München, 27.03.2015 – „Oh ihr Menschen, Wir haben euch aus Mann und Frau erschaffen und euch zu Völkern und Stämmen gemacht, auf dass ihr einander erkennen möget – beziehungsweise euch gegenseitig kennenlernt“, zitiert vor ca. 70 Teilnehmern Referent Marwan Al-Moneyyer Schlüsselpassagen aus dem Koran zum Thema Rassismus. Die Moscheegemeinde Milli Görüs im Münchner Osten hatte sich im Rahmen der internationalen Wochen gegen Rassismus 2015 (Veranstalter: Interkultureller Rat in Deutschland e.V.) mit einem Vortrag in ihren eigenen Räumen an der Aktion beteiligt.

Marwan ist ein sympathischer, ausgeglichener Kerl, dem man sein ehemaliges Studium der Pädagogik schnell anmerkt. Didaktisch und verständlich erklärt er dem überwiegend jungen Publikum zwischen 14 und 25 Jahren an einschlägigen Koranversen und Hadithen (übertragene Lebensweisen des Propheten Mohammed) wie der Islam zum Rassismus steht. Der Koran verbiete Diskriminierungen jeglicher Art. So habe Mohammed zum Beispiel gesagt: „Ein Araber ist nicht besser als ein Nicht-Araber, ein Roter nicht besser als ein Schwarzer und ein Schwarzer nicht besser als ein Roter, außer in der Frömmigkeit.“ Und wie fromm jemand sei, das wisse nur Gott.

Unterschiede sind eine Bereicherung

Wo einst die Stammeszugehörigkeit über die Ein- oder Ausgrenzung entschied, sind heute vor allem Nationen die Messlatten für Zugehörigkeit und Andersartigkeit. Jeder habe einen latenten Rassismus in sich, als Moslem gelte es hier, sich von den erlernten und gewohnten Denk- und Verhaltensmustern zu lösen und sich auf die Lehre des Koran zu besinnen, „als Mensch kann man schnell rassistisch sein, aber als Moslem darf man das nicht“, erinnert Marwan die Gemeindemitglieder. Unterschiede in der Schöpfung seien von Gott gewollt und sollten der Menschheit als Bereicherung dienen und nicht als Grund sich auszugrenzen oder zu bekämpfen. Jeder habe seine Talente von Gott erhalten und somit trage auch jeder Mensch eine Verantwortung. Wichtig sei nur, was sich in seinem Herzen abspiele und was er aus seinen Talenten mache.

Frauen, Alkohol, Homosexuelle

Marwan geht auch ausführlich zu den typischen Vorwürfen ein, mit denen der Islam hierzulande konfrontiert wird: Diskriminierung von Frauen, Alkoholkonsumenten und Homosexuellen. Beim Ersteren, so Marwan, muss unterschieden werden zwischen Religion und Tradition. In Staaten wie Saudi Arabien, Afghanistan oder in Teilen der Türkei bestimmen immer noch patriarchische Gesellschaftsstrukturen die Rollen von Mann und Frau: „Die Religion wird in diesen Ländern oft missbraucht um die Vorrangstellung der Männer zu zementieren.“ Die Lösung für das Überwinden von derartiger Diskriminierung sieht Marwan in der Bildung und Urbanisierung, da mit zunehmendem Bildungsniveau und Zivilisationsgrad der Bevölkerung traditionelle Strukturen aufbrechen, wie man in fast allen Großstädten des Mittleren und Nahen Ostens gut beobachten könne.

Bei den Themen Alkohol und Homosexualität, nach dem Koran undiskutabel als Sünde gebrandmarkt, appelliert er an das Publikum gerade nicht mit Diskriminierung und verächtlicher Wertung zu reagieren, sondern nach dem Vorbild des Propheten Mohammed, diese Menschen aufzunehmen, zu akzeptieren und die Ursachen zu bekämpfen statt den Betroffenen. Oder im Falle von Homosexualität, zwar deutlich auf den Sündencharakter hinzuweisen, denjenigen aber nicht aus der Gemeinschaft auszustoßen oder anderweitig zu diskriminieren.

