In den 1970er-Jahren setzte die mexikanische Landwirtschaftspolitik – internationalen Vorbildern folgend – auf Expansion: Wälder wurden gerodet, um Platz für riesige Weideflächen zu schaffen. Die industrielle Viehzucht galt als Motor wirtschaftlicher Entwicklung. Heute wird sie als einer der Hauptverursacher der Klimakrise gesehen. Fünf Jahrzehnte später wächst in Veracruz eine Bewegung, die diesen Kurs umkehrt. Eine neue Generation von Viehzüchter*innen sucht Wege, die Tierhaltung mit dem Schutz der Natur zu vereinen. Erste Erfolge sind sichtbar: Auf Flächen, die einst kahl waren, wachsen wieder Wälder, Vögel kehren zurück, Böden erholen sich. Doch der Zugang zu diesen nachhaltigen Formen der Landwirtschaft bleibt bisher wenigen vorbehalten.
Vom Weideland zum Ökosystem
Eine der Pionierinnen ist Erika Navarro Téllez. Die 58-Jährige führt den Rancho Casa de Piedra in den Hügeln von Veracruz. Wo früher nur Gras wuchs, sprießen heute Kaffee, Kakao, Obst, Kräuter und Gemüse; Schweine und Hühner leben zwischen Obstbäumen, und im Schatten alter Bäume brummen Insekten. Als Navarro und ihr Mann den Hof 2001 kauften, war das Land ausgelaugt. Sie begannen, einfach irgendetwas zu pflanzen – und lernten mit der Zeit, welche Pflanzen sich gegenseitig ergänzen. Heute sind sieben der 26 Hektar wiederaufgeforstet. Der Hof funktioniert als vielfältiges System: Hühner picken Schädlinge von Kräutern, Vieh liefert natürlichen Dünger, Bäume schützen kleinere Pflanzen, die wiederum den Boden bereichern. Navarro war früher Erzieherin in der Stadt. Umweltbildung war für sie lange Theorie – bis sie beschloss, selbst etwas zu verändern. Aus einem Neujahrsvorsatz wurde ein Lebensprojekt. „Natürlich wäre es gut, wenn wir uns alle vegetarisch ernähren würden“, sagt sie, „aber das wird nicht für alle möglich sein. Also wollten wir zeigen, dass Tierhaltung auch anders gehen kann.“
Alte Praktiken neu entdeckt
Viele Methoden auf dem Rancho sind inspiriert von traditionellen Kenntnissen der Region. Navarros Großeltern pflanzten noch Bananen, Kakao und Gemüse im eigenen Garten, hielten Schweine und Hühner für den Eigenbedarf. Diese Vielfalt verschwand mit dem Boom der Viehzucht – nun kehrt sie zurück. „Ich nehme den Faden wieder auf“, sagt Navarro, „und sehe, wie sich alles erholt.“ Sie ist Teil einer Gruppe von Viehwirtinnen, die zum „Netzwerk für nachhaltige Viehzucht“ gehört. In diesem Zusammenschluss finden Frauen Unterstützung und Austausch – besonders in einer Branche, in der Viehzucht traditionell als Männerarbeit gilt. „Viele hielten mich für verrückt“, erzählt Navarro. „Aber wenn die Leute sehen, was wir hier geschaffen haben, beginnt auch der Respekt.“ Für sie steht dabei nicht der Ertrag im Vordergrund, sondern die Fürsorge: für Boden, Wasser, Tiere und Menschen.
Zwei Schwestern, ein Rancho – und der Wille zum Wandel
Auch Valentina und Valeria Vega teilen diese Vision. Die beiden Schwestern kehrten nach Jahren in der Stadt auf den familiären Rancho Los Amigos in der Region Los Tuxtlas zurück. Schon ihr Vater widersetzte sich in den 1970ern dem staatlichen Programm zur Abholzung. Er wusste, dass Viehzucht allein kein stabiles Einkommen garantiert – Krankheiten oder Marktpreise konnten ganze Existenzen zerstören, wie Valentina im Interview erzählt. Die 40 Jahre alte Ingenieurin lernte schon als Kind, Gemüse zu säen. Heute setzen die Schwestern auf Diversität: Sie pflanzen Obst und Gemüse, halten Vieh in kleinerem Maßstab und verdienen zusätzlich Geld mit nachhaltigem Tourismus. Besucher*innen kommen, um von ihnen zu lernen – oder einfach, um die wiederaufgeforstete Landschaft zu genießen. Unterstützt werden sie dabei von Forscherinnen der UNAM, der größten Universität Mexikos, und vom staatlichen Wissenschaftsrat CONAHCYT. Das Projekt untersucht, wie Viehzucht nachhaltiger gestaltet werden kann und schafft Räume für Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Praxis. Als die Schwestern Vega das Land übernahmen, stießen sie zunächst auf Widerstände. „Da kamen wir zwei Frauen, die alles anders machen wollten – ohne Chemie, mit Aufforstung, mit anderen Methoden. Viele hielten uns für naive Mädchen“, erinnert sich Valeria. Doch ihr Erfolg spricht für sich: Auf ihrem Land wachsen wieder Mangroven, die einst verschwunden waren. Das Wasser ist klarer, Vögel, Fische und sogar vom Aussterben bedrohte endemische Spezies wie der Brüllaffe kehren zurück.
Nachhaltigkeit kostet – aber sie trägt Früchte
Sowohl Navarro als auch die Vegas wissen: Ohne Startkapital und lange Lernphasen wäre ihr Wandel kaum möglich gewesen. „Es braucht Subventionen“, sagt Valeria Vega. „Unser Lernprozess war teuer und zeitaufwendig. Wenn der Staat mehr unterstützen würde, könnten es viele andere schaffen.“ Auch Erika Navarro finanziert ihren Hof teilweise durch Bildungsprojekte – ihre landwirtschaftlichen Produkte allein reichen nicht zum Leben. Dennoch ist sie überzeugt, dass sich die Mühe lohnt.
Eine Frage des Zugangs
Die Geschichten dieser Frauen zeigen, dass nachhaltige Viehzucht in Mexiko möglich ist – aber strukturelle Unterstützung fehlt. Der Zugang zu Land bleibt schwierig, staatliche Förderungen fließen meist weiterhin in industrielle Großbetriebe. Gleichzeitig beweisen die Pionierinnen, dass Wandel im Kleinen beginnt: mit Geduld, Kooperation und Liebe zum Land. Wenn Valeria Vega heute in den wiederbewaldeten Mangroven sitzt, mit einer Tasse ihres eigenen Kaffees in der Hand, fasst sie zusammen:
„Das Wichtigste ist, weiterzulernen – und den Prozess zu genießen. Ich genieße dieses Leben wirklich sehr.“
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