Vier Monate nach dem Einsturz der Bahnhofsüberdachung in Novi Sad und dem Tod von 15 Menschen lassen die Studentenproteste in Serbien nicht nach. Im Gegenteil, sie werden immer größer und entwickeln sich zunehmend zu einem landesweiten Bürgeraufstand.
In einem Land, in dem die Demokratie seit Jahren erodiert und über 60 Universitäten blockiert sind, setzt die Generation Z ein starkes Zeichen für Bürgerengagement. Mit Transparenten, die blutige Hände zeigen, und Slogans wie „Korruption tötet“ sowie „Wir sind alle unter dem Vordach“ hielten Studierende und Bürger eine 15-minütige Schweigeminute ab. Sie forderten Rechenschaft von all jenen, die am Bau des Vordachs beteiligt waren – jenes Vordachs, das nur vier Monate nach seiner offiziellen Eröffnung im Juli 2024 einstürzte und zahlreiche Opfer forderte.
Trotz widerfahrener Gewalt setzen die versammelten Studenten und Bürger ihren friedlichen und unerschütterlichen Widerstand fort und fordern Gerechtigkeit, Transparenz und Verantwortung, und erinnern dabei die Nation an die wahre Bedeutung von Demokratie und Einheit.
Aber wie ist es zu Serbien „unter dem Vordach“ gekommen? Was unterscheidet diese Proteste? Und wie kam es dazu, dass eine Generation, die wir alle unterschätzt haben, dem System, das uns verraten hat, eine Lektion erteilt?
„Studenten dulden keine Gewalt“: 15 Schweigeminuten für die 15 Opfer
65 Millionen Euro wurden gezahlt, geheime Verträge und Absprachen mit einer Vielzahl von Unternehmern und Subunternehmern getroffen, Aufträge auf fragwürdige Weise vergeben. Am 1. November 2024 stürzte das 300 Tonnen schwere Betondach des Bahnhofs ein. Dabei kamen 15 Menschen zu Tode und zwei Menschen wurden schwer verletzt.
Seit diesem Tag halten Bürger aus Belgrad und Novi Sad jeden Tag spontan für 15 Minuten an, um der 15 Opfer zu gedenken; wo auch immer sie sich gerade um 11:52 Uhr, dem Zeitpunkt des Einsturzes, befinden. Viele halten inne an ihren Arbeitsplätzen und auf dem Universitätscampus. Busfahrer steigen aus ihren Fahrzeugen und stehen in Schweigen. „Alles muss stoppen, damit etwas anfängt“, verkünden die Studenten.
Die Proteste, die als friedliches Tribut an die Opfer begannen, eskalierten bald, als vermummte Schläger und Polizisten, die sich weigerten, sich auszuweisen, begannen Demonstranten anzugreifen. Bei einer solchen Versammlung am 22. November vor der Fakultät für Schauspielkunst (FDU) wurden Professoren und Studenten angegriffen.
Am nächsten Tag kündigten FDU-Studenten eine Blockade an, die am 25. November beginnen sollte – bis alle Forderungen erfüllt werden. Mehr als vier Monate später dauert die Blockade immer noch an.
Bald schlossen sich andere Universitäten der Bewegung an, blockierten Universitäten und führten landesweite Proteste und Märsche an. Sie erhielten Unterstützung von Professoren, Zehntausenden von Bürgern, der serbischen Anwaltskammer – die einen Monat lang die Arbeit niederlegte –, Bauern, Künstlern, Beschäftigten im Gesundheitswesen und sogar der Rentnergewerkschaft – einer Organisation, von der man bisher glaubte, sie stehe unter dem dominierenden Einfluss der Regimepropaganda.
Zu diesem Zeitpunkt sind über 60 staatliche Universitäten und Hochschulen blockiert, mit der Unterstützung von über 5.000 Universitätsprofessoren. Die Proteste haben sich auf über 300 Städte und Gemeinden in Serbien ausgeweitet, darunter auch Orte, an denen noch nie zuvor Demonstrationen stattgefunden hatten. Dies macht sie zur größten Studentenbewegung in Europa seit 1968.
Bis zu diesem Zeitpunkt stagniert alles, und die Illusion von Demokratie besteht weiter. Bis zu diesem Augenblick wurde keine der Forderungen erfüllt, und die Proteste werden immer größer.