„Ich kenne auch lesbische Schwestern“

Das klingt für mich erst einmal ganz gut. Aber wie stehen die im Saal anwesenden jungen Männer in der Realität zu homosexuellen Mitmenschen? Ich frage nach und staune nicht schlecht, als ein 16-jähriger seinen Standpunkt voller Elan vertritt: „Findet ihr es nicht auch komisch, dass wir obwohl wir so zivilisiert und so weit gekommen sind, so gefangen in diesen ganzen Vorurteilen sind, dass wir immer noch über das Thema Rassismus und Diskriminierung reden?“ Er habe selbst schwule Freunde und es mache ihm gar nichts aus, er treffe sich öfters zum gemeinsamen Lernen mit ihm, er kenne auch lesbische Schwestern, also fromme Muslima, und auch das sei kein Grund für ihn, diese Mädchen zu diskriminieren.

Ich weiß nicht, ob in diesem Moment alle so denken, es kommt zumindest kein Gegenargument. Irgendwie hatte ich mir an dieser Stelle mehr Kontroversen erwartet, aber nun habe ich das Gefühl, dass sich die anwesenden Mitglieder der Milli Görüs ihrer fragilen Position in der deutschen Gesellschaft bewusst sind und der Tatsache, dass ein Fehltritt eines Einzelnen immer unweigerlich negativ auf ihre ganze Gemeinde und Religion abfärbt.

Marwan betont wie wichtig es sei, dass man den „Rassismus in den eigenen Gemeindereihen anprangern“ und ein Vorbild für jeden sein sollte. Dabei sollten die „99 Namen Gottes“, also die im Koran Gott zugeschrieben Attribute wie zum Beispiel Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Allerbarmung, feste Leitlinien für einen jeden guten Moslem sein. Zum Schluss ermahnt Marwan die Audienz: „Wir müssen aufpassen, dass wenn unsere Kinder eines Tages Macht haben, sie nicht dasselbe machen worunter wir heute leiden.“

Verfassungsschutz verhindert Beamtenlaufbahn

Der Islam sei seit 20 Jahren selbst Zielgruppe von Diskriminierung und als gläubiger Muslim spüre man diesen auch mal am eigenen Leib. Marwan war sogar Opfer von massiver staatlicher Diskriminierung. Als er vor zehn Jahren das Lehreramt bekleiden wollte, verhinderte das der deutsche Verfassungsschutz. Der Grund war anscheinend seine aktive Mitgliedschaft in der Moschee Islamisches Gemeindezentrum (IGZ), wo Marwan seit Kindesbeinen an spielte und lernte. In der späteren Gerichtsverhandlung wollte sich Marwan nicht von seiner Moschee distanzieren und nahm somit in Kauf, dass ihm die Beamtenlaufbahn verwehrt wird.

Marwan erzählt mir, dass er sein Rednerhandwerk beim IGZ gelernt und uns heute eigentlich auch nur das gesagt hat, was bereits vor Jahren Bestandteil der Predigten im IGZ war. Und ich frage mich nun, nach welchen Kriterien der Verfassungsschutz das im Grundgesetz verankerte Recht auf freie Berufswahl bei ihm gleich nochmal beschnitten hat?

Es würde bereits ausreichen Mitglied oder Amtsträger beim Milli Görüs zu sein um die Sicherheitsprüfung für die deutsche Staatsbürgerschaft oder die Beamtenlaufbahn nicht zu bestehen, ergänzt Marwan. Er verstehe die Logik des deutschen Rechtsstaates in diesem Punkt nicht: „Wie sollen wir unserer Jugend die wahren Inhalte des Islam beibringen und sie vor Radikalisierung und Straftaten schützen, wenn sie Angst haben müssen, benachteiligt zu werden sobald sie hierher kommen?“

So ist zu hoffen, dass jede Religion die große Kraft des Glaubens dazu nutzt, um das Beste in den Menschen hervorzubringen sowie Toleranz und Solidarität unter den Menschen zu stärken. Die Behörden dürfen nicht vergessen, dass Rassismus und Diskriminierung unvereinbar sind mit Demokratie und deshalb muss jede und jeder vor Diskriminierung geschützt werden auch vonseiten des Staates. Daran soll uns die internationale Woche gegen Rassismus erinnern.