Nachricht des Bürgermeisters von Riace (Italien) Domenico Lucano verlesen während der Solidaritätsveranstaltung in seinem Namen.

Es ist hinfällig, zu sagen, dass ich gerne unter Euch gewesen wäre, nicht nur für die formellen Grüße, sonder auch für mehr, um frei reden zu können, ohne das in eine schriftliche Form bringen zu müssen, um jenes Gefühl der Spontanität empfinden zu können, die Emotionen zu spüren, die gesprochenen Worte in der Seele auslösen, und nicht zuletzt auch, um jedem Einzelnen von Euch zu danken und für eine feste kollektive Umarmung an alle, mit all der Zuneigung, zu der wir menschliche Wesen fähig sind.

An Euch alle, die ihr ein Volk auf der Reise zu einem Traum der Menschheit seid, zu einem imaginären Ort der Gerechtigkeit, die eigenen täglichen Pflichten beiseite lassend und in Herausforderung der Erbarmungslosigkeit der Zeit.

Ich danke Euch.

Der Himmel ist von vielen dunklen Wolken bedeckt, in den gleichen Farben wie die schwarze Welle, die die Himmel von ganz Europa durchquert und die die unbeschreiblichen Horizonte mit ihren Gipfeln und Abgründen. von Ländern, von Schmerzen und Kreuzen, von Grausamkeit und neuen faschistischen Barbareien nur erahnen lassen.

Hier, an diesem Horizont, stehen die Völker. Mit ihrem Leid, ihren Kämpfen und Eroberungen. Zwischen den kleinen und großen Dingen des täglichen Lebens überkreuzen sich Fakten mit politischen Ereignissen, von dringenden Problemen zu neuen drohenden Ausweisungen, von Angriffen auf ihr Leben bis zum Tod und zur Unterdrückung. Heute, an diesem Ort der Grenze, in diesem kleinen Dorf im Süden Italiens, Land des Leids, der Hoffnung und des Widerstands, erleben wir einen Tag, der dazu bestimmt ist, in die Geschichte einzugehen.

Die Geschichte sind wir.

Mit unseren Entscheidungen, mit unseren Überzeugungen und Fehlern, unseren Idealen und unser Hoffnungen auf Gerechtigkeit, die niemand jemals unterdrücken kann.

Es wird der Tag kommen, an dem Menschenrechte wieder respektiert werden, an dem es mehr Frieden als Krieg geben wird, mehr Gleichheit und Freiheit anstatt Barbarei. Wo es keine Personen mehr geben wird, die in der Businessklasse reisen, während andere wie menschliche Waren zusammengepfercht von kolonialen Häfen aus sich an den Wellen des Meeres des Hasses festklammern.

Zu meiner persönlichen Situation und den rechtlichen Angelegenheiten habe ich dem, was bereits vielfach erzählt wurde, nicht viel hinzuzufügen. Ich habe weder Groll noch Forderungen, gegen niemanden. Aber ich möchte gerne der Welt sagen, dass es nichts gibt, wofür ich mich schäme, nichts was ich verbergen wollte. Ich würde dieselben Dinge wieder tun, sie haben meinem Leben einen Sinn gegeben.

Ich werde diesen überwältigenden Strom an Solidarität nicht vergessen. Ich werde Euch noch für sehr lange im Herzen tragen. Wir dürfen uns nicht zurückziehen. Wenn wir vereint sind und menschlich bleiben, können wir den Traum der sozialen Utopie berühren.

Ich wünsche Euch den Mut, alleine zu sein und unter den gemeinsamen Idealen zusammenzustehen. Den Mut, ungehorsam zu sein, jedes Mal dann, wenn man Befehle erhält, die unser Gewissen demütigen. Es sich zu verdienen, dass wir Rebellen genannt werden, wie jene, die sich weigern, die vorgeschriebenen Amnesien mit der Zeit zu vergessen. So hartnäckig zu sein, zu glauben – auch entgegen allem Anschein – dass es sich lohnt, Männer und Frauen zu sein. Den Weg weiter zu gehen, obwohl man fällt, verraten und besiegt wird. Weil die Geschichte immer weitergeht, auch nach uns, und wenn sie Adieu sagt, so ist es zur gleichen Zeit auch ein Auf Wiedersehen. Wir müssen danach streben, den Glauben aufrecht zu erhalten, dass es möglich ist, Wegbegleiter deren zu sein, die von dem Wunsch nach Gerechtigkeit und nach wahrer Schönheit beseelt sind, wo auch immer wir sind und wo auch immer wir leben. Denn die Seele und die Zeit haben keine Grenzen.

Hasta siempre.

Mimmo Lucano

 

Übersetzung aus dem Italienischen von Evelyn Rottengatter