„Wenn die Brandmauer brennt, is Matthäi am Letzten“, ruft mir meine Omi Glimbzsch aus Zittau zu. „Hajo Exner hat hier das Direktmandat geholt – 38,4%. Nu jaja, nu nene – früher war’n wir mal die stärkste der Partein…“.
Der zweite Volksaufstand in der DDR verlief friedlich, wenn man von den Brandanschlägen, paar in die Fresse, zerstochenen Reifen und regelmäßigen Hexenjagden und Überfällen auf die Demokratie mal absieht, von den Prügeln für die Medien mal ganz abgesehen. Das dämliche Brandmauer-Gerede würd‘ jetzt ein Ende haben, orakelt der Alt-Nazi Björn Höcke aus Lünen (NRW), der in Greiz für die AfD magere 38,9 % holte.
Aus dem Wirbelsturm der beiden Landtagswahlen ist ein anderes Land hervorgekrochen, ein neues, anderes Deutschland. Nun machen wir uns alle bissel in die Hose – aber sorry: Wir wissen doch, dass eine Mehrheit der wählenden Bevölkerung in den beiden Bundesländern kaum je eine Loyalitätsbindung zu den traditionellen Parteien entwickeln konnte. „Wählen ist nicht mein Ding“, kommentierte ein sympathischer Nichtwähler in Dresden. Und die Jungen, die gewählt haben, bevorzugen braun. Dazu kommt: Viele Menschen ostwärts akzeptieren die republikanischen Entscheidungen nicht, sie verstehen deren Codes nicht, vielleicht teilen sie nicht einmal die Konzepte der Demokratie. Ebenso viele fühlen sich als Deutsche II. Klasse ohne Eisernes Kreuz oder, schlimmer noch als Ausländer in ihrer Heimat, meint die New York Times.
Und jetzt? Es ist höchste Zeit für eine Generalüberholung der Strukturen und Zugänge zur Demokratie. Statt der Wahlkampfplattitüden allerseits brauchen wir dringlich die Auseinandersetzung mit politischen Aspekten der Demokratie, eine zweifelnde Debatte, Reflexion, Thesen und Themen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt, zu Rassismus, zur bunten Republik Neuland. „Wehrt Euch“ reicht so wenig wie „Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft“. Wenn Sie mich fragen: „An allem ist zu zweifeln“ (Karl Marx).
Wie weiter? Wir könnten auswandern. Aber wir könnten uns auch für die Republik stark machen, für die Menschenrechte, für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, eine freie, nicht kommerz-gesteuerte Presse, für Recherche-Netzwerke a la Correctiv und die viele anderen Medien-Mühen. Wir können dafür sorgen, dass unsere Demokratie krisensicherer wird. Wir könnten uns fragen, warum man uns, denen, die alles immer besser wissen, nicht über den Weg traut, warum unsere Argumente so wenig überzeugend sind. Und fragen: Wie gefährlich ist die AfD wirklich?
Demokratie-Foren wären nützlich, Mutmach und Mitmach-Kongresse wie der am 3.10. im Stuttgarter Theaterhaus. Demokratie für alle? Das fängt ziemlich weit unten an, ist aber sicherer als auswandern.
Peter Grohmann’s „Wettern der Woche“
Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator des Bürgerprojekts Die AnStifter.