Demonstranten und Polizisten bewachen das Stadtratsgebäude in Novi Sad. Foto von Lav Boka
Das Ausmaß der Proteste und die Forderungen der Studenten
Bürger und Studenten wollen dasselbe: dass das System funktioniert. Und sie glauben, dafür kämpfen zu können, indem sie Druck auf die Institutionen des Systems ausüben.
Die Serbische Fortschrittspartei (SNS) ist seit 13 Jahren an der Macht und hat die Kontrolle über Institutionen und Medien gefestigt, während sie mittels Furcht und Gewalt regiert. Dank einer mächtigen Propagandamaschinerie und vereinnahmter Institutionen hat sich die Regierung wiederholt der Verantwortung für verschiedene Ereignisse entzogen. Ereignisse, die als „Unfälle“ und „Tragödien“ abgestempelt wurden anstatt als Verbrechen zu gelten, die, wenn jeder konsequent seine Arbeit gemacht hätte, auf die Verantwortlichen zurückgeführt werden könnten.
Auch wenn die serbische Regierung weitestgehend in der Figur des Präsidenten Aleksandar Vučić verkörpert ist, wie es bei autoritären Regimen oft der Fall ist, rufen die Forderungen der Studenten weder nach seinem Rücktritt noch dem von Regierungsmitgliedern. Statt an Einzelpersonen richten sie sich an Institutionen – in erster Linie an die Oberstaatsanwaltschaft, um die Unfallverursacher zu identifizieren. Ihre Forderungen sind:
- Die Veröffentlichung der vollständigen Dokumentation über den Wiederaufbau des Bahnhofs in Novi Sad (die laut Gesetz öffentlich sein muss).
- Die Aufhebung der Anklagen gegen die während der Proteste festgenommenen und Inhaftierten Personen.
- Die Einreichung einer Strafanzeige des Innenministeriums (MUP) bei der zuständigen Staatsanwaltschaft in Belgrad gegen Personen, die Studenten und Professoren körperlich angegriffen haben (einige der Angreifer wurden später als Mitglieder der Regierungspartei identifiziert).
- Eine Erhöhung der staatlichen Mittel für öffentliche Universitäten um 20 %.
Während sie zum Dialog mit den Studenten aufrufen und bevorzugte Wohnungskredite anbieten, haben Regierungsvertreter versucht, die Angriffe auf Demonstranten zu verteidigen, wobei sich das gleiche erschütternde Szenario mehrmals ereignete – ein Auto rast in eine Menschenmenge und verletzt mehrere Menschen, vor allem Studenten. Bisher wurde niemand für diese Vorfälle zur Rechenschaft gezogen.
Nach einem der Vorfälle wurde eine Gruppe von Studenten, die sich vor SNS-Parteibüros in Novi Sad versammelt hatten, von mehreren Personen angegriffen, die beim Verlassen der Büros Baseballschläger trugen. Während des Angriffs erlitt eine der Studentinnen einen ausgerenkten Kiefer, und die Medien stellten eine Verbindung zwischen einem der Angreifer und Ministerpräsident Miloš Vučević her. Am folgenden Tag reichte Vučević seinen Rücktritt ein, der jedoch fast zwei Monate später immer noch nicht zur Parlamentsdebatte stand.
„Mit einem ausgerenkten Kiefer ist es viel schwieriger, einen Dialog zu führen“, antworten die Studenten dem Präsidenten, der sie nur wenige Stunden zuvor zu einem Gespräch eingeladen hatte.
Studentische Vollversammlungen und direkte Demokratie
Obwohl Serbien auf eine lange Geschichte von Protesten zurückblicken kann, sowie auf eine lange Geschichte der Fähigkeit der Regierungspartei, Proteste durch Ignoranz und starke Medienpropaganda niederzuschlagen, scheint die Situation diesmal anders zu sein. Jeder Versuch, die Studenten- und Bürgerbewegung zu unterdrücken, hat nur noch mehr Menschen auf die Straße gebracht.
Die Studenten erwähnen den Präsidenten nur selten, erinnern ihn oft daran, dass er „nicht kompetent“ sei, und fordern ihn auf, die Grenzen seines Amtes zu respektieren. Sie nennen ihn „eine Institution mit meist zeremonieller Autorität“ und zielen bewusst auf die Schwachstellen eines autokratischen Egos. Die wirkliche Herausforderung für die Regierung scheint jedoch ihre Organisationsform zu sein.
