Die Bundesregierung und ein führender Politiker der Opposition billigen den Putsch in Bolivien. Der von der Armeeführung erzwungene Rücktritt des gewählten Präsidenten Evo Morales sei ein „wichtiger Schritt hin zu einer friedlichen Lösung“, behauptet ein Berliner Regierungssprecher. Der außenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag urteilt, die Militärs hätten „die richtige Entscheidung getroffen“.

Morales hatte, um Blutvergießen zu vermeiden, nach einer Meuterei der Polizei und einer ultimativen Drohung des Armeechefs sein Amt aufgegeben. Treibende Kräfte des Umsturzes sind vor allem weiße, wohlhabende Kreise aus dem bolivianischen Tiefland, deren Politiker zum Teil mit parteinahen deutschen Stiftungen kooperieren; einer von ihnen ist als Übergangspräsident im Gespräch. Vom Umsturz betroffen ist hingegen vor allem die indigene Bevölkerung, von der ein erheblicher Teil erst durch Morales‘ Maßnahmen aus bitterster Armut befreit wurde. Entwicklungen, die jüngst die Stellung des Präsidenten schwächten, wurden auch durch ein deutsches Unternehmen verstärkt.

Staatsstreich in Bolivien

Dem Rücktritt des bolivianischen Präsidenten Evo Morales am Sonntag war zunächst eine Gewaltwelle vorausgegangen, in deren Verlauf staatliche Rundfunk- und Fernsehsender von Regierungsgegnern besetzt, Amtsträger – so etwa eine Bürgermeisterin einer Kleinstadt – angegriffen und in aller Öffentlichkeit misshandelt sowie Regierungsmitglieder und deren Familienangehörige bedroht und tätlich angegriffen worden waren. Die Sicherheitsbehörden schritten nicht ein. Vielmehr meuterte die Polizei in Städten wie etwa Santa Cruz, Sucre und Cochabamba. Die Armeeführung forderte daraufhin Morales – formal nur als „Vorschlag“ formuliert, der Sache nach aber ultimativ – zum Abdanken auf.[1] Morales gab dem Druck schließlich nach und reichte, um Blutvergießen zu vermeiden, seinen Rücktritt ein.

„Das Militär hatte recht“

International trifft das Ereignis in vielen Ländern auf scharfen Protest. Scharfe Kritik übte unter anderem der designierte argentinische Präsident Alberto Fernández, der den Umsturz ausdrücklich als Putsch einstufte.[2] Die spanische Regierung verurteilte die Intervention der bolivianischen Militärs.[3] Die Bundesregierung hingegen billigt den Staatsstreich. Der erzwungene Rücktritt des Präsidenten sei ein „wichtiger Schritt hin zu einer friedlichen Lösung“, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert, der sich hartnäckig weigerte, sich von den Handlungen der bolivianischen Militärs zu distanzieren.[4] Ausdrücklich befürwortet wird der Putsch in der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Deren außenpolitischer Sprecher Omid Nouripour äußerte gestern, „das Militär“ habe „die richtige Entscheidung getroffen, sich auf die Seite der Demonstrierenden zu stellen“.[5]

