Juana Kuante ist Stammesführerin der Mapuche-Gemeinde Pitriuco und wurde für drei Wochen von El tentempié e.V. nach Deutschland eingeladen, um auf die problematische Situation der Mapuche-Gemeinden aufmerksam zu machen. Der Energieriese Empresa Eléctrica Pilmaiquén S.A. plant den Bau mehrerer Stauseen, drei davon im Río Pilmaiquén. Für den Bau des Stausees würde ein 18 km² großes Gebiet überflutet werden, in dem sich auch die Kultstätte der Mapuche Williche, Ngen Mapu Kintuante, befindet.

Der Bau des Staudammes wird einen heiligen Ort zerstören, der für die Mapuche-Gemeinschaft von großer kultureller und spiritueller Bedeutung ist. Zu diesem heiligen Ort gehören der Fluss Pilmaiken sowie zeremonielle Orte und Friedhöfe. Die Gemeinschaften und ihre Sprecher/innen, die gegen die Bebauung sind, haben politische Verfolgung und Kriminalisierung seitens des chilenischen Staates erfahren. Im Januar 2013 wurden 6 comuneros (Mitglieder der Mapuche-Gemeinschaft) verhaftet, unter ihnen die Machi (Heilerin) Millaray Huichailaf.

Etwa 35 Personen fanden sich ins Forschungs- und  Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika in Berlin ein, sahen sich den 45-minütigen Dokumentarfilm an und hörten Juana Kuante aufmerksam zu. Anfangs spricht sie sehr schnell, denn es gäbe viel zu erzählen und die Zeit sei kurz, sagt sie. Ihr und dem Organisationsduo von El tentempié e.V., Pamela und Marta, sieht man die Strapazen dieser Rundreise an. Juana spricht sehr konzentriert, innerlich zentriert und sie sucht immer wieder den Blickkontakt zu den Zuhörenden. Man spürt in ihren Worten Entschlossenheit und viel Kraft.

Es geht um viel, um die Zukunft ihres Stammes und vieler anderen, vielleicht geht es sogar um das Überleben der Mapuche-Kultur als Ganzes.

„Wir sind keine Hippies und auch keine Mystiker, wir sind eine sehr alte Zivilisation. Wenn wir diesen heiligen Ort verlassen müssen, dann stirbt unser Stamm“, sagt sie. Der Fluss an dem sie leben, ist der Fluss des Lebens und der Widergeburt. Wenn der Fluss versiegt, kann weder der Lonka (politisches und spirituelles Oberhaupt) noch die Machi (Heilerin) wiedergeboren werden. Außerdem würde der Stamm seine Schutzgeister verlieren, also spirituell „austrocknen“. Die Folgen sind andernorts bekannt: Depression, Alkoholismus, Aussterben der Traditionen und schließlich das Verschwinden des Stammes. „Die Natur, die Flüsse, sie atmen, denken, geben Wissen weiter, sie sprechen zu uns“, erklärt Juana weiter. „Die Mapuche haben eine andere Art, eine andere Sicht der Natur. Das nennt sich Buen Vivir (Gutes Leben), es gibt Regeln, wie man sich mit der Natur in Verbindung setzt. Wir versuchen das Land und unsere Kultur zu verteidigen. Wir fühlen uns bedroht, das tiefste und das wichtigste wird verletzt.“ Ihre Worte durchdringen einen, man spürt, was sie meint.

Für die Pitriuco-Gemeinde bildet die natürliche, soziale und spirituelle Welt eine untrennbare Einheit. Selbstverständlich wäre die Tatsache, dass sie seit Tausenden von Jahren dort leben, Generationen ihrer Vorfahren dort begraben liegen, und dass sie dieses Land und die Natur lieben, bereits Grund genug auf die Unantastbarkeit dieses Gebietes zu bestehen. Aber hier geht es noch um weit mehr:  den potentiellen Verlust ihrer spirituellen Quelle, also ihrer Verbindung zum Heiligen. Diese Verbindung ist bei jedem Wort, das sie sagt, spürbar und so proklamiert sie das Recht auf Spiritualität.

Sie spricht auch von der Unterdrückung, angefangen durch die spanische Conquista, dem Leiden durch die christliche Intervention, und über die Angst während der Militärdiktatur. Sie spricht von einer de facto Besetzung ihres Territoriums durch den chilenischen Staat, repräsentiert durch das chilenische Heer. Sie beklagt, dass es keine Gerechtigkeit gibt, sie verfolgt und wie Terroristen behandelt würden.

Die chilenische Präsidentin Michelle Bachelet war im Oktober dieses Jahres auf Staatsbesuch in Deutschland, um Werbung für die sozialen Reformen zu machen, die den jungen Chilenen bessere Zukunftschancen eröffnen soll, und um Investoren für die umfangreichen Bergbau- und Energieerzeugungsprojekte zu finden. Chile ist Deutschlands größter Rohstofflieferant. Bei solchen Gelegenheiten zeigt die Präsidentin gerne ihr soziales Gesicht – auch gegenüber den indigenen Gruppen. Die Realität für die Mapuche sieht in Chile allerdings anders aus.

Dies liegt auch an der Macht und Willkür der transnationalen Unternehmen, die in ganz Lateinamerika ihr Unwesen treiben. Die Mapuche hätten zwar bis jetzt noch Glück gehabt, dass das Wasser in ihrem Gebiet noch sauber ist, während es in anderen Regionen, vor allem im Norden, durch den hemmungslosen Bergbau bereits vergiftet ist. Doch nun stehe ihre gesamte Existenz auf dem Spiel. Juana Kuante weist zuletzt noch auf die große Biodiversität in ihrer Heimat hin, die durch die Mapuche geschützt wird und die durch den Bau des Stausees in Gefahr ist. .

Eigentlich wollte sie nicht auf eine solche Reise gehen. Sie wollte die heilige Stätte und ihren Stamm nicht alleine lassen. Sie macht sich sorgen, was jetzt passieren könnte, wenn niemand dort ist. Sie sei aber froh, dass sie sich dazu überreden lassen habe. Durch die Reise in Europa sieht sie vieles klarer und werde jetzt mit noch mehr Kraft kämpfen. In zwei Tagen reist sie wieder zurück nach Chile und bittet uns um Unterstützung. Hilfe, um Druck auszuüben, zu schreiben, zu übersetzen, im Internet zu recherchieren, und Geld zu sammeln für die Aktionen. Kurzum: Unterstützung, um das Bauprojekt zu stoppen.

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