Die anstehenden politischen Wahlen in Griechenland könnten ein Wendepunkt sein, nicht nur für Griechenland, sondern auch für ganz Europa. Wir sprachen mit Marianella Kloka, einem griechischen Mitglied der internationalen Organisation Welt ohne Krieg und Gewalt über die möglichen Konsequenzen.

Was denkst Du über die nächsten Wahlen und den möglichen Sieg von Syriza?

Nun, zuerst einmal ist es notwendig, Euren Lesern zu sagen, dass es keine “politische Stabilität” gibt, was sich schon an der Tatsache zeigt, dass in Griechenland schon wieder Wahlen abgehalten werden. Seit 2009 haben wir die Regierung sechsmal gewechselt (eingeschlossen die Regierungsneubildungen). Wir gewöhnen uns also an Veränderung, wenn ich das so ausdrücken darf. Außerdem ist die Mehrheit der Griechen mit den existierenden Regelungen nicht im geringsten einverstanden, daher ist es gut, zur Wahl zu gehen. Persönlich wünschte ich, wir könnten über alle wichtigen Maßnahmen abstimmen (auch mithilfe von Bürgerentscheiden), wie den Verkauf von griechischem Eigentum, Regelungen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Gesundheits- und Bildungs-„Reformen“, neue Waffen, um unsere Grenzen zu „beschützen“, FRONTEX- und Migrationsregelungen, etc. Ich denke, wir haben die Technologie, um direkte Demokratie in Europa auszuüben. Natürlich mag die herrschende Regierung, die mehr als 150 Gesetze ohne jede Diskussion, nicht einmal im Parlament, verabschiedet hat, das nicht.

Syriza ist im Moment eine Art Hoffnung für viele Menschen. Natürlich hat sich ihre Botschaft in den letzten Jahren verändert und ist jetzt weniger scharf. Das kann jeder feststellen, der zu politischen Parteien Distanz hält. Aber ich denke, es gibt nichts Schlimmeres als die jetzige Regierung (und die Parteien, die sie stützen), daher ist in dieser politischen Arena Syriza eine Option. Zumindest bis sie sich (durch Regieren) als keine erwiesen hat. Ich gebe zu, dass die ersten Resultate ihrer Regierung nach den lokalen Wahlen im Mai, in welchen Syriza viele Distrikte in Attika übernommen hat, ermutigend sind.

Wenn Syriza die Wahlen gewinnt, welche Art Dialog wird sie führen mit der Troika?

Nur Syriza weiß das. Ich kann mir nur wünsche, dass Syriza starke Verbündete haben wird, wenigstens im Süden Europas und alle zur Verfügung stehenden „Waffen“ benutzen wird.

Gibt es Alternativen, die von den Massenmedien ignoriert werden?

Von meinem Standpunkt aus haben wir in den Jahrzehnten, die der griechischen Diktatur folgten, einen gähnenden Abgrund gesehen zwischen der Regierung und den Bürgern. Insofern als sie uns eine bessere Zukunft, Jobs, mehr Geld und höhere Einkommen versprachen und dies teilweise auch passierte. Also überliessen wir törichterweise den Parteien das Regieren, ohne jede ernsthafte Einflussnahme bei sozialen und politischen Themen und beschäftigten uns mit der Jagd nach besseren Bedingungen für unser persönliches Leben. Heutzutage gibt es eine große soziale Bewegung, welche angefangen hat, alternative Wege der Existenz zu erschaffen, an der Basis unserer Gesellschaft, basierend auf Solidarität und aktiver Gewaltlosigkeit. Wir haben ein paar erste Aktivitäten gesehen, die auf Praktiken direkter Demokratie, Boykotts, Austausch von Waren und Dienstleistungen basieren; der Aufbau von alternativen Informationswegen, sogar einige Aktionen auf dem Gebiet des zivilen Ungehorsams. Diese Beispiele sind klein, aber sie tauchen nicht nur in Griechenland auf. Und vor allem werden sie komplett von den Massenmedien ignoriert. Ich denke, dass eine der Herausforderungen für Syriza sein wird, inwieweit die Partei fähig ist, diesen sozialen Bewegungen zuzuhören und sich von ihnen leiten zu lassen.

Ist ein Anwachsen der Neo-Nazi Bewegung wahrscheinlich?

Der Kern der Führerschaft dieser Partei (Goldene Morgenröte) ist jetzt im Gefängnis, das macht ihrer Bewegung zu schaffen. Welt ohne Krieg und Gewalt ist in einem Bündnis zusammen mit 50 weiteren Organisationen, welches versucht, die gewalttätigen Attacken gegen Migranten und andere gefährdete Gruppen, in einem jährlichen Bericht zu protokollieren. Es scheint, es gab 2014 weniger gewalttätige Angriffe, allerdings wird der endgültige Bericht erst Ende nächsten Monats veröffentlicht werden. In historischen Momenten, in welchen Menschen total orientierungslos sind und allen Stolz und Würde verlieren, gibt es einige dunkle Bewegungen, die wachsen. Bei den letzten Wahlen blieben die Neo-Nazis jedoch auf denselben oder in einigen Fällen niedrigeren Prozentzahlen, das ist zumindest ermutigend.

