Jetzt, wo der NATO-Gipfel vom 24. bis 25. Juni in Den Haag näher rückt, stehen Europas 750 Millionen Menschen vor einer entscheidenden strategischen Entscheidung, die ihr Leben in den kommenden Jahren beeinflussen wird – und die weitreichende globale Auswirkungen haben wird.

Von John Ross

Die Politik, die in den letzten Jahren in Europa umgesetzt wurde, war in sozialer, wirtschaftlicher, politischer und militärischer Hinsicht katastrophal. Europa erlebt eine Verschlechterung der sozialen Bedingungen, in der Ukraine den größten Krieg seit 1945 und den massivsten Anstieg rechtsextremer autoritärer, rassistischer und fremdenfeindlicher Kräfte seit den Nazis in den 1930er Jahren.

Die Vorschläge für den NATO-Gipfel würden diese Situation noch verschlimmern. Die entscheidende Frage ist daher, ob Europa diesen zerstörerischen, katastrophalen Weg weitergehen oder eine Politik verfolgen wird, die einen Ausweg anbietet.

NATO-Generalsekretär Mark Rutte hat den 32 NATO-Mitgliedern vorgeschlagen, dass „die Zielsetzung des NATO-Gipfels … verbindliche Militärausgaben von 3,5 % sein sollten“ – eine 75-prozentige Steigerung gegenüber dem vorherigen Ziel von 2,0 % des BIP.

Trump fordert noch höhere Militärausgaben von 5% des BIP. Rutte öffnete dafür die Tür, indem er sich für eine Verpflichtung zu „Ausgaben von 1,5 % für Infrastruktur, Cybersicherheit und Ähnliches. Auch bis 2032 erreichbar,“ ausspricht. Die 3,5 % plus 1,5 % addieren sich zu Trumps 5 %.

Die gesellschaftlichen und politischen Folgen eines solchen Kurses sind bereits deutlich erkennbar. Die europäischen Volkswirtschaften stagnieren nahezu: Das jährliche Pro-Kopf-BIP-Wachstum der EU betrug von 2007 bis 2024 durchschnittlich weniger als 1 %. Der IWF geht etwas optimistisch davon aus, dass es bis 2030 lediglich um 1,3 Prozent steigen wird. Schon heute erleben Hunderte Millionen Menschen in Europa einen stagnierenden oder sinkenden Lebensstandard – bedingt durch soziale Ungleichheit und sinkende Sozialausgaben. Die Umlenkung von noch mehr Mitteln in die Militärausgaben, was bereits jetzt mit Kürzungen der Sozialausgaben einhergeht, um die Militärausgaben zu finanzieren, wird die Situation weiter verschlimmern.

Auch die politischen Konsequenzen liegen auf der Hand. Rechtsextreme und neofaschistische Kräfte werden weiter an Stärke gewinnen, indem sie die sich verschlechternden Bedingungen, die in Wirklichkeit durch Sparmaßnahmen und erhöhte Militärausgaben verursacht werden, ausnutzen und hierfür demagogisch Migranten und ethnischen und religiösen Minderheiten die Schuld zuweisen.

Die verheerenden Folgen für traditionelle linke und progressive Parteien, die diese Aufrüstungs- und Austeritätspolitik unterstützen oder umsetzen, sogar noch bevor sie die neue NATO-Aufrüstungspolitik unterstützen, sind in großen europäischen Ländern bereits sichtbar. Die SPD in Deutschland musste 2025 einen Stimmenverlust von 16 Prozent hinnehmen, den niedrigsten Stand seit 1887. Bei den letzten Wahlen, bei denen sie als eigenständige Partei angetreten war, gewann die Sozialistische Partei Frankreichs nur 6 Prozent. In Großbritannien liegt die Labour Party, die bei der letzten Wahl bereits eines der schlechtesten Ergebnisse seit den 1930er Jahren erzielte, nun in den Umfragen hinter der rechtsextremen Reform Party.