Treibende Kräfte

Treibende Kräfte des Umsturzes sind vor allem weitgehend weiße, wohlhabende Kreise aus dem bolivianischen Tiefland – nicht zuletzt Großgrundbesitzer -, denen die Umverteilung zugunsten der verarmten indigenen Bevölkerung insbesondere im Hochland wie auch die Verstaatlichung wichtiger Bodenschätze seit je ein Dorn im Auge war; beides hatte Morales seit dem Beginn seiner ersten Amtszeit im Januar 2006 systematisch und mit Erfolg vorangetrieben. Dies hatte ihm zwar den – teilweise rassistisch verschärften – Hass der Eliten insbesondere aus der Tieflandmetropole Santa Cruz eingebracht, ihm aber lange Zeit bei Wahlen sichere absolute Mehrheiten dank der indigenen Bevölkerung garantiert. Dass sich beim jüngsten Urnengang gewisse Einbrüche zeigten, liegt auch daran, dass die steigende Ausbeutung der Rohstoffe zwecks Förderung der Wirtschaft zu Widerständen in wachsenden Teilen der indigenen Bewegungen führte, denen die Regierung von Präsident Morales ihre Macht verdankte.[6] Dazu hat zuletzt auch ein deutsches Unternehmen beigetragen, das am Abbau der riesigen bolivianischen Lithiumvorräte beteiligt wurde, dann aber die Gemeinden in der Förderregion nicht – wie geplant – an den Erlösen beteiligte (german-foreign-policy.com berichtete [7]). Daraufhin regte sich Protest, der sich auch gegen den Präsidenten richtete. Die Regierung hat erst vor wenigen Tagen nachgegeben und der deutschen Firma die Fördererlaubnis entzogen [8] – zu spät, um den Unmut zu mildern.

Aus Deutschland unterstützt

Wenngleich Bolivien nicht zu den Schwerpunktländern der deutschen Lateinamerika-Aktivitäten gehört, unterhält Berlin dennoch gute Beziehungen zu den weißen, relativ wohlhabenden Eliten in Santa Cruz. Eine zentrale Position nimmt dabei gegenwärtig Óscar Ortiz Antelo ein, ein früherer Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer in Santa Cruz, der vor Jahren in führender Position bei Andina gearbeitet hatte, der bolivianischen Tochterfirma des spanischen Ölkonzerns Repsol YPF. Ortiz hat seine Heimatstadt zunächst von 2006 bis 2010, dann erneut ab 2015 im bolivianischen Senat vertreten, wo er von 2008 bis 2010 das Amt des Senatspräsidenten innehatte. Zugleich ist er als Generalsekretär der Partei Movimiento Demócrata Social („Demócratas“) tätig und amtiert als Präsident des Dachverbandes Unión de Partidos Latinoamericanos (UPLA), dem führende Rechtsparteien des Kontinents angehören, darunter auch die Renovación Nacional des chilenischen Präsidenten Sebastián Piñera und der Centro Democrático des kolumbianischen Präsidenten Iván Duque. Die UPLA wird bereits seit dem Jahr 1992 von der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung unterstützt. Das Geld dafür kommt aus dem Auswärtigen Amt.

Berliner Netzwerke

Ortiz ist, um Kontakte zu knüpfen und zu pflegen, zuweilen nach Berlin gereist. Bereits im Jahr 2008 hatte er sich – damals als Präsident des bolivianischen Senats – auf Einladung einer „Stiftung für Grundwerte und Völkerverständigung“ in der deutschen Hauptstadt aufgehalten; der Stiftung gehörten mehrere ehemalige Bundesminister sowie ein Legationsrat aus dem Auswärtigen Amt an.[9] Im November 2016 besuchte er gemeinsam mit einer UPLA-Delegation Brüssel sowie Berlin, wo er nicht nur bei der Hanns-Seidel-Stiftung Gespräche führte, sondern auch mit dem Leiter der Abteilung für strategische Planung im Entwicklungsministerium, Michael Krake, und mit dem Leiter des Andenstaaten-Referats im Auswärtigen Amt, Daniel Kriener, zusammentraf. Kriener ist heute Botschafter in Venezuela und wurde im März dieses Jahres wegen offener Einmischung in den dortigen Putschversuch zur persona non grata erklärt.[10] Ortiz hält darüber hinaus Kontakt zu der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, deren Netzwerk RELIAL (Red Liberal de América Latina) seine Fundación Nueva Democracia angehört. Zuletzt hielt sich Ortiz ausweislich eines Berichts auf seiner Facebook-Seite im April in Berlin auf, um dort Bundestagsabgeordnete und Regierungsmitarbeiter zu treffen. Konkreter Hintergrund war seine Präsidentschaftskandidatur im Namen der Alianza Bolivia Dice No („Bolivien sagt nein“).

