Kinder schuften auf Kakaoplantagen an der Elfenbeinküste. Der Lohn geht an die Eltern. Das zeigt ein Film im ARD-Weltspiegel.

Pascal Derungs für die Online-Zeitung INFOsperber

Die Republik Côte d’Ivoire, die Elfenbeinküste, ist der grösste Rohkakaoproduzent der Welt. San Pedro im Westen des Landes ist das Zentrum der Kakaoindustrie. Dort beginnt die Video-Reportage des WDR-Teams. Es befragt Abelle Galo, Vorstand der Hilfsorganisation ID-Cocoa. Als solcher kennt er die Arbeitsbedingungen in der Kakaoindustrie gut: «Die Produktion von Kakao steigt immer weiter an, und man braucht immer mehr Arbeiter dafür. Und wenn ich sage Arbeiter, meine ich Kinder, denn die arbeiten bis heute auf den Feldern», sagt Galo.

Im Kakaoanbaugebiet trifft das WDR-Team auf Kinder bei der Erntearbeit. Sie sammeln die reifen Kakaofrüchte ein, schleppen schwere Säcke. Mit scharfen Macheten müssen sie die Nüsse aufschlagen. Auf die Frage, ob sie schon einmal in die Schule gegangen seien, sagen zwei der Jungen: «Ja, bis ich zehn Jahre alt war.» Ein dritter sagt: «Noch nie.» Alle sind sie 13 und arbeiten bereits seit drei Jahren auf der Plantage.

Electrolito, CC BY-SA 3.0 , via Wikimedia Commons

Verarmte Familien verdingen ihre Kinder aus schierer Not

Sie stammen aus dem armen Nachbarland Burkina Faso. Ihre Eltern dort hätten sie nicht mehr ernähren können und sie deshalb an Kakaobauern in der Elfenbeinküste verdingt, heisst es im Bericht.

Die Jungs bekommen kein Geld für ihre Arbeit. Es wird nur einmal gezahlt – an die Eltern. Bei der Feldarbeit stehen die Kinder unter ständiger Bewachung. «Für die Jungs ist es immerhin besser, hier zu arbeiten, als in die Stadt zu gehen und kriminell zu werden», erzählt ein Aufpasser vor der Kamera. Hier könne man sie wenigstens kontrollieren.

Für ihre Mahlzeiten müssen die Kinder selbst sorgen. Der Videobericht zeigt sie in einem dürftigen Unterstand, wo sie Cassavawurzeln kochen, die sie auch selbst anbauen. «Hühnchen- oder Rindfleisch habe ich noch nie gegessen», sagt ein Junge vor der Kamera, und ein anderer ergänzt: «Wenn wir Fleisch essen wollen, dann jagen wir Ratten oder Füchse.»

Sie leben isoliert in einem fremden Dorf, teilen zu dritt einen kargen Raum. «Ich besitze nicht viel. Genauso wie meine Freunde. Nur eine Machete und ein weisses Tuch gehören mir. Oft sitze ich hier einfach und denke an meine Mutter», erzählt ein Junge dem Reporter. Keine Familie im Dorf fühle sich für die Kinder verantwortlich.

Schweizer Schokoladefabrikant Camille Bloch zog die Konsequenzen

upg. Die «Ragusa»- und «Torino»-Herstellerin Camille Bloch im Berner Jura bezieht heute sämtlichen Kakao aus Peru. «In Westafrika ist der Missstand [der Kinderarbeit] verbreitet», begründete Firmenchef Daniel Bloch in der «NZZ am Sonntag» vom 24. März. Die Probleme in Ghana und anderswo in Westafrika seien damit natürlich noch nicht gelöst.

Das WDR-Team trifft Alexandre Krah Yao, einen der grössten Kakaofarmer der Region. Seit Jahrzehnten «kauft» er Kinder aus Nachbarländern: «Wenn ich mir ein Kind, zum Beispiel aus dem Benin besorge, muss ich den Vermittler bezahlen. Das restliche Geld kriegt dann der Vater im Benin. Das Kind selbst bekommt von mir nichts für die Arbeit.»