Im Gegensatz dazu haben linke Parteien, die sich gegen die Sparpolitik und die NATO-Politik ausgesprochen haben – La France Insoumise in Frankreich, Die Linke in Deutschland, die belgische Arbeiterpartei – ihre Stimmenanteile beibehalten oder deutlich gesteigert.

Diese katastrophalen Verluste traditioneller linker Parteien, die Krieg und Austerität unterstützt haben, ist vor dem Hintergrund des Aufstiegs rechtsextremer Parteien in ganz Europa äußerst gefährlich.

Der Grund für den Zusammenbruch der Unterstützung dieser Parteien liegt auf der Hand. Eine solche Politik greift den Lebensstandard der Bevölkerung an. Wenn Parteien, die sich als linke bezeichnen, weiterhin Sparpolitik und Aufrüstung unterstützen, wird sich dieser Trend des Niedergangs fortsetzen.

Der einzige Ausweg aus dieser Situation ist sowohl für die europäische Bevölkerung als auch für die Linke eine vollständige Kehrtwende hin zu einer Politik, die sozialen Fortschritt und wirtschaftliche Entwicklung in den Vordergrund stellt.

Nach dem Ende des Kalten Krieges hätte sich Europa auf die Förderung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und die Minimierung militärischer Spannungen und Ausgaben konzentrieren sollen. Dadurch wäre ein ausgeglichener Wirtschaftsraum entstanden, der dem der USA entspricht, mit einem starken Wachstumspotenzial durch die Kombination der westeuropäischen Produktion und Dienstleistungen mit der russischen Energie und den Rohstoffen. Was möglich war, zeigte in Asien die ASEAN, die auf einem Kontinent, der die schlimmsten Konflikte des Kalten Krieges, den Korea- und den Vietnamkrieg, erlitten hatte, durch die Konzentration auf wirtschaftliche Entwicklung und den Verzicht auf Militärblöcke zur am schnellsten wachsenden Wirtschaftsregion der Welt wurde.

Da ein wirtschaftlich kooperierendes Europa jedoch ein erfolgreicher Konkurrent der Vereinigten Staaten hätte sein können, verfolgten die US-Regierungen einen Weg, dies zu verhindern – vor allem durch die NATO-Osterweiterung, die in direktem Widerspruch zu den Versprechen der USA an den damaligen sowjetischen Ministerpräsidenten Gorbatschow erfolgte, dass die NATO nach der deutschen Wiedervereinigung keinen „Zentimeter“ nach Osten vorrücken würde. Stattdessen wurden in den Jahren 1999, 2004, 2009, 2017 und 2020 neue Länder in die NATO aufgenommen, und die Tür für die Aufnahme der Ukraine wurde absichtlich offen gelassen, was bekanntermaßen für Russland eine rote Linie darstellte, auf Grund der Nähe der Ukraine zu und ihrer Stellung als historischem Invasionsweg nach Russland.

Zahlreiche US-Osteuropa-Experten lehnten dies ab, angeführt von George Kennan, dem ursprünglichen Architekten der US-Strategie des Kalten Krieges, der davor warnte, dass die NATO-Erweiterung „der verhängnisvollste Fehler der amerikanischen Politik in der gesamten Ära nach dem Kalten Krieg“ wäre. Doch deren Warnungen wurden ignoriert, mit dem Ergebnis des in der Ukraine ausgebrochenen Krieges.

Jetzt fordert die NATO Aufrüstung und Kürzungen bei der sozialen Absicherung, um diesen Krieg zu finanzieren.