Die Studenten haben nämlich keine offiziellen Vertreter, und diejenigen, die mit den Medien sprechen, werden von den studentischen Vollversammlungen gewählt, so dass in Interviews fast immer neue Gesichter erscheinen.
Doch was genau sind Plenarversammlungen, und warum setzen die Studierenden auf Vollversammlungen anstelle eines Studentenparlaments?
Wie viele serbische Institutionen steht auch das Studentenparlament unter dem Druck und Einfluss der Regierung. In Antwort darauf haben sie sich entschieden, sich über Plenen zu organisieren – ein Hauptkörper, in dem alle Entscheidungen im Zusammenhang mit den Protesten demokratisch getroffen werden. Ähnlich wie in der Athener Agora kann im Plenum jeder sprechen und Ideen einbringen, und Entscheidungen werden mit einfacher Mehrheit getroffen.
Die Versammlungen und die gewählten Arbeitsgruppen sowie die Experten, Professoren, Dekane und Rektoren, werden zu Zentren des Wissens, von Ideen und politischem Wandel durch ein Modell, in dem ihnen niemand die Urheberschaft beanspruchen kann. Ohne Führungspersönlichkeiten, die zur Zielscheibe der Boulevardpresse oder erpresst und manipuliert werden könnten, sieht sich die Regierung einem Gegner gegenüber, mit dem sie nicht vertraut ist – einem ohne Gesicht.
Auch wenn Generation Z oft beschrieben wurde als allzu individualistisch, unpolitisch – aber nur auf ihre Rechte bedacht und damit verwöhnt –, glaubt die Psychotherapeutin Iva Branković es sei in Wirklichkeit ein Mangel an Autoritarismus.
„Sie sind frei von Autoritarismus. Sie glauben nicht an Führer, nur weil ihnen gesagt wird, dass jemand ein Führer ist. Ihre Art zu organisieren beweist, dass es möglich ist. Sie sind nicht nur auf ihre eigenen Rechte fokussiert; Rechte im Allgemeinen sind Ihnen wichtig, und sie schrecken nicht davor zurück, Autorität in Frage zu stellen, es sei denn diese Autorität ist legitim“, erklärt die Psychotherapeutin.
Ist das also echter Apolitismus oder ist es einfach eine Ablehnung eines Systems, in das sie hineingeboren wurden, sich jedoch weigern Teil davon zu sein?
„Wir wollen nicht weg“, sagen Studenten, die mit nur zwei Wegen in eine bessere Zukunft aufgewachsen sind – einer ist ein Parteimitgliedsausweis, der andere ist ein Reisepass und Verlassen des Landes. Ihre Liebe zu ihrem Land wurzelt in einem einfachen Prinzip: dass die Verfassung respektiert werden muss und dass das Gesetz für alle gleich gelten sollte. Ihre Botschaft ist ein Plädoyer für Freiheit und Gerechtigkeit, und die Stärke und Frische ihrer Rebellion hinterlassen den Eindruck, dass sich diese Proteste zu einer Bewegung entwickeln könnten, die ihren Platz über die Grenzen Serbiens hinaus finden wird.
Studentenmärsche und Heilung kollektiver Traumata
Bisher haben Studenten mehrere große Märsche organisiert, davon der letzte und längste ein 160 Kilometer langer Fußmarsch nach Niš über fünf Tage hinweg. Auf dem Weg dorthin grüßten die Bürger die Studenten als Befreier und begegneten ihnen als solche mit Verneigungen, Umarmungen, Tränen, Essen und Trinken.
Szenen, die Serbien seit Wochen erschüttern, werden von Psychologen als Prozess der Heilung kollektiver Traumata interpretiert. In diesem Sinne ist es korrekt zu sagen, dass diese Proteste nicht nur politische, sondern auch zutiefst persönliche, emotionale und psychologische Ereignisse sind.
In einer Gesellschaft, die jahrelang in Ohnmacht, Apathie, Schweigen und Duldung gelebt hat – überzeugt davon, dass es keine Alternative gibt –, ist eine Gruppe von Menschen mit der ganzen Kraft ihrer Jugend und unerschütterlicher Entschlossenheit hervorgegangen und hat bewiesen, dass ein anderer Weg möglich ist, dass Veränderung möglich ist.