Wie ist momentan die soziale Situation?

27 % ist die offizielle Arbeitslosenrate; Das heisst, dass von vier Personen eine ohne Arbeit ist. Bei den Jüngeren erreichen wir Raten von 60 – 65 % Arbeitslosigkeit. Die griechische Abwanderungswelle wird immer größer. Mehr und mehr Junge verlassen Griechenland nach anderen europäischen Ländern, sogar nach Kanada, USA oder Australien. Vor einigen Monaten war errechnet worden, dass etwa ein Drittel der Bevölkerung keine Gesundheitsversicherung hat. Neue Maßnahmen waren ergriffen worden im Rahmen der so genannten „Gesundheitsreform“ und für viele medizinische Untersuchungen und Behandlungen müssen die Menschen etwas dazu zahlen, manchmal bis zu 25 %. Einige Krebspatienten-Initiativen haben angefangen, um Spenden zu bitten, um den Zugang zur Medizin zu sichern und der damalige Gesundheitsminister hat ihnen zu diesem verzweifelten Vorstoß auch noch applaudiert. Nach dem statistischen Amt von Griechenland, betrugen die Budgeteinsparungen im Gesundheitssektor bis zu 25 % in allen Krisenjahren, eine Prozentzahl, die vor allem die öffentliche Gesundheitsversorgung betrifft. Der neue Etat des Gesundheitssektors in 2015 – kürzlich verabschiedet vom Parlament – sieht mehr Einsparungen vor, die den Prozentsatz des Gesundheitsetats am Gesamthaushalt auf 6 % reduziert. Natürlich gibt es keine „Erfolgsgeschichte“. Die Menschen sind immer noch auf Minimalstandards wegen des so genannten Familiennetzwerkes. Aber diese Rettungsweste erreicht langsam ihre Grenzen. Wir beobachten den Zerfall des Sozialstaates und jedes Jahr sind die Konsequenzen tiefer und größer.

Was passierte 2013 als der Premierminister Samaras plötzlich die öffentlichen Fernseh- und Radioanstalten schloss?

Nun, das öffentliche Fernsehen kämpfte immer darum, nicht der Regierungslinie zu folgen, manchmal erfolgreich, manchmal nicht. Das öffentliche Fernsehen auszuschalten, war ein echter Schock für die griechische Bevölkerung, auch wenn wir sagen können, dass einige Reformen notwendig waren, hatte dies aber sicherlich keine Priorität. Heute ist es offensichtlich, dass dies eine deutliche politische Geste war, um den neuen öffentlichen Sender (Nerit) besser manipulieren zu können. Von allen Nachrichten- und Rundfunksendern wird Angst verbreitet. Die Weigerung, die Rede vom Syriza-Chef Tsipras bei der HELEXPO 2014 zu senden und das gestellte Interview mit Premierminister Samaras in der neuen öffentlichen TV Show zeigen, dass es so etwas wie öffentliches Fernsehen und öffentliche Medien in Griechenland im Moment nicht mehr gibt.

Was könnte eine Antwort auf die Krise sein?

Das Wort “Krise” mag aus dem Griechischen stammen, aber es ist nichts, was wir momentan nur in Griechenland erfahren. Krise ist normalerweise eine gute Sache. Es ist ein Wendepunkt; Menschen verlieren Glauben an die existierenden Formen und Institutionen und suchen nach alternativen Antworten. Dieser Zustand macht die Menschen aktiver und kreativer. Als Beispiel, während in Griechenland und anderen europäischen Ländern die Menschen mehr Stunden arbeiten für weniger Bezahlung, während die Steuerpolitik verrückt spielt und Menschen mit der Angst leben, gekündigt zu werden, experimentiert der Bürgermeister von Göteborg in Schweden mit einem alternativen System der Arbeit in den Behörden, indem er Menschen nur sechs Stunden arbeiten läßt, mit derselben Bezahlung wie für acht Stunden. Einige Beispiele von Misch-Ökonomien, die in einigen Ländern eingeführt wurden, sind auch gute Zeichen. Manche Menschen entsorgen ihre Fernseher und holen sich ihre Informationen durch ausgewählte alternative Internetmedien.

Wir müssen uns verändern. Und wir müssen vor Veränderung auch keine Angst haben. Nationen und Bürger müssen nicht durch Banken und Märkte oder Währungszonen kontrolliert werden. Das Versagen dieses Systems ist bewiesen dadurch, dass es Millionen von Menschen zurück gelassen hat. Wir müssen mehr in Selbstversorgung, aber auch in gegenseitige Unterstützung und Solidarität investieren. Wir müssen globale Herausforderungen angehen wie Armut, Klimawandel, alternative Energieressourcen, Beendigung militärischer Konflikte, Beendigung aller Formen von Gewalt und für globalen Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung arbeiten. Um das zu tun, müssen wir auch die Wahrnehmung, die wir von Menschen (in Ost und West) haben verändern und mehr wertschätzen, zu was wir fähig sind, um unsere Bedingungen zu verbessern. Die Menschheit ist an einer Kreuzung. Früher oder später werden wir uns in eine angepasstere Richtung bewegen müssen, welche, sagen wir, uns unserem Schicksal näher bringt.