Das virale Video aus Belutschistan, in dem eine Frau in der Wüste hingerichtet wurde, weil sie gegen Stammesnormen verstoßen hatte, hat die brutale Realität der starren Gesellschaftsstrukturen Pakistans einmal mehr offenbart. Drei Monate nach der Tat zwang die öffentliche Empörung den Staat schließlich zum Handeln. Dies machte auch deutlich, wie tief Ehrenverbrechen in der Machtdynamik von Stammes- und Feudalsystemen verwurzelt sind.
Von Irshad Ahmad Mughal und Dr. Qurat-Al-Ain Rana
Doch jenseits des Schreckens dieser konkreten Tat stellt sich eine grundlegendere Frage: Warum lehnen sich Menschen weiterhin gegen solche unterdrückerischen Traditionen auf, obwohl ihnen die fatalen Folgen bewusst sind? Die Antwort liegt im Wesen dessen, was uns menschlich macht: die Weigerung, Ketten zu akzeptieren; der Instinkt, Widerstand zu leisten, selbst wenn dieser aussichtslos erscheint.
Die pakistanische Gesellschaft befindet sich in einem Paradoxon. In den Großstädten wird Modernität wie ein sorgfältig einstudiertes Theaterstück inszeniert, während in den riesigen Stammesgebieten im Hinterland die alten Gesetze mit absoluter Autorität herrschen. Dieselben Feudalherren, die sich in Islamabad und Lahore als fortschrittliche Politiker geben, kehren in ihre Lehen zurück, um archaische Strafpraktiken gegen diejenigen zu verhängen, die es wagen, die Tradition herauszufordern. Diese Dualität ist keine zufällige Entwicklung, sondern eine kalkulierte Strategie zum Machterhalt. Die halbherzigen Verurteilungen des Staates nach jedem Ehrenmord sind bedeutungslos, denn das System ist auf denselben Grundlagen aufgebaut, die solche Gräueltaten zulassen. Das Gesetz bleibt absichtlich schwach, Ermittlungen werden sabotiert und Gerechtigkeit wird im Hinterzimmer zwischen Stammesältesten und politischen Eliten ausgehandelt.
Doch trotz dieser Unterdrückungsmaschinerie kommt es immer wieder zu Rebellionen. Junge Frauen brennen durch, Paare heiraten gegen den Willen ihrer Familien und einzelne Menschen weigern sich, sich der Tyrannei der sogenannten Ehre zu beugen. Diese Auflehnung ist nicht neu, sondern zieht sich durch die Geschichte und die Mythen. In Miltons „Das verlorene Paradies” wird Adams Entscheidung, die verbotene Frucht zu essen, nicht als bloßer Ungehorsam dargestellt, sondern als Bekräftigung seines freien Willens, obwohl ihm bewusst war, dass er dafür ins Exil gehen müsste. Prometheus stahl das Feuer von den Göttern, obwohl ihm die ewige Strafe drohte. Und Spartacus führte einen Sklavenaufstand gegen das Imperium Rom an, wohl wissend, dass es über eine überwältigende Macht verfügte. Diese Geschichten haben Bestand, weil sie etwas Grundlegendes in der menschlichen Natur ansprechen: die Weigerung, Unterwerfung zu akzeptieren, selbst wenn der Widerstand aussichtslos erscheint.
In „Der Rebell” vertrat Albert Camus die Ansicht, dass der Akt des Trotzes selbst eine Erklärung der Menschlichkeit ist. Nein zur Unterdrückung zu sagen, bedeutet, seine Existenz gegen Kräfte zu behaupten, die die Individualität auslöschen wollen. Die Opfer von Ehrenmorden sind keine passiven Opfer – sie sind im wahrsten Sinne des Wortes rebellierende Menschen. Ihr „Verbrechen” ist oft nichts anderes als die Entscheidung, wen sie lieben oder wie sie leben wollen. Doch in einem auf Kontrolle basierenden System sind solche Entscheidungen revolutionär. Viele fügen sich – erzogen zum Gehorsam wie Schafe, zu ängstlich oder gebrochen, um Widerstand zu leisten. Aber diejenigen, die sich auflehnen, selbst wenn es sie das Leben kostet, verkörpern den Geist, der jeden Kampf gegen die Tyrannei in der Geschichte angetrieben hat.
Die Tragödie besteht darin, dass ihr Widerstand nicht nur durch die Barbarei der Stämme, sondern auch durch einen Staat, der dies ermöglicht, unterdrückt wird. Feudalherren sitzen im Parlament, die Polizei schaut weg und die Gerichte arbeiten im Schneckentempo – all das sorgt dafür, dass das System unangefochten bleibt. Ein echter Wandel wird nicht allein durch Empörung in den sozialen Medien herbeigeführt, sondern durch den Abbau der Strukturen, die eine solche Unterdrückung ermöglichen. Bis dahin werden die Rebellionen weitergehen – klein, verzweifelt und oft tödlich –, weil der menschliche Geist nicht völlig ausgelöscht werden kann. Pakistan steht vor einer schweren Entscheidung: an der Brutalität der Vergangenheit festhalten oder sich endlich davon befreien.
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Kornelia Henrichmann vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!
Irshad Ahmad Mughal und Dr. Qurat-ul-Ain Rana bilden eine beeindruckende intellektuelle Partnerschaft in der zeitgenössischen pakistanischen Wissenschaft. Prof. Mughal, bekannt für seine Urdu-Übersetzungen der revolutionären Werke von Paulo Freire und seine jahrzehntelange Lehrtätigkeit in politischer Philosophie an der Punjab-Universität, arbeitet mit Dr. Rana zusammen, einer versierten Soziologin und Sozialkommentatorin, deren messerscharfe Analysen regelmäßig in Pakistans führenden Zeitschriften erscheinen. Gemeinsam verbinden ihre Beiträge für Pressenza rigorose akademische Erkenntnisse mit dringender Sozialkritik – sie schlagen eine Brücke zwischen westlicher Kritischer Theorie und südasiatischen Realitäten, um Wege für einen transformativen Wandel aufzuzeigen.