Mit ihren Märschen befreien die Studenten Serbien von der Angst und erinnern alle daran, dass sie nicht allein sind, sondern dass wir geeint sind. Vereint unter der Flagge, dem Wappen und der Hymne gehen orthodoxe Christen, Katholiken und Muslime und beten gemeinsam – und zeigen damit die Schönheit von Toleranz, Empathie und Solidarität.
Die Psychologin Ana Perović glaubt: „Wir weinen, weil unsere Studenten uns gezeigt haben, dass wir, vielleicht unbewusst, zugestimmt haben, das Leben in Serbien mit unserer Würde und Integrität zu bezahlen. Diese Momente helfen, das Gefühl von Isolation zu verringern. In solchen Momenten sind Proteste nicht mehr nur ein Ausdruck von Widerstand – sie werden zu einem Raum, in dem wir soziale Wunden heilen, zu einem Raum der Wiedervereinigung, und zum Beweis, dass Solidarität und Fürsorge für andere unsere stärksten Verbündeten im Kampf gegen kollektive Traumata sind.“

Auf dem 160 km langen Protestmarsch in Richtung Kragujevac. Foto von Dunja Dopsaj
Pumpaj! – Keine Absenkung der Spannung!
Während der Proteste ist der zugleich humorvolle wie ernste Ausdruck „Pumpaj“ („Pump It“) praktisch zum Slogan und Symbol geworden, um die Stimmung zu heben und das Momentum aufrechtzuerhalten. „Pumpaj“ bedeutet, nicht aufzuhören, im gleichen Rhythmus weiterzumachen, ohne Unterbrechung, ohne aufzugeben.
Während frühere Studentengenerationen mit klassischen Schlagwörtern und politischen Botschaften protestierten, übernehmen die Proteste von heute Elemente der Internetkultur, die von Ironie und Memes durchdrungen sind. „Pumpaj“ wird so zur Stimme einer neuen Generation, die sich entscheidet, auf eine andere Art und Weise zu rebellieren als ihre Eltern. Ohne ideologische Parolen und ernste Reden tragen sie ihre Rebellion in ihren Herzen: „Das Herz ist eine Pumpe, und wir pumpen vom Herzen!“
„Pumpaj“ dient als Erinnerung daran, dass Spannungen nicht gelöst werden dürfen, dass es wichtig ist, den Druck zu erhöhen, bis der Ballon platzt, bis die Dinge an ihren Platz gebracht werden, d.h. alles und jeder innerhalb der jeweiligen Kräfte. Auf diese Weise verkörpert „Pumpaj“ Ironie, Ernsthaftigkeit, Entschlossenheit und Lachen über die selbsternannten Autoritäten, während sie die wahren respektiert.
Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass die Studenten darauf beharren, sich von Politik und politischen Parteien zu distanzieren und betonen, dass sie nicht einen Regierungswechsel anstreben, sondern das Funktionieren der Institutionen. Ironischerweise würde das Funktionieren der Institutionen in diesem Fall jedoch wahrscheinlich einen Regierungswechsel mit sich bringen.
„Proteste basieren in der Regel zumindest auf der Androhung von Gewalt, während sie gleichzeitig die Bereitschaft zu einem echten offenen Dialog zum Ausdruck bringen, in dem das herrschende Regime sie ernst nehmen würde. Hier ist die Situation umgekehrt: es wird nicht mit Gewalt gedroht, aber es gibt eine klare Verweigerung von Dialog. Dieses Beharren auf Forderungen schafft mit seiner Einfachheit Verwirrung und gibt Anlass zu Verschwörungstheorien: Wer steckt hinter all dem?“, sagt der slowenische Philosoph und Sozialkritiker Slavoj Žižek und fügt hinzu, dass diese Proteste nicht nur Änderungen in der Regierung fordern – sie wollen tiefergreifende, grundlegende Veränderungen in der Funktionsweise staatlicher Institutionen.
Was bleibt uns übrig, wenn nicht wir einander?