Als Nummer drei an die Spitze

Letztlich musste sich Ortiz in der Wahl mit 4,24 Prozent der Stimmen geschlagen geben. Dennoch ist er als künftiger Machthaber in La Paz im Gespräch. So heißt es, er sei „die einzige Person“, die genügend Fähigkeiten und Kenntnisse dafür aufweise.[11] Nach dem Rücktritt des Präsidenten, des Vizepräsidenten und der Senatspräsidentin in den vergangenen Tagen könne Senator Ortiz zum neuen Senatspräsidenten gewählt werden. Dadurch rückte er – als Nummer drei der Staatshierarchie – in der aktuellen Lage automatisch zum Staatsoberhaupt auf.

Anschlagspläne

Vorfeldorganisationen der deutschen Außenpolitik hatten zeitweise auch Berührungspunkte zum Comité pro Santa Cruz, einem rechtslastigen Zusammenschluss aus Boliviens Tieflandmetropole, dessen aktueller Präsident Fernando Camacho vergangene Woche am energischsten auf den Umsturz drang und sich an dessen Spitze zu setzen suchte. Von 2007 bis 2009 wurde das Comité pro Santa Cruz von Branko Marinković geführt, einem Großgrundbesitzer und Multimillionär [12], der zugleich als Sprecher einer Organisation namens Fundación Libertad y Democracia (Fulide) auftrat; diese wiederum gehörte bis zu ihrer Auflösung im Jahr 2009 dem RELIAL-Netzwerk der deutschen Naumann-Stiftung an. Marinković, Schnittstelle zwischen den Netzwerken der Berliner Außenpolitik und dem Comité pro Santa Cruz, wurde im Jahr 2009 auf der Grundlage mehrerer Zeugenaussagen von der bolivianischen Justiz beschuldigt, einem ehemaligen Kroatiensöldner und mehreren weiteren Europäern Geld für einen Mordanschlag auf Morales angeboten zu haben.[13] Marinković setzte sich daraufhin ins Ausland ab. Zuletzt befeuerte er von Brasilien aus Morales‘ Sturz, den sein Nachfolger an der Spitze des Comité pro Santa Cruz, Fernando Camacho, vor Ort vorantrieb. Er hat angekündigt, bei einem Regierungswechsel nach Bolivien zurückkehren zu wollen.[14]

[1] Golpe de Estado en Bolivia: Evo Morales renuncia a la Presidencia. lapoliticaonline.es 10.11.2019.
[2] „En Bolivia se ha consumado un golpe de Estado“. bolpress.com 10.11.2019.
[3] Esteban Villarejo: España condena la intervención de los militares en Bolivia. abc.es 11.11.2019.
[4] André Scheer: Solidarität mit Bolivien! junge Welt 12.11.2019.
[5] Historischer Moment in Bolivien. gruene-bundestag.de 11.11.2019.
[6] Thomas Guthmann: Nach der Wahl in Bolivien. npla.de 10.11.2019.
[7] S. dazu Protest gegen deutsche Rohstoffsicherung in Bolivien.
[8] Claus Hecking: Deutsches Lithium-Unternehmen ruft Altmaier zu Hilfe. spiegel.de 06.11.2019.
[9] S. dazu Spalte und herrsche.
[10] S. dazu Aufforderung zum Putsch (II).
[11] Bolivia tiene dos salidas a la crisis después de renuncia. opinion.com.bo 11.11.2019.
[12] Simon Romero: In Bolivia, a Croat and a Critic Is Cast in a Harsh Light. nytimes.com 26.09.2008.
[13] Prosecutor says Bolivian opposition backed plot. uk.reuters.com 05.05.2009.
[14] Cuatro exiliados anuncian su retorno luego de la caída de Evo. lavozdetarija.com 11.11.2019.

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