Das kolumbianische Musiker*innenduo Edson Velandia und Adriana Lizcano ist zum ersten Mal auf Europatour. In Berlin spielen sie an einem nasskalten Sonntagabend in der Panke im Wedding. Der Raum ist voll, es scheint, als sei ein großer Teil der kolumbianischen Community der Stadt zusammengekommen. Die Lieder werden laut und fröhlich mitgesungen, die Stimmung ist gelöst – ein Lichtblick im grauen Berliner Spätherbst.
Mit Humor und Satire erzählen Velandia und Lizcano in ihren Liedern von den Lebensrealitäten gesellschaftlich Ausgeschlossener: von Kleinbauern und -bäuerinnen, Studierenden, Guerillakämpfer*innen. Ihre Musik ist dezidiert links, durchzogen von scharfer Kapitalismuskritik und einer klaren Haltung gegenüber den politischen und sozialen Eliten Kolumbiens.
Über die Wurzeln der Probleme in Kolumbien und Lateinamerika sind sich beide einig. „Mir ist es wichtig, die wahren Verantwortlichen zu benennen“, sagt Adriana Lizcano am Tag nach dem Konzert bei einer Veranstaltung in Berlin. „Seit dem Moment, als die Kolonialmächte in unsere Gebiete eingedrungen sind, haben sie begonnen, alles zu zerstören, was wir hatten.“ Kolonialismus und seine Kontinuitäten bis in die Gegenwart sind zentrale Bezugspunkte ihrer Arbeit. Während der Europatour habe sie der enorme Energieverbrauch in Städten und Haushalten beeindruckt – gerade vor dem Hintergrund der Zerstörung, die multinationale und extraktivistische Unternehmen in Ländern wie Kolumbien anrichten. Ihr Appell an den Globalen Norden ist deutlich: „Versucht nicht, uns zu retten oder zu repräsentieren. Hört auf, alles zu verschlingen, alles auszubeuten und uns dafür die Schuld zu geben.“
Koloniale Kontinuitäten und die Wurzeln des Widerstands
Velandia und Lizcano stammen aus Piedecuesta im Departamento Santander im Nordosten Kolumbiens. Die ländliche, gebirgige Region prägt ihre Musik bis heute. Adriana Lizcano erzählt, sie sei mit der Befreiungstheologie aufgewachsen und habe dort ihren Zugang zur Musik gefunden. „Ich habe Musik und Kunst als Mittel kennengelernt, um soziales Gefüge aufzubauen“, sagt sie. In ihrem Viertel arbeiteten Claretianer-Priester, die nach der Befreiungstheologie wirkten und gemeinnützige Bildungs- und Kulturarbeit leisteten. Dort habe sie Musik als Form des Widerstands verstanden: Lieder über den Sturz der Unterdrücker, über eine gerechtere Behandlung von Frauen, über das Ende von Rassismus. Kunst, so Lizcano, sei immer Teil eines kollektiven Rituals gewesen.
Auch Edson Velandia wurde musikalisch von seiner Herkunft geprägt. „Ich wurde von einer Bewegung beeinflusst, die damals sehr lebendig war“, sagt er. Er spielte in der Blaskapelle von Piedecuesta, begann dort sein Musikstudium und beschäftigte sich parallel mit Theater, Poesie, Musik und Film. Beide nennen Pablus Gallinazo als wichtige Inspirationsquelle – einen der bekanntesten kolumbianischen Protestmusiker, ebenfalls aus Piedecuesta. „Er war einer der wenigen Musiker dieses Genres mit landesweiter Bedeutung – und er kam aus unserem Dorf“, sagt Velandia. Für Lizcano war seine Musik schon in der Kindheit präsent: „Mein Vater hat mir diese Lieder beigebracht. Sie erinnerten an Víctor Jara oder Alí Primera – direkte, revolutionäre Musik.“
Auch ihre eigene Arbeit lässt sich als zeitgenössische Protestmusik bezeichnen. Doch für Velandia greift dieser Begriff zu kurz: „Man nennt es Protestmusik, aber es ist nicht die Musik, die protestiert – es ist die Stadt, die Gemeinschaft, die Menschen.“ Ihre Rolle als Musiker*innen verstehen sie als vermittelnd. Musik sei eine kollektive Ausdrucksform, eine gemeinsame Sprache. „Als Künstler hat man die Aufgabe, ein gesellschaftliches Bedürfnis poetisch zu verwirklichen“, sagt Velandia. Sie stünden, so seine Worte, „im Dienst des Kollektivs“.
Piedecuesta: Herkunft, Befreiungstheologie und Protest
Musik ist dabei nur ein Teil ihrer Arbeit. In Piedecuesta haben sie eine Gemeinschaftsbibliothek mitgegründet und organisieren seit Jahren ein traditionelles Musikfestival. Dieses sei bewusst nicht als klassische Veranstaltung konzipiert, erklärt Velandia: „Künstler*innen und Publikum kommen zusammen, um sich über Musik, Kino und andere Ausdrucksformen auszutauschen.“ Ziel sei es, Räume für Begegnung und Kreativität zu schaffen.
Kunst solle kein Spektakel sein und nicht der Logik des Marktes folgen, davon sind beide überzeugt. Stattdessen solle sie Menschen zusammenbringen. In der Gemeinschaft sehen sie die eigentliche Kraft, um bestehende Verhältnisse zu verändern. „Um die Hoffnung nicht zu verlieren, müssen wir zusammen sein“, sagt Adriana Lizcano. „Das ist die größte Form von Widerstand.“
Landesweit bekannt wurde das Duo während der sozialen Revolte 2019 und 2020 in Kolumbien. Für Velandia war sie ein „Gemeinschaftsprojekt voller Kunst, Musik, Theater, Tanz und Worte“. Sie hätten gesungen und gesagt: „Das ist das Land, das wir wollen.“ Ihre Lieder begleiteten die Proteste, die maßgeblich dazu beitrugen, dass 2022 mit Gustavo Petro erstmals ein linker Präsident gewählt wurde. Nicht aus Glauben an einen Retter, betont Lizcano, sondern aus Vertrauen in eine breite Bewegung aus sozialen Organisationen, bäuerlichen und indigenen Gemeinschaften.
Gemeinschaft statt Spektakel
Velandia und Lizcano spielten auch bei Petros Amtseinführung 2022. Für Lizcano war sie sinnbildlich für den politischen Wandel: Delegationen aus Regionen, die zuvor nie vertreten gewesen seien, eine andere Sprache, weniger Rache, mehr Vision eines friedlichen Kolumbiens. Trotz aller Kritik an der Regierung sehen sie Veränderungen – in der Landumverteilung, im Kampf gegen Korruption, im veränderten Umgang der Armee mit der Zivilbevölkerung.
Dieses politische Projekt müsse weitergeführt werden, sind sie überzeugt. Deshalb unterstützen sie den progressiven Präsidentschaftskandidaten Iván Cepeda. Hoffnung sei keine Wahl, sagt Lizcano, sondern eine Haltung: „Du musst Hoffnung haben und daran glauben, dass sich etwas verändern kann.“ Velandia ergänzt: „Wir müssen dafür kämpfen, dass die Regierenden nicht korrupt oder kriminell sind. Und wir müssen weiter dort arbeiten, wo wir tatsächlich etwas verändern können: in den Gemeinden, in den Vierteln. Daran glauben wir.“
Ihr gemeinsames Album Panfletos könnt ihr hier hören. Und hier geht es zum Radiobeitrag.