Während Experten aus Serbien Studenten für den Friedensnobelpreis nominieren und hohe Regierungsbeamte sie als ausländische Söldner abstempeln und als Ustaše (ein Begriff, den Serben und Kroaten verwendeten, um Mitglieder einer kroatischen ultranationalistischen und faschistischen Bewegung aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs zu bezeichnen), ist es interessant, dass Europa zu den aktuellen Ereignissen in Serbien weitgehend schweigt. EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen hat kürzlich ihre Unterstützung für „das georgische Volk, das für Demokratie kämpft“, zum Ausdruck gebracht, sich aber nicht zu Serbien geäußert – einem Land, das seit 2012 offizieller EU-Beitrittskandidat ist.
Trotzdem zögert die Regierung nicht, die Studentenproteste als „vom Westen orchestrierte Farbrevolution“ zu bezeichnen, aber wenn sie sich an westliche Vertreter wendet, bezeichnet sie Massenversammlungen als russische Agenten, die das Land infiltrieren. Obwohl der Flirt der Regierung mit sowohl Europa wie auch Russland nicht überraschend ist, ist die Wahrheit, dass die Studentenproteste nichts von dem sind, sondern eher ein Schrei nach grundlegenden Bürgerrechten, nach Rechtsstaatlichkeit und der Achtung der Verfassung.
„Die Studentenproteste beweisen, dass in bestimmten Situationen ein einfacher Ruf nach Recht und Ordnung subversiver sein kann als anarchistische Gewalt“, bemerkt Slavoj Žižek und kommentiert die Studenten, die nach Organisieren ihrer Versammlungen, die in der Regel gegen Mitternacht enden, zurückbleiben, um die Orte, an denen sie protestiert haben, zu säubern.
„Wir sind füreinander da“, sagen sie, während sie marschieren, ohne EU-Flaggen oder andere Symbole, die auf Spaltung zwischen ihnen hinweisen würden. Denn unter den Demonstranten befinden sich zweifellos Menschen, die unter normalen Umständen niemals am selben Ort zusammenstehen würden. Doch unter diesen neuen Umständen sind sie unter der serbischen Flagge vereint – sowohl diejenigen, die nach links schauen, als auch diejenigen, die nach rechts schauen, sowohl junge als auch alte. Wenn die Grundrechte beschnitten werden, werden menschliche Bedürfnisse und Ziele die gleichen.
Eine schwache Opposition, mangelnde Unterstützung und fehlende Kritik aus der EU haben dazu geführt, dass die Demonstranten weder nach Osten noch nach Westen blicken, sondern zu sich selbst. Diesmal lernen die Alten von den Jungen, und viele öffnen endlich ihre Augen gegenüber der Propaganda des Regimes. Massen von Menschen, die vom System verraten wurden, die mit dem Traum von der „Brüderlichkeit und Einigkeit“ Jugoslawiens aufgewachsen sind, begrüßen nun mit Tränen in den Augen Botschaften der Unterstützung aus den Nachbarländern – weil sie die gleichen, nie ganz verheilten Wunden tragen. „Alle Wunden meines Volkes schmerzen mich“, steht auf einem der Protesttransparente. Und jetzt, so scheint es, ist die Zeit gekommen, dass ein paar davon endlich heilen.
Während das Regime weiterhin auf schmutzige Tricks zurückgreift, um diesen friedlichen und würdigen Aufstand zu unterdrücken, wird es Zeuge werden, wie die Saat der Demokratie auf dem trockenen, autokratischen Boden keimt.
Der Ausgang dieser Situation und der Proteste, die durchaus als Avantgarde bezeichnet werden können, ist derzeit ungewiss. Wird das nächste große Treffen, das für den 15. März in Belgrad geplant ist, eine Änderung bringen?
Egal, was passiert, diese antipopulistische Bewegung hat bereits etwas Außergewöhnliches geleistet. Lächelnde Gesichter auf der Straße, Empathie und die Solidarität der Massen versprechen, dass es kein Zurück gibt. Und was das wirklich bedeutet, bleibt abzuwarten.


















Autorin: Dijana Knežević, Schriftstellerin, Dichterin und Teilnehmerin der aktuellen Proteste.
Bildnachweis: Gavrilo Andrić, Lav Boka, Dunja Dopsaj
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Ursula Nollenberger vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!