Gleichzeitig expandierten die NATO-Truppen außerhalb Europas, um an Kriegen im globalen Süden, in Afghanistan und Libyen teilzunehmen, gründeten zahlreiche Organisationen und Initiativen zur Vorbereitung von Interventionen im globalen Süden – wie etwa die Istanbul Cooperation Initiative, das Strategic Direction-South HUB, das Verbindungsbüro in Addis Abeba – und begannen, sich in den Pazifik auszudehnen – insofern als Japan, Australien, Neuseeland und Südkorea seit 2022 an jedem NATO-Gipfel teilnehmen. Eine solche NATO-Erweiterung würde Europa in noch mehr Konflikte verwickeln und zu weiteren Forderungen nach noch mehr Militärausgaben führen.

Was notwendig ist, ist das genaue Gegenteil – der Vorrang von sozialem Fortschritt und Investitionen in das Wirtschaftswachstum. Beides erfordert höhere Ausgaben und steht damit im direkten Gegensatz zu einer militärischen Aufrüstung.

Europas Bedarf an Sozialausgaben ist offensichtlich. Aber auch Europas Investitionen, der Schlüssel zum Wirtschaftswachstum, sind zusammengebrochen. In der EU haben sich die Investitionen nach jüngsten Daten unter Berücksichtigung der Abschreibungen (der Abnutzung vorhandener Produktionsmittel) von 7,4 % des BIP im Jahr 2007 auf nur noch 3,5 % halbiert. Internationale Vergleiche zeigen, dass dies lediglich für ein jährliches Wirtschaftswachstum von 1 % ausreicht.

Darüber hinaus drängen die USA nun auf eine weitegehende Politik, die Europa und seinen Bürgern schadet. Die USA haben Europa bereits enorm geschadet durch ihre bewusste Strategie, Westeuropa von der billigen Energiequelle aus Russland abzuschneiden, was durch den Ukraine-Krieg und die Sprengung der Nord-Stream-Pipeline erreicht wurde, wobei jeder, der sich ernsthaft mit der Sache beschäftigt, weiß, dass diese von den USA durchgeführt wurde.

Das Wall Street Journal berichtet nun, dass die USA eine „Zusage der EU-Staats- und Regierungschefs zur Verhängung neuer Zölle auf chinesische Industrien“ anstreben – was unweigerlich zu ähnlichen Vergeltungsmaßnahmen Chinas führen und der europäischen Wirtschaft schaden würde.

Gleichzeitig schlagen die USA Zölle auf europäische Exporte vor, gefolgt von der Einführung eines internationalen Handelssystems, das die äußerst unvollkommene WTO durch ein noch schlechteres System ersetzt, in welchem die USA einseitig über Zölle und Regeln entscheiden!

Die Menschen in Europa haben durch die Politik der USA bereits schwere Einbußen in ihrem Lebensstandard erlitten. Mehr können sie sich nicht leisten. Im Gegenteil, Europa sollte sich gleichzeitig mit der Ablehnung von Erhöhungen der Militärausgaben und Sozialkürzungen zu ihrer Finanzierung um den erneuten Zugang zu billiger Energie aus Russland bemühen und den Handel mit China im Rahmen einer Politik der wirtschaftlichen Erholung ausweiten.

Angesichts der katastrophalen Anträge für den NATO-Gipfel hat die Linke in ganz Europa begonnen, ihre Aktivitäten gegen die Erhöhung der Militärausgaben durch die Gründung von „Stop ReArm Europe“ zu koordinieren. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass alle Kräfte auf dem gesamten Kontinent, die sich gegen die Politik der NATO stellen, ihre Aktivitäten und ihre Zusammenarbeit weiter verstärken.

Der obige Artikel wurde für Globetrotter und No Cold War erstellt. Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Ulrich Karthaus vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!


John Ross ist Senior Fellow am Chongyang Institute for Financial Studies der Renmin University of China und Gewinner des höchsten chinesischen Preises für ausländische Schriftsteller, die über China schreiben, und für ausländische Experten, die in China arbeiten. Sein jüngstes Buch in englischer Sprache ist China’s Great Road. Er ist Mitglied des Organisationskomitees der internationalen Kampagne „No Cold War“. Zuvor war er Direktor für Wirtschaftspolitik des Bürgermeisters von London.