mit den Informationen zur Kampagne gegen die Hochrüstung: https://abruesten.jetzt/
Hier: Aktion Aufschrei für das Verbot von Waffenexport: https://www.aufschrei-waffenhandel.de/
(1) http://www.ag-friedensforschung.de/themen/Bundeswehr/weissbuch-henken.html, Seite 8
(2) Zum Klima als Kriegsursache: http://www.taz.de/!161233/
(3) Gefährlichkeit der digitalen Vernetzung für den Frieden (siehe Gerhard Baum): https://www.youtube.com/watch?v=HLQcNDcARrg
(4) http://www.bund-rvso.de/auf-ruestung-deutschland-nato-russland-ausgaben.html
(5) https://www.rheinpfalz.de/lokal/aus-dem-suedwesten/artikel/das-groesste-us-militaerhospital-ausserhalb-der-usa/
(6) Klaus Hartmann: Kündigung des Stationierungsvertrags!, in: Stopp Air Base Ramstein, Dezember 2018
(7) https://www.volksfreund.de/region/rheinland-pfalz/fliegerhorst-buechel-lagern-die-atombomben-sicher_aid-6353116


Bernhard Trautvetter, Jahrgang 1954, ehemaliger Berufsschullehrer, Friedensaktivist aus Essen, Organisator von Friedensaktivitäten, darunter Demonstrationen gegen Nato-Konferenzen in der Messe Essen, Mitglied in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten (VVN), Experte für Friedenspädagogik und Friedenspolitik in der GEW NRW, Referent zu Friedensfragen, u.a. auf der didacta für die GEW, bei Veranstaltungen der VVN, den Linken und den Grünen, dem bundesweiten Friedensratschlag in Kassel, von attac- und weiteren Friedens-Gruppen in mehreren Städten Deutschlands, Lyriker und Bildgestalter. Veröffentlichungen in Anthologien sowie u.a. in Neues Deutschland, Junge Welt, Marxistische Blätter, Weltbühne, KenFM, RUBIKON, Friedensforum; Träger des Düsseldorfer Friedenspreises 2018, Ausstellungen im In- und Ausland mit Fotografie, Lyrik und Collagen – ein Thema u.a. „Kriege enden nicht im Frieden“, www.fotolyrikart.eu.