Erst wenn sie 17 oder 18 seien, dürften die Jungen entscheiden, ob sie bleiben und weiterarbeiten oder die Plantage verlassen wollten, heisst es in der Reportage.

Das WDR-Team hat einen Termin mit der «International Cocoa-Initiative». Diese Organisation wurde von der Kakaoindustrie gegründet und soll gegen Kinderarbeit kämpfen. Die Direktorin für West-Afrika, Euphrasie Aka, sagt im Interview: «Auch wenn es immer noch sehr viel Kinderarbeit gibt, hat doch eine deutliche Verbesserung stattgefunden. Die ganz jungen Kinder müssen nicht mehr die schwerste Arbeit verrichten, wie zum Beispiel schwere Lasten tragen, Chemikalien versprühen oder mit scharfem Werkzeug hantieren.» Ein dürftiger Erfolg, denn die Kinderarbeit in den Kakaofeldern hat insgesamt nicht ab-, sondern zugenommen.

Schwere Gesundheitsrisiken bedrohen die Kinder

Die Kinder leben gefährlich bei dieser Arbeit. Das WDR-Team filmt, wie sie auf den Plantagen ein Pestizid ohne jeglichen Schutz versprühen müssen. «Hat niemand mit euch über Schutzausrüstungen gesprochen wie Handschuhe und Masken?», fragt Abelle Galo. «Ich habe gehört, dass es gefährlich ist. Aber wir müssen es eben aufs Feld bringen», antwortet ein Junge.

Diese Jungs sind 16 Jahre alt. Auch sie sind aus Burkina Faso hierhergekommen. Auch sie wurden im Alter von zehn Jahren von ihren Familien «verkauft». Erst in zwei Jahren könnten sie frei entscheiden, ob sie weiter auf der Plantage bleiben oder sie verlassen wollten. Und das, ohne jemals lesen und schreiben gelernt zu haben, kommentiert der Bericht.

Das WDR-Team besucht Souleyman Koala, der als Sanitäter in der Krankenstation arbeitet.  Es fehle ihm an allem, sagt er. Die Kinder hätten oft Fieber, Schwindel und Kopfschmerzen. Es sei gut möglich, dass das an den vielen Chemikalien liege, die sie auf den Kakaofeldern benutzten. Viele Kinder verletzten sich auch mit ihren Macheten, hätten Typhus oder Malaria, erzählt der Sanitäter.

Die Früchte der Kinderarbeit gelangen auch in die Schweiz

Gemäss einem Bericht des Kinderhilfswerks Unicef vom Juni 2022 ist die Elfenbeinküste der weltweit grösste Produzent von Kakao. Ebenso wichtig ist das Nachbarland Ghana. Zusammen produzieren die beiden westafrikanischen Staaten etwa 60 Prozent des globalen Kakaos.

Die Schweiz importiert nur wenig Kakao aus der Elfenbeinküste. Viel bedeutender ist der Lieferant Ghana. Von dort stammte 2022 rund die Hälfte aller Importe von gut 125’000 Tonnen. Doch auch in Ghana ist die Kinderarbeit auf den Plantagen weit verbreitet. Und die Tendenz ist steigend. Gemäss Unicef arbeiteten 2022 etwa 1,56 Millionen Kinder in den beiden westafrikanischen Ländern im Kakaosektor. Das waren nicht weniger, sondern mehr als noch im Jahr 2015.

Kinderarbeit sei eine Folge von Missständen und habe komplexe Ursachen, schreibt Unicef.  Zentral sei die ausgeprägte Armut der Kakaobauern. Sie lebten an der Existenzgrenze und verdienten oft kaum mehr als 1 US-Dollar pro Tag, viel zu wenig, um sich und die Familie zu ernähren.

Der Originalartikel kann hier besucht werden